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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Die Stimme des Sprechenden war bei den letzten Worten aus ihrem spöttischen Tone unwillkürlich zum Ernst übergegangen, Alison, der schweigend zugehört, nahm jetzt seinen Hut vom Tische.

„Sie haben es gehört, ich darf meine Abreise nicht verschieben, es rufen mich auch in der That dringende Geschäfte nach Newyork. Wenn der Fall eintritt, den wir erwarten müssen, so stehen ja Sie Miß Forest zur Seite. Wenn jedoch,“ hier machte sich Alison mit dem Zuknöpfen seiner Handschuhe zu thun, „wenn sich in Bezug auf das Ordnen des Nachlasses oder sonst irgend wie Schwierigkeiten herausstellen sollten, so wird mein Vater gern bereit sein, mit seinem vollen Einfluß und seiner ganzen Geschäftskenntniß einzutreten. Es dürfte wohl überhaupt gerathen scheinen, daß er den Interessen der künftigen Tochter nicht fremd bleibt, da ich durch meine Reise verhindert werde, sie kennen zu lernen.“

Derselbe Spott wie vorhin blitzte wieder in Atkins’ Augen, als er sarkastisch erwiderte: „Ich danke verbindlichst für das Anerbieten, aber das Vermögen bleibt laut Testament in meinen Händen, und folglich wird es sich auch in vollkommener Ordnung befinden. Sie und Ihr Vater werden sich wohl noch ein Jahr lang gedulden müssen, so lange, bis Miß Jane Ihnen die Mitgift selbst in’s Haus bringt. Inzwischen kann ich Ihnen jedoch die Beruhigung geben, daß Mr. Forest in der That sehr reich ist, reicher sogar, als Sie ihn schätzen – und um das war es Ihnen bei dem gewünschten Einblick in unsere Verhältnisse doch wohl hauptsächlich zu thun.“

Alison machte eine heftige Bewegung. „Mr. Atkins, Sie sind bisweilen ganz entsetzlich rücksichtslos!“

„Weshalb?“ fragte dieser in unzerstörbarer Ruhe. „Nehmen Sie das als einen Vorwurf? oder meinen Sie, ich könnte Ihnen im Ernst die Thorheit zutrauen, eine junge Lady ohne Vermögen zu heirathen, jetzt, wo der großartige Aufschwung Ihres Handlungshauses und die Verbindungen, die Sie in Europa anknüpfen wollen, Ihnen das Capital doppelt nothwendig macht? Nein, Henry, da hege ich denn doch eine zu hohe Meinung von Ihnen, um Sie dieser unpraktischen Romantik für fähig zu halten.“

Alison wandte sich um und sah ihn forschend an. „Ich habe allerdings als Theilnehmer und dereinstiger Chef unseres Hauses selbst bei der Wahl einer Gattin Rücksicht zu nehmen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, wenn das Vermögen Miß Forest’s nur einigermaßen meinen Erwartungen entspricht, so ziehe ich sie unbedingt jeder reicheren Erbin vor.“

Atkins lachte. „Das glaube ich Ihnen ohne Schwur, Henry! Sie haben ziemlich arg Feuer gefangen, mich soll nur wundern, ob Sie es auch aus unserer schönen kalten Miß hervorlocken werden, bis jetzt ist sie noch etwas kühl. Nun, das wird sich geben; jedenfalls ist es ein Glück, wenn der Kaufmann und der Liebhaber nicht in Conflict gerathen, und hier ergänzen sie sich vollständig. Noch einmal, ich gratulire Ihnen dazu.“ –

Jane hatte, als sie die Beiden verließ, rasch mehrere Zimmer durchschritten, und betrat nun ein halbdunkles, ebenfalls reich sind prachtvoll ausgestattetes Schlafgemach. Ueber den Teppich hingleitend näherte sie sich dem Bette und schlug die schweren Vorhänge desselben zurück.

Jetzt zeigte es sich, woher jener seltsame Zug in dem Antlitz des jungen Mädchens stammte, der es denen ihrer Altersgenossinnen so unähnlich machte; der finstere Ernst, die kalte Festigkeit, der energische Stolz, das Alles fand sich, unverwischt und ungemildert durch die Spuren der Krankheit, in dem Gesicht des Mannes wieder, der hier auf den Kissen lag. Er wendete langsam das Haupt nach der Tochter, die sich über ihn beugte.

„Man hat mir den Arzt erst jetzt gemeldet, er war allein bei Dir, und ich wollte doch zugegen sein. Hattest Du das so befohlen, mein Vater?“

„Ja, mein Kind! Ich wollte einen Ausspruch von ihm hören, den er mir in Deiner Gegenwart schwerlich so unumwunden gegeben hätte. Ich weiß jetzt, daß ich nur noch Tage zu leben habe.“

Jane war an dem Bette auf die Kniee gesunken und drückte ihr Haupt in die Kissen, sie antwortete nicht, aber ihr ganzer Körper bebte in einem gewaltsam zurückgedrängten, thränenlosen Schluchzen. Der Kranke blickte auf sie nieder.

