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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 13.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Die zankende Stimme des Mädchens, die laut und gellend aus der Stube erklang, unterbrach den Sprechenden. „Steh’ auf, Lipp,“ sagte die Schwester lachend, „und geh’ hinein! Du hörst ja, daß es noch nit so gefährlich ist – ihrem Stimmstock wenigstens fehlt nix.“

Der Bauer erhob sich und eilte, so rasch er konnte, in die Stube; die Mahm folgte langsam und kopfschüttelnd. „Zum Sterben ist’s nit mit dem Mad’l,“ sagte sie vor sich hin; „aber sie kommt nit ’runter von der Alm, wie sie hinauf’gangen ist – das ist gewiß! Vielleicht hat mein Zureden doch was geholfen; oder es ist, wie ich mir denk’ – es ist warm ’worden in ihr – die Rinden ist gesprungen … ich mein’ alleweil, der Eisstoß will gehn.“

Die Witterungskunde trog die kluge Base nicht. In der That waren die Tage, welche jetzt auf dem Kurzenhofe folgten, nicht so sehr schlimm, als sie sich dieselben vorgestellt hatte, dennoch war in ihnen nicht allzuviel von der friedlichen Behaglichkeit zu sprechen, die der in sein schönes Töchterlein vergaffte Vater sich ausgemalt hatte. Sie hatten wirklich Aehnlichkeit mit dem Wetter des beginnenden Frühlings, wo bald trübes Gewölk vom Sturmwind über den Himmel gejagt wird, bald Regen herniedergießt, und Schneeflocken, die letzten Geschosse des noch auf dem Rückzuge kämpfenden Winters, darunter hineinwirbeln, wo manchmal der Frost über Nacht die schlafende Erde in demantene Ketten schlägt, die die erste Morgenstunde sprengt; wo aber das Alles doch nichts Anderes mehr ist, als der Kampf um eine verlorene Sache. Die Sonne ist schon zu mächtig, vor ihrer unwiderstehlichen Gluth schmilzt alle Erstarrung, und träufelnd und befruchtend wird gerade das, was zum bittersten Verderben gemeint war, zum Segen. Der Frühlingseinzug ist nicht mehr aufzuhalten, die Gräser lassen es sich nicht wehren, dem beglückenden Sieger ihren grünen Teppich unter den Fuß zu breiten, Baum und Strauch wetteifern, Knospen zu treiben und zu öffnen, damit es nicht an Blattgewinden und Blumen fehle beim Einzug. Aehnliches begab sich in Stasi’s Gemüth. Das Eine war schon in der ersten Stunde Allen klar geworden: sie war nicht zurückgekommen, wie sie gegangen.

Während sonst trauriger Eigensinn und widersprecherische Herrschsucht die überwiegende und ständige Stimmung gebildet, hatte jetzt der Wechsel die Oberhand; die Sturmzeichen waren nicht seltener als sonst, aber das Gewitter, das sie verkündeten, kam meistens gar nicht zum Ausbruch, sondern verzog sich mit einigem Wetterleuchten und verschwand ganz und gar, wie wenn in den oberen Luftschichten der Wind umspringt und ein Gewölk verjagt, dessen Entladung man schon gewärtig war. Stasi kämpfte mit sich selbst einen schweren Kampf. Zur Erkenntniß ihrer Unart erwacht, bemühte sie sich, gut und sanftmüthig zu sein, und die unangenehmen peinlichen Auftritte der alten Art, an denen immer noch kein Mangel war, waren nur vorübergehend und kurz, wie verloderndes Feuer, dem die Nahrung entzogen wird, ober wie versiechendes Wildwasser.

Noch am Abend ihrer Ankunft hatte sich das gezeigt, als man sie in die Wohnstube brachte, an welche seitwärts die Kammer stieß, in der sie und die Mahm ihre gewöhnliche Lagerstätte hatten. Der Knecht und die Magd, die sie geführt, wollten sie dahin geleiten; aber sie litt es nicht, stieß beide unsanft zurück und jammerte laut, daß man sie in eine dunkle Kammer sperren und schon bei lebendigem Leibe begraben wolle. Der verschüchterte Vater suchte sie zu begütigen, als er nachgekommen und die Base redete ihr zu, sie solle sich’s nur die Eine Nacht noch in der Kammer gefallen lassen, am andern Morgen könne sie dann nach Belieben das Zimmer aussuchen, in dem sie ihr Bett aufgeschlagen haben wolle. Es bedurfte aber all’ dieser Bemühungen nicht; denn schon die ersten Worte genügten, den Sturm verflattern und den Strom vertrocknen zu machen. Stasi nahm schweigend den Arm der Base und hinkte der Kammerthür zu.

„Sie ist ganz ruhig in’s Bett ’gangen und hat sich auf die andere Seiten gelegt, als wenn sie schlafen wollt’,“ flüsterte die Base, als sie nach kurzer Zeit aus der Kammer zurückkam. „Ich hab’ ihren Fuß angeschaut; er ist um den Knöchel herum stark angeschwollen – sonst ist nix daran zu sehn. Ich hab’ ihr ein Bissel Baldrianwasser übergeschlagen, und eh’ acht Tag’ in’s Land gehn, wird sie wieder so munter auf die Bein’ sein, wie ein Hirschel …“

Der Vater schien diese freudige Hoffnung noch immer nicht theilen zu können; er näherte sich der Thür und klopfte leise daran. „Gut’ Nacht, Stasi!“ rief er und erschrak förmlich, als die Stimme seiner Tochter freundlich und in fast weichem Tone mit einem „Gut’ Nacht, Vater!“ erwiderte, das sich anhörte, als wäre es durch verhaltene Thränen gesprochen. Ihm selber stand das Weinen nahe; so hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht zu ihm gesprochen. „Ich bleib’ dabei,“ sagte er vor sich hin, indem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_209.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)