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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Stelle, wo sie Position nehmen und in die Fliehenden hineinpfeffern kann. Das geht wie ein Donnerwetter – jetzt sind sie oben – aufgefahren – abgeprotzt – da blitzt’s auch schon über die Schneefläche dahin – und das Gewehrfeuer wird immer ferner und ferner – durch die Bäume hindurch kommt die rothe Abendsonnengluth – den Wald entlang ziehen langsam die Krankenträger-Compagnien und hinter ihnen fahren die Wagen mit den wehenden weißen rothgekreuzten Fähnlein; dort oben ist heute für sie noch genug zu thun; die schwarzen Punkte auf dem Schnee sind die Todten und Verwundeten.

Das war der Tag von St. Hubert, einer der heißesten, aber wohl auch einer der letzten Kampftage in diesem gewaltigen erbitterten Kriege. Möge dieser auch der letzte in dem Jahrhundert der Civilisation sein.




Pulver und Gold.
Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.
(Schluß.)


Ich stand meiner Sinne nicht recht mächtig. Meine Gedanken wirbelten mir durch den Kopf; ich wußte nicht recht, was geschehen und was die ganze Scene bedeute; ich fühlte mich selbst nur den Thränen nahe.

So ging ich hinab, in meine Zimmer, mit einer Art von Wuth die Thränen, die in mir aufstiegen, niederkämpfend. Die Wuth richtete sich gegen mich, den Soldaten, der den Kopf oben behalten und kaltblüthig bleiben muß, wenn er inmitten von Tod und Verderben steht und tausendfaches Elend rings um sich her sieht; und nun ließ ich mich übermannen und niederbeugen durch den Anblick von ein wenig Herzeleid, das ich über diese Französin, die doch obendrein noch eigentlich eine Deutsche war und es schmählich verleugnete, gebracht! Was war es denn, um was es sich handelte? Ich hatte ihr einen Haufen von dummem, ekelhaftem Geld nehmen müssen – und wollte ihn ihr ja noch obendrein ersetzen. Konnte sie den Ersatz nicht von mir annehmen? Warum nicht? Und wenn nicht, was that’s, was ging unsere Seelen der Mammon an? War es nicht arg genug, daß dieser verborgene Haufen Geld uns zu einem Spiele wechselseitiger Ueberlistung gezwungen? Und wenn ich dabei auch gesiegt, wenn ich ihn ihr genommen, hatte sie nicht seinetwillen die Komödie von Colomier mit mir gespielt, hatte sie nicht mich mit dem Schlaftrunk des Abbés unschädlich machen wollen, dessen Wirkungen ich an Friedrich hatte wahrnehmen können? Hatte ich nicht tagelang um dieses dummen eklen Mammons willen schon den Stachel und die Pein des bösesten Argwohns in mir wühlen gefühlt? War es nicht elend, klein und engherzig, solch einen Verlust als etwas zu betrachten, was uns auf ewig auseinanderiß? Was kann solch ein erbärmliches, äußeres Ereigniß dem Herzen, der Menschenseele anhaben, und wenn sie das nicht einsah, nicht fühlte, wenn sie nicht verzeihen und nicht begreifen konnte, daß ich ohne Schuld war, wenn sie sich nicht sagte, wie schwer ich selber unter dem litt, was ich aus Pflichtgefühl thun müssen – dann, nun dann mußte ich auf sie verzichten können!

Es war ein Raisonnement wie alle, welche sich Verliebte machen. Sehr logisch, sehr schlagend und von zweifelloser Richtigkeit in seiner Schlußfolgerung! Und doch zieht man nicht einen Tropfen Trost daraus, und in all seiner Logik liegt kein Atom von Beruhigung! –

Ich zerriß den jetzt unnützen Brief, den ich an meinen Geschäftsmann geschrieben, und warf mich auf einen Divan, um nachzudenken, was ich beginnen, ob ich noch bleiben oder mich von diesem Posten hier unter dem Vorwande meiner Verwundung zurückberufen lassen solle. Gewiß, das Letztere war das Beste, das Einzige, was ich thun konnte! Der Arzt kam nach einer Weile und nahm mir beinahe den Vorwand, indem er mir versicherte, daß ich, wenn ich nur noch zwei Tage lang fortfahre, meinen Arm in der Schlinge zu tragen und ihn ruhig zu halten, wegen der Wunde weiter keine Sorge zu haben brauche. Eigentlich war es mir angenehm, daß er mir den Vorwand abschnitt – im tiefsten Grunde meines Herzens zog ich daher vor – zu bleiben! Das Menschenherz ist ein widerspruchsvolles Ding! –

Es war eigentlich ein gesprächiger und gescheidter kleiner Mann, der Doctor aus Noroy; wenn er das erste Mal, wo er gekommen, ziemlich schweigsam seines Amts bei mir gewaltet, so war er heute schon vertrauter und zu Mittheilungen aufgelegter. Er begann vom Kriege zu reden, von den philosophischen Deutschen, die so unphilosophisch nicht lieber nachgäben, als sich mit einem so edlen Volke, wie die Franzosen, schlagen zu wollen; von der seltsamen Marotte Bismarck’s, „ce Monsieur Shylock“, wie er sich ausdrückte, zu wähnen: er könne aus dem lebendigen Fleische Frankreichs ein Stück herausschneiden, just wie der abscheuliche Jude von Venedig.

