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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Zwischenräumen das kohlschwarze Hintertheil eines versunkenen Nachens kerzengerade in die Höhe. Er schwamm eine Weile gleichsam unschlüssig hin und her und sinkt dann langsam, träumerisch in das nasse Fluthengrab zurück.

Versetzen wir uns im Geiste oder mit Hülfe eines soliden Fernrohrs in den Mittelpunkt dieser idyllischen Landschaft, zu jenem alten, wellenumspülten Weidenstumpf, denn dieser bildet gewissermaßen die einzige Basis unserer Erzählung. Unser Held aber ist kein anderer als Reineke Fuchs, der, vom falschen Wasser betrogen, nach langer Irrfahrt hier ein Asyl fand.

Wenn das Wasser nur nicht so abscheulich naß wäre, hätte er sicher längst schon den Versuch gewagt diesen Fluthen zu entrinnen. Irgendwo muß der Schwindel doch ein Ende nehmen und das feste Land wieder anfangen. Er lugt aufmerksam in die Ferne und schüttelt sich heftig.

Eine vorüberfliegende Krähe hat dies auffällige Geräusch vernommen, sie kreiset über dem Baume und sobald sie ein rothes Haar vom Fuchs entdeckt, geht der Spectakel los. Sie schlägt Lärm, binnen zehn Minuten sind sämmtliche Krähen des Regierungsbezirkes über der Kopfweide versammelt. Ein vorwitziges Exemplar vergißt sich in seinem Hasse, von oben herab durch’s Gezweige auf Reineke zu stoßen. Schnapp! bald hätte er sie erwischt! – die Krähe entflattert mit Mühe – die schwarze Rächerschaar dort oben erhebt einen Höllenlärm.

Reineke thut als ob nichts vorgefallen, die Krähen ermüden endlich und zerstreuen sich nach allen Himmelsrichtungen. – Der Fuchs putzt sich die Federn aus der Schnauze und tröstet sich damit, daß eine Krähe doch eigentlich ein schlechtes Essen sei. In besserer Zeit sei dieselbe niemals auf seinem Speisezettel angeführt, selbst im harten Winter sei ihm eine alte, trockene Schuhsohle gerade so lieb gewesen. – Darauf rollt er sich cirkelrund zusammen, klemmt die Nase unter den linken Hinterlauf und schlägt die buschige Lunte querüber, so daß kaum das rechte Auge aus dem Pelzkragen hervorschielt. „Er denket fromm, Gott giebt’s im Schlaf den Seinen,“ und schnarcht denn auch bald wieder, wie eine Holzsäge. –

Der Abend kommt – ein dichter weißer Nebel lagert über der weiten Wasserfläche und steigt dampfend aufwärts. Da tönt fernes Gänsegegacker durch die nächtliche Stille. Reineke horcht auf – „Gänse?! – die müssen oben bei Heerdt in’s Fahrwasser gerathen und hier herunter getrieben sein.“ – Das Gegacker nähert sich. – „Aha! die suchen hier Schutz zwischen den Weiden – jetzt heißt’s aufgepaßt!“ Der Lärm wird stärker, „gack, gack, gihgak, griht, gröht,“ tönt es ringsum durch den Nebel. Da sind sie! – O! die Täuschung! es sind Wildgänse, welche bekanntlich die fatale Eigenschaft des Fliegens besitzen. Näher rückt das mächtige Geschwader – regelrecht in zwei gleiche Colonnen getheilt, mit schwerem, taktmäßigem Flügelschlage – bald grau bald weiß, je nachdem sich die Schwingen senken oder heben. Jetzt ziehen sie mit betäubendem Lärm gerade über Reineken dahin – griht, gröht, gih–gahk! nichts als Himmel und Gänse!! – Sie sind kaum ein Fuß über den Zweigen der Kopfweide – viel zu hoch für den armen, hungrigen Schelm da unten!

Reineke schaut wehmüthig zu, wie die Federn abermals das Fleisch von dannen tragen, doch weiß er sich zu fassen. „Die sind jedenfalls thranig,“ meint er – „ja! wenn’s zahme Gänse wären!“

Die Gänse trompeten noch eine Weile in der Ferne, dann wird’s still. Reineke ruht bald wieder in Morpheus’ Armen, er träumt sicher von Lätare und dem kommenden Frühling, von Waldschnepfen, Kibitzeiern, von den kleinen, flinken Grashüpfern und was sonst die ganze Saison an schönen Gottesgaben mit sich bringen mag. Dabei fährt das schmale rothe Züngelchen fortwährend höchst begehrlich über die spiegelblanke Nase.

Da plätschert und kraspelt es unten im Wasser und am Weidenstamm. Reineke fährt erschrocken zusammen – sollte da so’n verwünschter Dorfspitz in’s Wasser gerathen sein und hier herauf wollen? – Das fehlte gerade noch!

