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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


sein, daß sich Einer gefunden hat, der sich von dem dornigen Zaun nit hat schrecken lassen und hat’s Röserl herausgeholt aus’m Garten; Du sollt’st den prächtigen Burschen auf den Händen tragen, und sollt’st froh sein, wenn Du Deiner Tochter ein freudig’s und vergnügt’s Leben schaffen und hinterlassen kannst, wenn Du einmal Deine Augen zumachst. – Und Eins will ich Dir noch sagend Lipp,“ setzte sie leiser, aber mit steigendem Nachdruck hinzu. „Wenn Du willst, daß ich Dir verzeih’ und das, was Du mir angethan hast, nit in die Ewigkeit mitnehmen soll, nachher sagst Ja … ich hab’ seit derselbigen Zeit kein Sterbenswörtl mehr von ihm gehört – Du weißt wohl, wen ich mein’ – ich hab’ ihn nimmer unter’n Lebendigen gesucht. Heut’ aber hab’ ich ihn wieder g’sehn – als einen alten Lumpen, Bruder – als einen Vagabunden, das ist er durch Dich ’worden, Bruder; Du hast ihn auf’m G’wissen, wie mich … das ist eine schwere Bürd’, Bruder – mach’, daß sie Dir leichter und Dein Sterbkissen einmal linder wird – und sag’ Ja; – sonst reisen wir nimmer zusammen heim in die Jachenau.“

Der Bauer sagte gar nichts; er schritt nur in zorniger Eile den Berg hinab, gerade auf das Königszelt zu; dort, meinte er, müsse man Alles am Besten sehen können, denn dort war noch der einzige von Menschen nicht überfüllte Raum. Darin hatte er auch ganz Recht; nur wußte er nicht, daß der Platz vor dem Zelt frei bleiben mußte, und daß berittene Landwehr und Gensd’armerie die Aufgabe hatten, die Zuschauer in weiten Kreisen zurückzuhalten. Eben als er hinein wollte und sich darüber mit den Reitern herumstritt, krachte ein dritter Schuß; der König fuhr heran und hielt vor dem Zelte. Er bemerkte beim Aussteigen den kleinen Auflauf, warf einen flüchtigen Blick auf die drei Gebirgsleute, und rief einem Lakai zu, er solle die Gesellschaft neben das Zelt führen und vor demselben in einer Ecke postiren. Von dort aus konnten sie Alles unmittelbar und in größter Bequemlichkeit betrachten; es war, als gehörten sie auch zu den Vornehmen, den Beamten und Officieren, die sich im Zelte um den König versammelten.

Der Festzug begann; schon weithin verkündet und begrüßt vom Brausen der Volksstimmen, rollte eine lange Reihe geschmückter Wagen vorüber, in welchen jeder Bezirk seine Sitten, Gebräuche, seinen hauptsächlichen Erwerb und seine überwiegende Beschäftigung darzustellen versucht hatte. Den Anfang machte ein Bezirk, der, durch die Zucht schöner Pferde berühmt, mit einer Abtheilung stattlicher junger Bursche auf nicht minder stattlichen Rossen angezogen kam. Dann folgte ein Wagen, auf welchem ein Garten nachgebildet, war, mit Gemüse- und Blumenbeeten und fruchtbeladenen Obstbäumen; dann ein Floß, wie sie auf der Isar üblich sind, aus unbehauenen Baumstämmen zusammengefügt, mit einer Bretterhütte darauf, vor welcher eine reisende Gesellschaft um das Feuer gelagert sich ihr Mittagsmahl bereitete und mit Gesang und Citherspiel würzte. Als trefflicher Gegensatz schloß sich ein Wagen mit einem mächtigen Kornfuder an, das sich von Zeit zu Zeit auf beiden Seiten öffnete und das Innere einer Dreschtenne zeigte, auf welcher ein halbes Dutzend schmucker Bursche und Mädchen lustig die Drischel im sechstheiligen Tacte klappern ließ. Auf dem nächsten Wagen befand sich ein Kahn, mit Fischern besetzt, deren einige die Ruder schwangen wie zum Wettfahren und Schifferstechen, während Andere eifrigst beschäftigt waren, Netze auszuwerfen und wieder einzuziehen, wieder Andere aber als Wasserjäger den Tauben nachschossen, die man von Zeit zu Zeit fliegen ließ, und welche die Möven vorstellen sollten, die es lieben, im Geröhricht der Bergseen zu nisten. Wieder ein Wagen war mit Felstrümmern künstlich zu einer Art Gebirge gestaltet; dazwischen auf einem kleinen, mit grünem Rasen ausgelegten Platze stand die Sennhütte und saß die Sennerin.

So kam noch manche hübsche Augenweide, manch stattliches Schaugepränge, bis als trefflicher Schluß die Bergschützen von Lenggries und Jachenau heranschritten, voran die Trommler mit den langen, schmalen Trommeln und den lustigen Schwegelpfeifen, und die alte Fahne, die den Söhnen der Berge schon zu der Schlacht in der Mordweihnacht von Sendling vorgetragen worden. Sie erregten nicht minder allgemeines Aufsehen und Wohlgefallen, als die Reiter und Wagen.

Der König aber kam die Stufen des Zeltes herunter, ließ den schmucken Hauptmann vor sich kommen und unterhielt sich mit ihm.

