Seite:Die Gartenlaube (1871) 301.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Das Hauptstärkungsmittel, der Wein, war gefroren! Noch einen letzten Gruß, noch einen Blick in die Runde nach den geliebten Höhen, und rasch ging es die Spitze hinab zur Scharte. Dieselbe wurde zwar glücklich überwunden, allein als ich gerade in der Mitte des Kammes mich befand, verlor ich plötzlich aus eigener Unvorsichtigkeit durch Hinabsehen in die Tiefe das Gleichgewicht und stürzte, jedoch nicht weit, denn das Seil war stramm, und die Führer zogen dasselbe unter lauten Zurufen und Ermuthigungen mit großer Kraft an sich, so daß ich halb schwebend, halb gehend am jenseitigen Firn anlangte. Dieser kleine Unfall machte die Führer noch viel aufmerksamer und vorsichtiger; denn als wir von der Scharte weg die steilen Eiswände hinabzusteigen begannen, erfaßte mich einer von ihnen am Seile knapp hinter meinem Rücken und führte mich, trotz meines Widerstrebens, wie ein Kind am Gängelbande die Eisstufen hinab. Mein Reisegefährte, der, zitternd vor Kälte, auch schon mehr als genug hatte, folgte mir, auf gleiche Weise geführt, nach, und so gelangten wir ohne weitern Unfall wieder zur Adlersruhe, wo wir noch einen Augenblick Halt machten und noch einen letzten scheidenden Blick in das herrliche Panorama thaten. Sodann wurde wieder aufgebrochen, und in der Hoffnung auf baldige Erlösung ging es nun etwas schneller die letzte steile Firnhalde hinab. Nachdem die größte Steigung aufgehört hatte, wurden die Fußeisen abgeschnallt, den Führern übergeben, und mit einem lauten lachenden „Fürchtet Euch nicht!“ setzten sich die letzteren auf ihre Bergstöcke und fuhren sausend die Firnfläche hinab, während ich und mein College, die wir noch immer am Seile hingen und durch den ersten starken Ruck auf das Eis zu sitzen kamen, in dieser Stellung von den vorderen Führern gezogen, von den Hinteren geleitet, die fliegende Fahrt mitmachten. In kurzer Zeit, während deren die Führer noch eine außerordentliche Bravour im Hinabfahren entwickelten, hatten wir die Eispassage überstanden und standen nun wieder auf festem Boden.

Unterdessen hatte die Temperatur zugenommen, und wir fühlten uns nach fünfzehnstündigem Frieren wieder einmal in einer behaglichen Wärme; doch war ich so ermattet und erschöpft, daß ich mich nur noch mit Mühe zu der eine halbe Stunde entfernten Hütte schleppen konnte. Wie mir zu Muthe gewesen wäre, wenn keine Hütte hier gestanden hätte, das weiß ich nicht. Ich und mein Camerad fühlen uns nur verpflichtet, dem wackern H. Stüdel unsern besten wärmsten Dank im Namen aller Bergfreunde abzustatten; und mit diesem Dankgefühl zogen wir in seine Hütte ein, als wäre sie ein Palast; es war halb zwei Uhr Nachmittags. Schnell wurde ein lustiges Feuer angemacht, gekocht, gegessen und getrunken und sodann geruht. Nachdem wir uns ein wenig restaurirt, brachen wir um drei Uhr wieder auf und erreichten um sieben Uhr Abends Kals, wo Alle, nachdem sie von unserer Ersteigung gehört, sich höchlich verwunderten, wie wir es hatten wagen können, bei einem solchen Sturme die Glocknerspitze zu erklimmen. – Nach einem kleinen Imbiß suchte und fand ich die wohlverdiente Ruhe.

Wenn nun schon eine Ersteigung des Großglockners unter so mißlichen und widerwärtigen Umständen bei Nebel, Schnee und tobenden Stürmen gelang und der Genuß der Rundsicht selbst unter so abnormen Verhältnissen als ein wahrhaft großer, wenn auch theuer erkaufter gelten kann, wie muß derselbe erst beschaffen sein, wenn kein Wölkchen das reine Himmelsblau trübt, wenn bei dunstfreier Atmosphäre der Blick weit über zwanzig Meilen hinausschweift auf ein Territorium von mehr als fünftausend Qudratmeilen, wenn der Thermometer auf der Spitze über zwölf Grad zeigt und ein Streichhölzchen ruhig in der herrlichen Luft fortbrennt! dann wiegt dieser Genuß alle anderen auf, dann ist kein Opfer zu hart, keine Mühe zu groß, um ihn zu erkaufen!

Wem hat man aber dann diesen Genuß zu verdanken? Nochmals sei es gesagt und laut verkündet in allen deutschen Gauen, wo Lust und Liebe für unsere herrlichen Hochalpen warm in der Männerbrust lodert – dem Herrn Johann Stüdel und den wackeren Glocknerführern von Kals.