„Sei ruhig, Jane! Dich kann der Ausspruch so wenig überraschen, wie mich, wenn wir Beide auch vielleicht auf eine längere Frist hofften. Es muß sein, und Du wirst mir die Nothwendigkeit des Scheidens nicht durch Thränen erschweren wollen.“

„Nein!“ Sie richtete sich plötzlich auf und blickte den Vater an, der Schmerz war mit vollendeter Selbstbeherrschung unterdrückt, kaum daß ihre Lippen noch zuckten; der Kranke lächelte, aber es lag etwas wie eine leise Bitterkeit in diesem Lächeln, vielleicht hätte er es lieber gesehen, wenn sie nicht so schnell hätte gehorchen können.

„Ich habe mit Dir zu sprechen, mein Kind, und ich weiß nicht, wie viel ruhige, schmerzfreie Stunden mir noch beschieden sein werden. Komm näher zu mir und höre mich an.“

Jane gehorchte, sie nahm an der Seite des Bettes Platz und wartete schweigend.

„Ich kann Dich ruhig zurücklassen, denn ich weiß, daß Du trotz Deiner Jugend keiner Stütze und keines Vormundes bedarfst. Was die äußeren Angelegenheiten betrifft, so hast Du Atkins zur Seite; seine sarkastische, ewig spottende Natur ist mir nie sympathisch gewesen, seine Redlichkeit und Anhänglichkeit aber habe ich in einem fast zwanzigjährigen Zusammenleben erprobt. Du weißt, daß er längst ein eigenes Vermögen gesammelt hat und es dennoch vorzog, in unserem Hause zu bleiben, er wird auch Dir zur Seite bleiben, bis Du in den Arm eines Gatten übergehst, was vielleicht bald –“

„Mein Vater!“ unterbrach ihn Jane ruhig, „ich habe Dir eine Mittheilung zu machen, Du weißt, daß Mr. Alison bei mir war – er hat um meine Hand gebeten.“

Der Kranke richtete sich mit dem Ausdruck lebhafter Spannung empor.

„Und Du?“

„Ich habe sie ihm zugesagt.“

„So?“ Forest sank wieder in die Kissen zurück, er schwieg.

Befremdet beugte sich Jane über ihn. „Bist Du damit nicht einverstanden? Ich glaubte Deiner Billigung im voraus gewiß zu sein.“

„Du weißt, Jane, daß ich Dich in der Wahl Deines Gatten weder beschränken noch beeinflussen werde. Es ist Deine Zukunft, und ich bin überzeugt, Du hast nicht ohne ernste Ueberlegung darüber entschieden.“

„Nein! Der Antrag kam mir nicht unerwartet. Ich habe unbedingtes Vertrauen zu Mr. Alison’s Charakter und zu seiner Zukunft, seine Familie gehört zu den ersten der Stadt, seine Lebensstellung ist glänzend, und ich bin gewiß, daß sein kaufmännisches Genie ihm später eine bedeutende Rolle in der Handelswelt ertheilen wird. Scheint Dir das nicht hinreichend, mein Vater?“

„Mir? Wenn es Dir genug ist!“

Jane richtete ihre dunklen Augen mit dem Ausdruck des Erstaunens auf den Vater, was sollte denn sonst noch von einer Ehe zu fordern sein? Forest lächelte wieder, mit derselben Bitterkeit wie vorhin.

„Du hast Recht, Jane, vollkommen Recht! Ich dachte nur an meine eigene Brautwerbung und an das Jawort Deiner Mutter. Gleichviel! Mr. Alison besitzt in der That alle die Eigenschaften, die Du genannt, Du bist ihm darin mehr als ebenbürtig, Ihr werdet sehr – zufrieden miteinander sein.“

„Ich hoffe es!“ und Jane begann jetzt, dem Vater die Bedingung mitzutheilen, die sie ihrem Verlobten auferlegt, und die Frist, welche sie ihm gestellt hatte. Forest folgte mit lebhafter Aufmerksamkeit ihren Worten.

„Das ist mir lieb! Du kamst, ohne es zu wissen, meinen Wünschen entgegen mit diesem Entschluß, denn auch ich habe Dir eine Bedingung aufzuerlegen. Was würdest Du sagen, wenn ich von Dir verlangte, dies Jahr, in welchem Du noch frei bist, in Deutschland bei unseren dortigen Verwandten zuzubringen?“

Mit dem Ausdruck peinlichster Ueberraschung erhob sich die junge Dame von ihrem Sitze. „In Deutschland? Ich!“

„Ja, Du liebst Deutschland nicht?“

„Nein!“ sagte Jane kalt, „so wenig wie Du, mein Vater. Ich liebe das Land nicht, das Deine Jugend vernichtete, Dein Leben verbitterte sind Dich zuletzt ausstieß, wie einen Verbrecher. Ich habe es der Mutter nie verzeihen können, daß sie ohne Verständniß für Alles, was Du dort gelitten, immer nur daran hing, und Dich und sich grenzenlos unglücklich machte mit diesem unvertilgbaren Heimweh.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_227.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2017)