Seite:Die Gartenlaube (1871) 043.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


niedergehauen zu werden. Allerdings wird meine Geliebte sich um mich grämen; doch wenn sie erfährt, mit welcher Standhaftigkeit ich gestorben bin, so wird sie sich wiederum zufrieden geben.“

Napoleon ließ ihn Gnade hoffen und fragte, was er thun werde, wenn ihm das Leben geschenkt sei.

Er antwortete: „Dann werde ich Alles anwenden, um mein Vorhaben in Zukunft auszuführen.“

Diese Antwort setzte den Kaiser in sichtliche Verlegenheit, indem er nicht wußte, wie er sich benehmen solle. Auf einmal faßte er sich und fragte, ob er die Geschichte des Brutus kenne, ob vielleicht diese ihn in eine solche Ueberspannung versetzt hätte.

Allein der Gefangene war in der Geschichte des Alterthums nicht bewandert.

Napoleon fragte hierauf, was er zuletzt gelesen.

„Schiller’s Werke,“ war die Antwort.

„Ob er jemals krank gewesen sei?“

„Ich habe mich jederzeit wohl befunden,“ erwiderte der Gefangene, „sowie mir auch jetzt nicht das Mindeste fehlt.“

Der Leibarzt erhielt den Befehl, dem Jüngling den Puls zu fühlen; er ging ruhig und regelmäßig. – –

So weit die Nachricht des russisch-deutschen Volksblattes. Später ist mir von glaubwürdigen Personen versichert worden: Der Kaiser hätte einigemal seinen Adjutanten zu dem Gefangenen geschickt, mit der Frage: ob er den Kaiser nicht lieben wolle! – Dann sollte ihm das Leben geschenkt werden. Er ist aber bei seinem Entschlusse fest geblieben. –

Unter den vielen Berichten, welche wir später kennen lernten, führe ich nur den des General Rapp an, als den authentischsten, weil er unter der Umgebung Napoleon’s derjenige war, der am besten Deutsch verstand. Er bestand in folgender Mittheilung:

Die Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Oesterreich rückten nur langsam vorwärts. Deutschland litt sehr darunter, deshalb beschloß ein junger Deutscher, entbrannt von Vaterlandsliebe, die Ursache dieses Leidens, Napoleon, aus dem Wege zu räumen. Am 23. October 1809 kam er nach Schönbrunn zur Parade. Ich hatte an dem Tage Dienst. Napoleon stand zwischen mir und Berthier. Der junge Staps trat an den Kaiser heran. Berthier, in der Meinung, er wolle eine Bittschrift überreichen, weist ihn an mich; er antwortet jedoch, er habe mit Napoleon selbst zu sprechen. Nochmals wird er an mich gewiesen, doch entfernt er sich mit der wiederholten Aeußerung, Napoleon selbst sprechen zu müssen.

Er nähert sich diesem; ich trete ihm entgegen, indem ich ihm in deutscher Sprache zu verstehen gebe, er müsse sich entfernen; der Kaiser sei erst nach der Parade zu sprechen. Er hatte eine Hand unter dem Ueberrock, in der andern ein Papier, wovon ein Stück hervorragte. Da mir sein entschlossenes Wesen verdächtig schien, ließ ich ihn durch einen Gensd’armen verhaften. Da die Aufmerksamkeit auf die Parade gerichtet ist, wird dieser Zwischenfall nicht bemerkt. Doch bald meldet man mir, man habe bei Staps ein langes Küchenmesser vorgefunden. Ich erzählte es Duroc. Wir begaben uns zu Staps, welchen wir auf seinem Bette sitzend fanden. Neben ihm lag das Bild einer jungen Dame und eine Börse mit einigen Goldstücken. Ich frage ihn, wie er heiße.

„Das kann ich nur Napoleon sagen.“

„Was wollten Sie mit dem Messer thun?“

„Das kann ich nur Napoleon sagen.“

„Gedachten Sie sein Leben anzutasten?“

„Ja, mein Herr.“

„Und weshalb?“

„Das kann ich nur Napoleon sagen!“

Ich theilte Napoleon das Ereigniß mit, und dieser befahl, den Jüngling in sein Cabinet zu führen. Napoleon stand zwischen Bernadotte, Berthier, Savary und Duroc. Staps wurde von zwei Gensd’armen, die Hände auf den Rücken gebunden, hereingeführt. Er war ruhig, Napoleon’s Gegenwart machte auf ihn nicht den geringsten Eindruck; er grüßte mit Ehrerbietigkeit.

Der Kaiser fragte ihn, ob er Französisch spreche.

„Nein,“ versicherte er.