J. v. Trentinaglia.




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 3. Kriegerische Abenteuer einer friedfertigen Primadonna.
(Fortsetzung.)


Der Schaffner war ein Mann von Wort. Schnell hatte er in dem kleinen und dunklen Raume einige Bund reines Stroh ausgebreitet, dann ging er fort und kam nach ungefähr fünfzehn Minuten mit Decken belastet wieder, so daß das aus solchem Material bereitete Lager ein ganz erträgliches wurde.

„So, meine Damen,“ sagte der Bettenfabrikant, sich vergnügt die Hände reibend, „nun werde ich Ihnen auch noch eine Laterne anzünden, das Wachslicht hierzu hat mir der Herr Oberst gegeben und hat mir befohlen, ein schönes Compliment zu machen, und es thäte ihm leid, daß er die Damen nicht besser quartieren könnte, namentlich solche, wie die Madame Lucca!“

„Kennt er mich denn?“ fragte die Sängerin überrascht.

„Ja. Als ich ihn um Decken für die Damen bat, trat ein Herr Lieutenant zu ihm und nannte Ihren Namen, hat auch erzählt, daß Sie für die Verwundeten auf freiem Felde Kaffee gekocht haben. Da hat der Herr Oberst ausgerufen: ‚Brave Frau! Ich werde wenigstens eine Wache vor’s Spritzenhaus schicken, damit sie in der Nacht nicht gestohlen wird.‘“

„Wie?“

„Nee, ‚damit ihr in der Nacht nichts gestohlen wird?‘ Nun schlafen Sie wohl, Madamchen, und lassen Sie sich recht was Angenehmes träumen. Gute Nacht!“

„Noch einen Augenblick, lieber Mann!“ rief die Lucca in bittendem Tone. „Ist die Thür zu diesem Gemach nicht zu verschließen?“

„Nein; das Thürschloß hat der letzte Spitzbube gewaltsam abgerissen und ist damit durchgebrannt. Deshalb kriegen Sie ja eine Wache! Legen Sie sich nur ruhig auf Ihr kleines Ohr!“

Mit dieser galanten Empfehlung verschwand der Schaffner und die beiden Frauen waren allein.

„Editha,“ flüsterte die Herrin, „wir dürfen Beide zugleich nicht schlafen. Bis Mitternacht werde ich wachen, dann lösen Sie mich ab.“

„Warum denn, gnädige Frau?“

„Die Thür ist, wie Sie gehört haben, unverschließbar. Wer kann wissen, was uns bevorsteht? – Die Nacht ist überhaupt keines Menschen Freund.“

„Ich habe ein Schutzmittel gefunden, Frau Baronin!“ rief Editha erfreut.

„Nun, und worin besteht das?“

„Ich schiebe die Kiste mit dem Gemüse hier innen vor die Thür und stelle die Koffer darauf; das bildet gewissermaßen eine kleine Barricade. So, sehen Sie! Das war schnell vollbracht!“

„Ein schwaches Bollwerk bei ernstlichem Angriff!“ lächelte wehmüthig die Primadonna; danach legten sich beide Dulderinnen auf ihr gemeinschaftliches Bett von ausgedroschenen Daunen und hüllten sich ganz in die Decken voll Weichheit und milder Wolle.

Morpheus hatte bereits beide Damen fein säuberlich in seine molligen Arme genommen, als plötzlich von außen erst leise, dann stärker an die Thür gepocht wurde.

„Barmherziger Himmel, erbarme dich! Verloren, verloren, wer rettet mich?“ schrie die Kammerjungfer und war mit einem Satze an der Thür, um das Gewicht der Gemüsebarricade durch das ihrer nicht ganz leichten Person zu verstärken. „Wer da?“ fragte sie nun, durch mehr Sicherheit beherzter geworden, und eine männliche Stimme flüsterte:

„Ich bin’s, Lieutenant v. L., Ihr Reisegefährte.“

„Aber, mein Herr, was wollen Sie bei nachtschlafender Zeit am Spritzenhaus?“ ließ sich nun Paulinchen im Zorn vernehmen.

„Ich will nichts weiter, als den Damen durch die Thürfuge melden, daß sie sich ohne Furcht der Ruhe hingeben können, da ich, auf Befehl des Herrn Obersten, eine Wache vor’s Spritzenhaus gestellt habe.“ Danach sang er, aus dem „Barbier von Sevilla“ den Almaviva imitirend: „Wünsche Ihnen wohl zu schlafen!“ und verschwand heimlich lachend.

„Sonderbarer Schwärmer!“ grollte Editha, und Herrin wie

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_301.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)