„Ein Kernschlag von Männern,“ sagte er zu seinen Begleitern, „das sind die echten Nachkömmlinge der Kämpfer von Sendling. Das giebt wieder ein stattliches Geschlecht, denn ich bin gewiß, ein so schmucker Bursche, wie dieser Hauptmann, hat sich auch einen ebenso schönen Schatz ausgesucht.“

„Ja, Herr König,“ sagte Martl mit einem Seitenblicke nach der Ecke, in welcher Stasi mit dem Vater stand. An einem Schatz thät’s nit fehlen, und an der Schönheit auch nit … Da steht sie im Eck, kannst sie selber anschaun, Herr König!“

„Die ist’s?“ sagte der Fürst vergnügt. „Dann hab’ ich es ja recht gut gemacht, daß ich die Leutchen hier untergebracht habe. Hast einen guten Geschmack, Bursche, – in der That ein bildhübsches Mädchen! Sehen Sie nur, meine Herren!“ fuhr er fort und wandte sich zu den bekreuzten und besternten Officieren und Beamten im Zelte, die sich zustimmend verneigten. „Nun, da wird’s wohl bald Hochzeit geben?“

„Ja, das ist justement noch nit ausg’macht,“ sagten Martl und Stasi wie aus Einem Munde, indem sie nach dem Bauer blickten, der in bodenloser Verlegenheit seinen Hut in den Händen hin und wieder drehte.

„Das ist wohl der Vater,“ fuhr der König, dadurch aufmerksam gemacht, fort, „und Ihr wollt wohl sagen, daß die Bestimmung der Hochzeit noch vom Vater abhängt? Also wann soll die Hochzeit sein, Alter?“

„Ja, Herr König,“ sagte der Bauer, als er endlich ein Wort hervorzubringen vermochte, „da hat’s halt einen Haken damit. Du mußt wissen, ich bin der Kurzenbauer am Berg in der Jachenau, und das da ist der Floßermartl aus’m Lenggries, und das ist noch nie g’schehn und darf auch nit sein nach einem alten Brauch, daß ein Fremder in die Gemeind’ hineinheirath’t.“

„Ah, ich verstehe,“ sagte der König, „die Nachbarn sind dagegen; Du aber, Alter, bist klüger, nicht wahr? Du willst den albernen Brauch abschaffen. Recht so,“ fuhr er fort, indem er dem Alten auf die Schulter klopfte. „Das lob’ ich; das gefällt mir … Nun, sorge dafür, daß die Hochzeit bald ist, und wenn das junge Paar einen Gevatter braucht, da komm’ nach München, Kurzenbauer, und laß mich’s wissen!“

Er winkte, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung, von den Scheibenschützen mit den Preisfahnen gedrängt, die auch an die Reihe kommen wollten, wie hinter ihnen die Rennpferde, Rennmeister und Rennbuben. Jauchzend zogen die Schützen hinweg, mit ihnen Stasi, die Martl nicht mehr von der Seite ließ, unmittelbar hinterdrein trabte der alte Bauer, der nicht wußte, wie ihm geschah.

Die Festfreuden, die noch kamen, der Volksjubel und die Erregung über das Pferderennen gingen an der Gesellschaft vom Kurzenhofe ziemlich unbeachtet vorüber; sie waren Alle zu sehr mit Dem beschäftigt was sie erlebt hatten, und noch mehr mit Dem, was nun noch kommen sollte. Stasi’s Antlitz war wie eine frisch aufgebrochene Rose; Freude, Hoffnung, Erwartung glühte in deren Blättern, und die leichten Schatten, welche Sorge, Furcht und Erregung dazwischen streuten, dienten nur dazu, die Schönheit der Färbung zu erhöhen. Sie sprach nichts vor innerer Bewegung, ebensowenig die Mahm, die es vor Rührung nicht konnte und der immerwährend die Lippen zuckten, als wolle sie zu weinen anfangen. Der Bauer war ebenfalls stumm; es war kein kleiner Kampf, den die geschmeichelte Eitelkeit mit dem angestammten und eingewurzelten Vorurtheil in seinem Innern ausfocht; er brummte nur halblaut mit sich selbst und gesticulirte eifrig vor sich hin, bald grimmig die Faust ballend, bald sich mit honigsüßem Lächeln zu einem unterthänigen Bückling anschickend.

Vor der Schenke zum Raben beim Tölzer Wirth sank endlich die letzte Hülle des Räthsels. Noch immer stumm saßen die Drei um den ebenfalls stummen Bierkrug, der sich über die Vernachlässigung zu wundern schien, die ihm zu Theil wurde, als festen Schrittes und blitzenden Auges, umgeben von seinen Schützen, Martl hinzutrat. „Ich hab’s gesagt, daß ich wiederkomm’,“ rief er. „Da bin ich jetzt, Kurzenbauer, und frag’ Dich, ob Du noch so red’st wie zuvor?“

„Wie werd’ ich denn reden?“ antwortete der Bauer, sich zusammennehmend und mit absichtlich erhobener Stimme, als wolle er sich dadurch selbst alles Schwanken und einen etwaigen Widerruf unmöglich machen. „Kreuzbirnbaum und Hollerstauden! Hast denn nit gemerkt, daß ich Dich nur gestimmt hab’? Da ist unser Herr König ein anderer Mann – der hat nur gleich über’s

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