„Weshalb,“ rief der kleine Doctor aus, „haben die Deutschen nicht Frieden gemacht nach der Schlacht von Sedan, nachdem sie sich diesen Empereur, der ihnen den Krieg erklärt, cette ‚incapacité méconnue‘, eingefangen und uns davon befreit? Wir wären dann durch die Dankbarkeit für immer an sie gefesselt und Hand in Hand wären wir zwei große Völker auf der Bahn zu den gemeinsamen Zielen der Menschheit weiter geschritten!“

Ich war nicht sehr aufgelegt, auf eine Debatte darüber einzugehen, aber ich konnte mich nicht enthalten, lebhaft zu antworten:

„Freilich, Doctor, dann wäre Deutschland in seiner alten bescheidenen Rolle geblieben, die es dahin gebracht hat, daß es überall die Sympathien gegen sich hat; daß Holländer, Belgier, Schweden, Schweizer, all das kleine Völkergesindel, auf uns herabsehen, uns den Sieg mißgönnen und unseren Ruhm benagen. Deutschland, müssen Sie wissen, ist endlich durch Erfahrungen ein wenig klüger geworden. Es hat Frankreich schon einmal von einem Empereur befreit und es dann unverletzt gelassen und keinen Zollbreit von seinen früheren Grenzen verlangt, nicht einmal Straßburg, diesen Knotenpunkt deutschen Lebens! Wie dankbar Frankreich dafür war, haben wir im Laufe der Jahre zu empfinden bekommen; es hat fortwährend unsern Rhein verlangt und uns mit Krieg bedroht und mehr als einmal gezwungen, uns kriegsbereit zu machen, und jetzt hat es uns plötzlich die Kriegsfackel in’s Gesicht geschleudert. Nennen Sie das Dankbarkeit?“

„Das Frankreich von heute ist nicht mehr das von 1814 und 1840!“ warf der Doctor ein.

„Ich will Ihnen das Vergnügen machen, Doctor,“ versetzte ich, „Frankreich einen Löwen zu nennen, den wir friedlichen Deutschen nun einmal leider zum Nachbar bekommen haben. Den Löwen biß eine Hornis und machte ihn so wüthend, daß er uns anbrüllte und verschlingen wollte und seine Krallen wider uns ausstreckte. Nun haben wir ihn niedergerungen und ihm die Hornis nebenbei aus dem Fell gezogen. Sollen wir es nun machen wie der Sclave Androclus, und auf seine Dankbarkeit dafür bauen? Es wäre sehr thöricht! Sicherer ist, wir schneiden ihm die Krallen ab!“

Der Doctor zuckte mit den Achseln.

„Ich habe eine ganz andere Vorstellung darüber, wie wir zu recht aufrichtiger Freundschaft und Frieden kommen,“ fuhr ich fort. „Dann, wenn wir mit unerbittlicher Strenge zeigen, daß wir ebensoviel stolzes Selbstbewußtsein haben, wie die anderen Völker auch. Man wird dann anfangen, uns zu achten – und ohne Achtung, Doctor, dem werden Sie nicht widersprechen, giebt es keine Freundschaft und keine Liebe! Damit Frankreich uns lieben kann, müssen wir ihm zeigen, daß wir ihm ebenbürtig sind und nicht mehr der Diener des glänzenden, stolzen, aristokratischen Herrn! Die Diener der stolzen Herren Völker sind wir lange genug gewesen. Wir haben ihnen die Erfindungen gemacht, mit denen sie großthaten, wir haben wie Bedientenseelen, die sich mit ihrer Herrschaft Kleidern herausputzen, ihre Moden angenommen, ihre Sitten nachgeäfft, ihre Sprache nachgewälscht. Kann ein anderes Volk uns so achten, uns dankbar sein, wie Sie sich ausdrücken, als ob Völker je dankbar wären? Weshalb hat Frankreich immer gedacht, uns den Rhein nehmen und, wann es ihm nur einfiele, einen Spaziergang nach Berlin machen zu können? Weil es sich für vornehmer hielt. Wenn wir ihm zeigen, daß wir ebenso vornehm sind – Sie wissen, vornehm kommt her von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_130.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)