Seite:Die Gartenlaube (1871) 255.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


die weißen Spinnweben, die der Herbst zum Zeichen seiner Ankunft an ihnen flattern ließ, nicht ein Wittwenschmuck, sondern ein Brautschleier, den die Erde zur Frühlingshochzeit angelegt. Der Himmel war so blau und die Luft so mild wie im Auswärts, und die beschneiten Bergrücken standen hell und sonnig, als hätten sie die Winterlast nicht eben erst auf sich genommen, sondern gingen schon wieder der Befreiung von ihr entgegen – es geschieht wohl öfter, daß ein Leben, das schon dem Ende zuneigt, sich noch einmal auf seine Jugend besinnt, und daß bei dem Gedanken noch ein letztes Mal Reiz und Schimmer der Jugend über die verwelkten Züge und den verblichenen Scheitel gleiten.

Auf dem Wägelchen saßen drei Personen, sämmtlich in Gott vergnügt, wie sie seit Monden nicht gewesen. Der Kurzenbauer ließ die Pferde traben und auftreten, als ob es gälte, noch in der nächsten Stunde das Ziel der Reise zu erreichen; hinter ihm, neben der Schwester, saß Stasi im schönsten Sonntagsstaat und in einer Stimmung, die nicht minder sonntäglich war, denn es geschah, woran Niemand seit langer Zeit sich zu erinnern vermochte – sie lachte hell auf und fing sogar halblaut zu singen an. Dem Alten ging das durch’s Gemüth, wie Schwalbenzwitschern im März, daß er nahe daran war, einzustimmen und mitzubrummen – er ließ es aber nicht merken, sondern lachte nur in sich hinein, denn darin irrte er sich gewiß nicht – die Weise, die sie sang, war ihm wohl bekannt – sie gehörte dem Schnaderhüpfel, das er neulich vom Schießen heimgebracht, und das ihr, so sehr sie auch anfangs darüber geschmäht, insgeheim doch gefallen haben mußte, denn das „Ueber’m Baum, unter’m Baum“ war mitunter ganz deutlich zu verstehen. Zum eigentlichen, hellen Singen kam es freilich nicht; immer nach den ersten Tönen war es, als ob der Sängerin etwas in die Kehle gekommen, was sie plötzlich verstummen machte. Die Base saß neben ihr und that, als habe sie nicht ausgeschlafen und müsse nickend den Morgenschlummer nachholen; dabei fand sie Gelegenheit genug, unter den Wimpern hervorzublinzeln und mit einem Blick auf das Antlitz der Nachbarin zu prüfen, ob die rothen Wangen, welche dort sichtbar zu werden anfingen, von der scharfen Morgenluft gefärbt oder von innen neu aufgegangene Rosen waren.

Stasi war unverkennbar aus dem langen ungewissen Schwanken zu einem Entschlusse gekommen – ein jeder Entschluß aber, und wäre sein erster Anblick noch so schmerzlich, hält hinter einer Maske immer das Antlitz eines Friedensengels verborgen.

So ging die Fahrt zwar meist schweigsam, dennoch aber fröhlich und rasch von statten, und der Abend dunkelte noch nicht völlig, als das leichte Wägelchen schon aus dem tannengrünen Hachinger Forst heraus gegen den Rand der Isarhöhen heranrollte, und vor seinen Insassen die Thürme von München emporstiegen, umlagert von Duft, Nebel und Qualm und überragt von den braunen Kuppelsäulen der Frauenkirche. Trotz der Dunkelheit war es noch lebendig in allen Gassen. Der Ruf der besonderen Pracht, mit welcher das Fest in diesem Jahre gefeiert werden sollte, hatte noch größere Volksmengen, als sonst, herbeigelockt, und auch das Wetter, das so spät im Jahre schon manchmal die Freude verdorben, verhieß, das Seine zum Gelingen des Festes beitragen zu wollen.

Die Erwartung wurde auch nicht getäuscht.

In tadelloser Schönheit lag am andern Morgen der Herbst auf der Festwiese, und lang vor Beginn des Festes war die sie umkränzende Hügelreihe schon Kopf an Kopf mit einem dichten Menschengewimmel besetzt, und noch strömte es über die Wiese heran von allen Seiten nach, als sei die ganze Stadt und das halbe Land auf der Wanderung, das seltene Schauspiel nicht zu versäumen.

