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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


nehmen – wird es nicht mehr es unter seiner Würde halten, sich mit uns zu befreunden. Wollen wir Frankreichs Freundschaft, müssen wir ihm Elsaß und Lothringen nehmen. Wir haben ein Recht darauf, und ein ehrenhafter Mann, der etwas auf sich hält, läßt sich sein Recht nicht nehmen. ‚Nur die Lumpen sind bescheiden‘; nur die Lumpen achten das Ihre nicht und wissen es sich nicht zu erhalten.“

Der Arzt sah, daß er mit seiner Art, die Dinge anzuschauen, nicht aufkam. Doch nahm er’s gelassen auf, lächelnd in der stolzen Sicherheit, daß sehr bald Alles eine andere Wendung nehmen und die Republik die „eingedrungenen Horden“ vom „heiligen“ Boden Frankreichs fortkehren werde.

Als er gegangen war, fiel ich in meine schmerzlichen Grübeleien zurück. Der Mann hatte von der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland geredet! War sie möglich, wenn zwei junge Herzen, die doch im Grunde nichts trennte, als daß der Krieg zwischen ihren Völkern ausgebrochen war, diese Versöhnung nicht einmal finden konnten?

Der Krieg! Er war wie ein böser Genius, den die Hölle ausgesandt hatte, um sein entsetzliches Gift auf Alles, was da lebte, blühte und gedieh, auszuspritzen, auf jede Frucht, auf jedes Glück, auf jeden frohen Menschenkreis und in jedes warm schlagende Herz!

Ich hatte es nie so gefühlt, nie hatte mich so ein Grauen darüber angewandelt – es war freilich sehr egoistisch, daß ich’s jetzt erst so im tiefsten Innern fühlte, jetzt, wo’s mich selber traf.

Es drängte mich in die frische Luft, in’s Weite; ich ließ mein Pferd satteln und ritt mit zweien von meinen Leuten, um über die Oignonbrücke hinaus eine Streiferei auf dem andern Ufer des Flusses zu machen.

Als ich nach einer Stunde heimkam, fand ich auf dem Tische in meinem Zimmer einen Brief liegen. Ich kannte die Hand nicht – aber es war offenbar eine Frauenhand, und in größter Aufregung erbrach ich das Couvert.

Der Brief trug die Unterschrift „Blanche“. Sie schriebt:

„Ich verstehe mich und was in mir ist, selbst nicht. Ich bin empört gegen Sie und bin es gegen mich selbst. Und wenn ich’s mir klar machen will, weshalb ich’s gegen Sie bin, so möchte ich aus Aerger darüber weinen, daß ich’s nicht kann. Ich muß mir gestehen, daß ich Ihnen großes Unrecht gethan; ich fühle, daß Sie mir große Demüthigungen zugefügt haben. Und doch läßt weder das Eine noch das Andere einen Stachel in mir zurück, wie es doch natürlich wäre; und dieses Zerbrochensein, diese Schwäche der – wie soll ich es nennen? der Rancune, der Empfindlichkeit in mir empört mich eben. Vielleicht auch ein wenig das Gefühl der Hülfslosigkeit, womit ich selbst nicht weiß, was ich will, was ich möchte. Jedenfalls haben Sie sich so stark gezeigt, daß es für mich keine Schande ist, die Besiegte zu sein. Als Besiegte will ich um Frieden bitten. Während ich Ihnen einräume, daß Sie mich von einer thörichten Verachtung der moralischen Kraft in einem Manne über sich selbst geheilt haben, verlange ich von Ihnen, daß Sie mir einräumen, ich habe nichts Schlechtes, nichts Unwürdiges gethan, als ich Sie zu täuschen suchte, als ich sogar in des Abbés Vorschlag, Ihre Wachsamkeit durch ein künstliches Mittel unschädlich zu machen, einwilligte! War das unrecht, so konnte ich doch nicht anders. Hätte es sich auch nicht um das anvertraute Gut gehandelt, welches ich meinem Vaterlande retten wollte, ich konnte dem Verlangen nicht widerstehen, der Situation voll wechselseitigen Argwohns, die mich unglücklich machte, ein Ende zu machen. – Durch Ihren Schritt von heute Morgen haben Sie mir bewiesen, daß mein Argwohn ein böser, völlig unbegründeter war, ich spreche es Ihnen offen aus – sprechen Sie auch mich in Ihrem Herzen von Vorwürfen frei, und wenn Sie von hier gehen, so denken Sie gütig und in Frieden an Blanche K.“

Ich brauche nicht zu sagen, wie glücklich diese offenbar in großer Hast hingeworfenen Zeilen mich machten. So glücklich, daß ich den Muth fand, zu ihr hinaufzueilen. Ich fand Blanche inmitten des Salons stehend, als ich in diesen eintrat. Sie sah mich ängstlich an, sie rührte kein Glied, als ich näher trat, sie war regungslos wie in dem Bewußtsein von einem Entscheidenden, über ihr Leben Bestimmenden dieser Zusammenkunft.