Napoleon befahl mir, folgende Fragen an ihn zu richten:

„Woher sind Sie?“

„Aus Naumburg an der Saale.“

„Wer ist Ihr Vater?“

„Ein evangelischer Geistlicher.“

„Wie alt sind Sie?“

„Achtzehn Jahre.“

„Was hatten Sie mit diesem Messer vor?“

„Ich wollte Sie damit tödten.“

„Sie sind wahnsinnig; – ein Illuminat!“

„Ich bin nicht wahnsinnig; ich weiß nicht, was ein Illuminat ist.“

„Sind Sie krank?“

„Nein, ich bin ganz gesund.“

„Weshalb wollten Sie mich tödten?“

„Weil Sie mein Vaterland unglücklich machen.“

„Sind Sie auch unglücklich geworden?“

„Gleich allen Deutschen.“

„Wer hat Sie zu diesem Verbrechen aufgereizt?“

„Niemand, meine Ueberzeugung gab mir die Waffe in die Hand. Sie sagte mir, daß ich meinem Vaterlande, daß ich Europa diesen Dienst leisten müsse.“

„Sahen Sie mich zum ersten Male?“

„Nein, ich habe Sie schon beim Congreß in Erfurt gesehen.“

„Hatten Sie schon damals die Absicht, mich zu tödten?“

„Nein, ich bewunderte Sie damals, ich glaubte, Sie würden Deutschland den Frieden geben.“

„Wie lange sind Sie in Wien?“

„Zehn Tage.“

„Weshalb haben Sie die Ausführung Ihres Planes so lange aufgeschoben?“

„Ich kam vor acht Tagen nach Schönbrunn, als die Parade fast zu Ende war, deshalb verschob ich die Ausführung bis heute.“

„Sie müssen krank oder wahnsinnig sein.“

„Keins von Beidem.“

Napoleon ließ nun Corvisart rufen; Staps fragte: „wer ist Corvisart?“

„Ein Arzt.“

„Den brauche ich nicht.“

Wir schwiegen bis zu dessen Ankunft. Napoleon befahl ihm, den Puls des jungen Mannes zu untersuchen.

„Nicht wahr, mein Herr, ich bin gesund?“

Corvisart wandte sich zu Napoleon: „Er ist vollkommen gesund,“ worauf Staps mit einer Art Freude ausrief:

„Sehen Sie, hab’ ich’s nicht vorher gesagt?“

Diese Ruhe machte Napoleon verlegen, doch setzte er das Verhör fort.

„Sie sind ein Hitzkopf und richten die Ihrigen zu Grunde. Ich will Ihnen das Leben schenken, wenn Sie Ihr Verbrechen bereuen und um Gnade bitten.“

„Ich will keine Gnade, und bereue Nichts, als daß mein Vorhaben mißlungen ist.“

„Teufel, ein Verbrechen scheint Ihnen etwas Leichtes!“

„Es ist kein Verbrechen, Sie zu tödten, es ist eine Pflicht.“

„Wessen Bildniß ist es, das man bei Ihnen gefunden?“

„Das Bild meiner Geliebten.“

„Wird Ihr Unternehmen sie nicht unglücklich machen?“

„Nur sein Mißlingen. Sie haßt Sie ebenso sehr wie ich.“

„Würden Sie mir dankbar sein, wenn ich Sie begnadige?“

„Nein, ich würde Sie dennoch zu tödten suchen.“ – –

Napoleon war entsetzt, und ließ ihn hinwegführen, Er sprach viel über diesen Vorfall, besonders über die Illuminaten. Gegen Abend ließ er mich rufen und sagte zu mir:

„Wissen Sie, lieber Rapp, der Eindruck dieses Ereignisses ist außerordentlich. Dies sind Umtriebe aus Berlin und Weimar.“

Ich widersprach seinem Argwohn.

„Die Weiber sind zu Allem fähig!“

„An beiden Höfen würden weder Männer noch Frauen ein solch abscheuliches Vorhaben billigen.“

„Denken Sie nur an Schill!“

„Was hat diese Sache mit dem Verbrechen gemeint?“

„Sie haben gut reden, mein Herr General, man liebt mich weder in Berlin noch in Weimar.“

„Muß man Sie deshalb tödten wollen?“

Auf Napoleon’s Befehl mußte ich dem General Lauer den Auftrag geben, Staps nochmals zu verhören. Er beharrte darauf, ohne fremden Einfluß, aus eigenem Entschluß zu dem Verbrechen getrieben zu sein.

Am 27. October wollten wir von Schönbrunn abreisen. Napoleon stand um fünf Uhr Morgens auf, und ließ mich rufen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_043.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)