Besonders lebhaft ging es auf dem Hügel selbst zu. Dort hatte, wie jedes Jahr, der Wirth von Thalkirchen seine Schenke aufgeschlagen, zwar nur aus rohen Brettern gezimmert und einer Scheune ähnlicher als einem Gasthause, dennoch aber fast immer von Gästen belagert, denn Meister Halbinger, der Wirth, ließ jedes Jahr seine Fässer in dem damals bierberühmten Tölz füllen, dessen Stoff selbst die damals noch unerreichte Münchener Bierbrauerei zu überflügeln drohte. Die feinsten Städter drängten sich, einen Krug an der Schenke zu erkämpfen, die kein anderes Abzeichen trug, als eine schwarze Tafel, auf der mit Kreide „Tölzer Bier“ angeschrieben war, und darüber einen ausgestopften Raben, der auf die Schenke und das Gewühl davor spöttisch heruntersah, als sei es seine Aufgabe, die Fässer zu zählen und zu überwachen, die von Viertelstunde zu Viertelstunde schwerfällig herangewälzt wurden, um bald darnach spielend und hüpfend hinwegzukollern. Die größte Zahl von Gästen stellte aber doch das Oberland; denn Wirth Halbinger war aus dem schönen Tegernsee nach der Stadt übergesiedelt, und Alles, was aus den baierischen Bergen kam, machte daher dem bekannten und erprobten Landsmann seinen Besuch; und auch die Jachenauer Burschen hatten dort ihren Sammelpunkt. Es war also ganz natürlich, daß auch der Kurzenbauer mit seinen Weibsleuten dort seine Einkehr zu nehmen vorhatte, und daß man unter sich die feste Verabredung traf, wenn man etwa durch das Gedränge voneinander getrennt werden sollte, sich oben beim Halbinger entweder vor dem Festzuge oder doch nach dem Pferderennen wieder zusammenzufinden. Diese Vorsicht erwies sich auch sehr bald als höchst zweckmäßig, denn Wunsch und Geschmack der Drei stimmten nicht eben besonders überein. Während der Kurzenbauer sich nicht nehmen ließ, die in den blauweißen Ständen auf der Wiese hinter dem Königszelte aufgestellten Preispferde zu bewundern, fühlte die Schwester sich mehr auf die andere Seite gezogen, zu den Kühen mit den stattlichen Halsbändern, den bekränzten Hörnern und den melodisch bimmelnden Glocken; Stasi aber fand mehr Wohlgefallen an der Bude, in welcher gegenüber schöne bunte Tücher aus inländischer Seide feilgeboten oder durch ein Glücksrad ausgeloost wurden. Ehe sie sich’s versahen, waren die Drei getrennt und Jedes auf sich selber angewiesen.

Die Mahm war die Erste, welche, des Gewühls müde werdend, den Hügel zum Tölzer Wirth hinanstieg, um die Anderen zu erwarten, die ja doch wohl bald nachkommen mußten. Die Tische vor der Schenke waren eben nicht besetzt, nur seitwärts in der Ecke hatten ein paar Männer Platz genommen, die schon durch den Gegensatz ihres Aussehens die Aufmerksamkeit der Alten auf sich gelenkt haben würden, hätte sie auch nicht sofort in dem Einen den Störenfried oder den guten Engel des Hauses, den verhaßten Flößer-Martl aus Länggries erkannt, der in der Tracht als Hauptmann der Bergschützen noch schöner und stattlicher aussah, und fast mehr einem wirklichen Officier, als einem Bauern glich. Der lange hellgrüne Rock mit den thalergroßen, überzogenen Knöpfen von gleicher Farbe, war an Nähten und Knopflöchern zierlich mit gelber Seide ausgenäht, ebenso die Weste und das bis an’s Knie reichende weite Beinkleid; an dem breiten, gleichfalls grasgrünen Hute und dem darum geschlungenen Bande aber war die Seide durch Fransen, Schnüre und Quasten von Gold vertreten. Zum Zeichen seiner Hauptmannswürde prangten auf dem grünen Stehkragen des Rockes drei stattliche Goldborten; auf dem Hute aber neben Spielhahnfeder, Gemsbart und Adlerflaum erhob sich ein stattlicher weißer Federbusch mit blauer Spitze, während an einem über der Weste befestigten Gürtel das Commandoschwert herunterhing – ein alter stattlicher Reitersäbel – wohl eine Kriegsbeute aus längst vergangener Zeit und ihren Kämpfen – um den Hals, an einem silbernen Kettlein hing wie ein Orden die Kapsel mit dem Glasdeckel und dem Sechser darunter. Die Mahm betrachtete den Burschen nach allen Seiten; war er ihr doch durch Alles, was sie von ihm wußte und ahnte, merkwürdig genug geworden, als daß sich nicht der Wunsch in ihr hätte regen sollen, ihn in nächster Nähe zu beobachten, ja vielleicht Gelegenheit zu einer kleinen Zwiesprach zu erhalten oder doch den Inhalt der Unterredung zu erhaschen, die er mit seinem Cameraden führte, und die nach dem Eifer, mit dem sie geführt wurde, immerhin etwas sehr Wichtiges zum Gegenstande haben mußte.

Der Camerad sah durchweg aus, als wäre er eigens ausgesucht worden, um als Gegenstück des schmucken Burschen zu dienen; wie Martl auf dem Ansteig des Lebens sich befand, wandelte er schon stark auf dessen Niedersteig. Dichtes Haar hing um ein bartumwachsenes, verwittertes Gesicht; aber Haar und Bart waren wüst und grau. Im Eifer des Gespräches hatte der Mann den alten Hut achtlos hinter sich auf den Tisch geschleudert, daß er im Rücken Beider lag – er brauchte auch keine Sorge um denselben zu haben; denn der Filz war ebenso brüchig und löcherig, als der ganze Anzug fadenscheinig und abgetragen aussah. Unbeachtet stellte die Mahm ihren Krug auf den Tisch nebenan und setzte sich so, daß sie dem Paare den Rücken zuwendete.

„Für so dumm wirst mich nit halten,“ hörte sie den Schützenhauptmann

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_255.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)