Dies Wesen dämpfte, ich muß es gestehen, ein wenig meinen Muth, und es mochte sehr beklommen lauten, als ich sagte:

„Blanche … können Sie denn glauben, ich hätte etwas Anderes als Bewunderung für Ihren Muth, Ihre Stärke, Ihre Geistesgegenwart, Ihre Hochherzigkeit? Etwas Anderes in mir als Verzweiflung über das, was ich Ihnen zufügen mußte? O ja, lassen Sie uns Frieden machen. Wir können es! Sie sagen, Sie haben gesehen, daß Ihr Argwohn ungegründet, daß mein Gefühl für Sie nichts Erheucheltes, sondern daß es stark, wahr und tief sei! Zeigen Sie mir, daß auch mein Argwohn ein Frevel war, zwingen Sie mich, ihn auf den Knieen Ihnen abzubitten …“

„Welchen Argwohn?“ sagte sie halblaut, zu Boden blickend.

„Den Argwohn, daß Ihre Güte, daß all’ Ihre Theilnahme für mich – Ihnen nur von Ihrem Patriotismus eingegeben sei und berechnet, mich willenlos zu machen und mich zu unterjochen!“

„Sie können das jetzt nicht mehr glauben!“ antwortete sie leise, aber rasch … „doch ja, Sie könnten es mit demselben Recht glauben, womit ich Mißtrauen gegen Sie hegte. Wohl denn, ich will Ihnen den Beweis geben, den Sie verlangen. Sie haben mich gebeten, nach dem Frieden zu uns zurückkehren zu dürfen … Sie hatten dann vor,“ setzte sie mit einem leisen Anflug von Lächeln hinzu, „mir allerlei zu sagen, ich weiß es nicht mehr, was! Ich erlaube Ihnen, wenn der Friede geschlossen ist, zurückzukehren!“

Ich ergriff voll inneren Jubels ihre Hand und drückte glühende Küsse darauf.

„Dank, Dank,“ sagte ich dabei – „und nun ist mir, als sei der Friede bereits geschlossen, ein voller, für beide Kämpfer gleich rühmlicher, seliger Friede! Soll ich Ihnen deshalb nicht jetzt schon alles das sagen dürfen, was Sie ‚vergessen‘ haben?“

Sie ließ ihre Hand in der meinigen, schüttelte aber heftig den Kopf und rief lebhaft aus: „Nein, nein, noch nicht, noch nicht! Sie sollen nicht von mir fordern, daß ich so rasch Alles vergesse, mich über Alles fortsetze! So lange der Krieg zwischen unseren Völkern wüthet, dürfen wir nicht egoistisch sein und nur unseren Gefühlen leben wollen. Verlangen Sie nichts mehr von mir. Es würde nicht gut sein, weder für Sie, noch für mich! Die Brücke,“ fügte sie anmuthig lächelnd hinzu, „welche Sie bauen wollten, darf nicht das Werk einer Stunde sein, wenn sie dauerhaft und fest werden soll …“

„Sie soll ja nur uns, nur uns Beide tragen, Blanche, und ich, was mich angeht, fühle mich so leicht, als ob mich Wolken trügen!“

Sie schüttelte wieder mit demselben Lächeln den Kopf und sagte dabei: „O nein, die Brücke muß auch sehr, sehr schwere Bedenken, sehr ernste Vorsätze und sehr wichtige Einwürfe, welche die Meinigen mir machen werden, tragen können!“ –

Ich brauche nicht zu erzählen, daß ich trotz dieses Verbots meiner Beredsamkeit keinen Zügel anlegte! Wie wäre das möglich gewesen, wenn das Herz von innerem Glück und Jubel überströmt? Im Uebrigen aber mußte ich mich Blanche fügen. Unser Bund mußte den Ihrigen geheim bleiben – sie gab mir zum Trost nur die Erlaubniß, täglich mehrere Stunden zu ihr kommen zu dürfen um ihr – den Faust auszulegen!

„In Gegenwart des Abbé?“ fragte ich.

„In Gegenwart des Abbé – vorausgesetzt, daß ihn Ihre deutschen Ketzereien nicht forttreiben!“ – –

Ich habe getreulich den Faust ausgelegt, aber ich fürchte, ich bin dabei sehr ketzerisch geworden und noch weit über den Ulanen-Arianismus Glauroth’s hinausgegangen. Vielleicht wär’s nicht einmal nöthig gewesen, denn der Abbé mied mich von nun an ohnehin. Weshalb? Ich glaube es zu errathen. Doch wenn der Friede da ist, wird auch er sich, hoffe ich, versöhnen lassen.

Ja, wenn nur erst der Friede da wäre! – Nicht eine Woche währte es und ich ward mit meinem Commando abgerufen von Chateau Giron. Das Regiment marschirte weiter südwärts; wir hatten uns bei Dijon zu schlagen, wurden bis Nuits vorgesandt, hatten zu recognosciren und zu fouragiren, wurden endlich als Deckung einer Batterie in dem blutigen Gefechte bei Nuits in einer sehr exponirten Stellung gebraucht … Glauroth traf dort ein Granatsplitter an der rechten Wade, der nebenbei sein Pferd unter ihm tödtete; ich bekam wenige Minuten nachher ebenfalls die mir bestimmte Kugel; sie ging durch den rechten Arm unmittelbar unter der Achselhöhle durch – Gottlob, ohne den Knochen zu verletzen; und so sind wir Beide denn auch zur Heilung in ein und dieselbe Stadt fernab vom Getümmel des Krieges gesandt, um hier mit den täglich wachsenden Kräften der Genesung das tägliche Stoßgebet zu sprechen: Wenn doch erst Friede wäre!



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