Das Gekraspel wird stärker.

Reineke hebt vorsichtig den Kopf und schaut besorgt hinunter. Seine Züge erheitern sich plötzlich, der neue Ankömmling dort unten ist wahrhaftig – ein Hase! ein leibhaftiger, greifbarer, fetter Lepus timidus! – allerdings sehr durchnäßt von der langen Wasserfahrt, aber sonst doch ganz appetitlich anzuchauen! Der Hase scheint dem Ding nicht zu trauen – vielleicht „wittert es hier zu sehr nach Fuchs“, er ist unschlüssig, ob er weiter hinauf klettern oder umkehren soll. Er wünscht vor allen Dingen Klarheit in den Verhältnissen.

Doch wir bemerken mit Schrecken, daß wir ganz unbewußt in’s Gebiet der reinen Thierfabel gerathen sind und den dünnen naturalistischen Leitfaden unserer Erzählung bereits verloren haben. Schließen wir also unsere kleine Humoreske mit dem Hinweis auf das beigegebene Bild und überlassen das Weitere der Phantasie des freundlichen Lesers.

Nachträglich sei noch erwähnt, daß das Motiv unserer kleinen Erzählung der Wirklichkeit entlehnt ist, allein hier einen ganz unerwarteten Verlauf nahm. Es ward nämlich während einer Ueberschwemmung ein Fuchs dicht neben einem Hasen in friedlicher Eintracht sitzend auf einer Kopfweide entdeckt. Augenscheinlich war der Fuchs durch die total veränderten Terrainverhältnisse derartig in Furcht gesetzt, daß er seinen Nachbar völlig ignorirte. Er harrte mit Ungeduld auf den ersten günstigen Moment, wo er sich aus der unerträglichen Situation retten könne. Die hervorstechendste Eigenschaft im Charakter des Fuchses ist weder seine sprüchwörtlich gewordene List und Tücke, noch die Mordlust – sondern das Mißtrauen und die stete Besorgniß um das eigene werthe Ich. Alles Andere ist untergeordnet und kommt erst nachträglich und bedingungsweise zum Vorschein. Dem Uebersehen derartiger Eigenheiten aber, wie der Unbekanntschaft mit den vererbten und erworbenen Gewohnheiten der Thiere verdanken wir die Unzahl mißverstandener Thier-Anekdoten, welche nur dazu dienen, unsere äußerst dürftige Kenntniß der Geistesthätigkeit der Thiere noch mehr zu verwirren.




Schulkindkrankheiten oder Schulkrankheiten?
Ohne phosphorhaltiges Gehirn kein Verstand, kein Gemüth, kein Wille, also keine geistige Thätigkeit.
Strafpredigt für Eltern, Lehrer und Schulvorsteher.
VI. Blut- und Blutlaufsleiden.


Die Quelle des Lebens ist das Blut. Nur, wer sich der gehörigen Menge guten Blutes erfreut und bei wem sich dieses Blut im richtigen Laufe durch den Körper befindet, nur Der kann leben und gesund sein. Es ist sonach eine Hauptaufgabe für Jeden: die Blutbildung und den Blutlauf innerhalb seines Körpers in Ordnung zu halten und Alles zu vermeiden, was störend auf die Menge, die Beschaffenheit und den Lauf des Blutes einwirken könnte. Daß dies nun aber die allermeisten Menschen nicht verstehen und daß deshalb ein so jämmerliches Menschengeschlecht existirt, das fällt als Schmach und Schande auf die Schule und die Lehrer zurück. Die große Mehrzahl der letzteren, zu denen auch Directoren von Lehrerbildungsanstalten, von Volks- und höheren Schulen gehören, sie sollten sich schämen, daß sie in ihrem lächerlichen Dünkel auf ihr pädagogisches Wissen die Kenntniß der im Weltall und im Menschen herrschenden Naturgesetze viel zu wenig achten und der Lehre vom Baue, Leben und der Pflege des menschlichen Körpers viel zu wenig Werth beilegen. Daher kommt es denn aber auch, daß sie ebenso wenig das körperliche wie das geistige Wohl des Schulkindes gehörig zu wahren, noch auch dem Schüler die für’s Leben nöthige Kenntniß von der Gesundheitspflege beizubringen verstehen. Nur der Gesunde vermag aber sein und seiner Mitmenschen, sowie seiner Nachkommen Wohl zu fördern, denn das, was er dazu bedarf: einen klaren Verstand, einen kräftigen Willen und ein echt menschliches Gemüth, diese können nur in einem gesunden Körper (mit phosphorhaltigem Gehirn) durch richtige Gewöhnung allmählich herausgebildet werden.

Die gehörige Menge guten Blutes ist nun vorzugsweise im Schulalter des Menschen ein Haupterforderniß, denn in diesem Alter wird ebensowohl zum Wachsthum des ganzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_194.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)