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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Eisenbahn, welche hier eine Haltstelle hat, konnten dem Grundwesen dieser originellen und in ihrer Tracht so eigenthümlich schönen Dorfbewohner eine Aenderung nicht abringen, und so lohnt sich heute noch wie vor Jahrzehnten ein Besuch bei diesem prächtigen Menschenschlage.

Bei einem Gange durch das Dorf nach beiden Seiten die im farbigen Sonntagsstaat eben von der Kirche kommenden Mädchen und Buben musternd, an der wohlgewählten farbigen Tracht der Mieder und der die kräftigen Figuren lustig umflatternden Bänder das Auge erfreuend, ladet ein Schild an einem freundlichen bescheidenen Hause uns ein, auch dem Magen zu geben, was des Magens ist. Wir stehen vor der „Rose“, dem ersten Wirthshause des Dorfes; drinnen schaltet und waltet außer den ab und zu hin- und herfliegenden Sommerzugvögeln der Maler und Malerinnen aus aller Herren Länder ein Geschwistertrio, Bruder und Schwestern in den mittleren Jahren, er ebenso still und fleißig die Landwirthschaft besorgend, wie das sittige Schwesterpaar den Wünschen der Gäste mit immer gleicher Ruhe und Willigkeit nachkommend. Beim guten Schoppen treffen wir ein Paar bärtige Gestalten mit dem breitkrämpigen Hute und dem unvermeidlichen Plaid über der Schulter; es sind Düsseldorfer Maler mit einem schwäbischen Genossen, der durch häufigen Studienaufenthalt im Dorfe völlig zu Hause und den Berufscameraden seine Modelle eben zu zeigen im Begriff ist.

Vom Malervolk leicht die Erlaubniß zum Mitgehen erhaltend, treten wir nach wenigen Schritten in die kleine Stube eines einstöckigen Häuschens; heute ruht der Schusterhammer des sonst rastlos fleißigen Vaters, dagegen sind alle acht Töchter zu Hause mit den dunkelbraunen sonnverbrannten Gesichtern und den blitzenden Augen. In freundlicher Vertraulichkeit werden die Herren gegrüßt, denn das Malen ist den Mädchen nichts Neues mehr und das Kommen zur Sitzung in die Rose auf den folgenden Tag wird bereitwillig zugesagt.

Zwei Häuser weiter und wir treffen beim Bruder des Schuhmachers wieder acht Mädchen und nur einen noch unerwachsenen Buben; auf die erstaunte an eine der Dunkelblondinen gerichtete Frage: „Aber Mädchen, wo kriegt Ihr Alle denn einst Männer her?“ antwortet dieselbe rasch: „’S gibt Buabe gnuag, ’s gibt für Jede Oin.“ Auch sie wird um eine Malsitzung gebeten und sagt es gerne zu, da der Ertrag zu einem Paar neuen seidenen Bändern an die Sonntagsschürze reicht.

Nun geht’s quer über die Straße; im Begriff, die wie an den meisten Häusern außen hinaufführende Treppe zu ersteigen, springt über die ausgetretenen ächzenden Stufen derselben Bärbel herab, ein Musterbild von draller Kraft und Rundung. Auch sie sagt zu, und wir gehen, um auch hier das holzgetäfelte Innere mit dem Kachelofen zu sehen, die Treppe hinauf. Beim Eintreten finden wir die Hausmutter, eine kräftige Frau und Mutter von wieder acht Mädchen und fünf Buben, die Letzteren baumlange Gardisten, eben an der harten Arbeit, die sich sträubenden Naturlocken ihres jüngsten dreijährigen Sprößlings glatt zu kämmen und sie in zwei kleine stumpige Zöpflein mit eingeflochtenen Bändern zu verwandeln, denn so will es am Sonntag der gewaltige Alleinherrscher in Betzingen, der Brauch.

Ist somit die Berechtigung, Betzingen eine Malerheimath zu nennen, wenigstens heiter angedeutet, so verräth unser Bild, daß den Malern auch das Heiligthum des Hauses bei hohen Familienfesten nicht verschlossen ist, denn sonst wäre Meister Hornemann nicht im Stande gewesen, uns einer Kindtaufe in so zahlreicher Verwandtschaft beiwohnen zu lassen. Der geweihte Mittelpunkt dieses Bildes ist die junge Mutter, und so hoch hebt die Mutterwürde das Weib, daß vor ihr der Werth der Trachten verschwindet und wir vor diesem Anblick Alles gern mit in den Kauf nehmen, was absonderlich Betzingerisches dabei zum Vorschein kommt.

R. H.




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Achter Brief. „An der Loire grünem Strande.“
(Schluß.)


Ganz Artenay war in ein Lazareth verwandelt worden. Von allen Seiten wurden die Verwundeten vom Schlachtfelde des gestrigen Tages hereingebracht, die Mehrzahl Franzosen, in allen Winkeln, in den Höfen der Häuser, in den Schuppen, auf dem Kirchhofe lagen die todten Franzosen reihenweise, Jünglinge von siebenzehn Jahren, Männer bis zu vierzig bis fünfundvierzig Jahren, Alle steif gefroren; der Regen hatte in der Nacht aufgehört und war einem starken Froste gewichen; es wehte vom Walde herüber scharf und kalt, und man mußte erst Feuer auf dem Boden anmachen, um Gräber graben zu können – auch für zwei preußische Officiere. Mit dem Mantel und dem Helme bedeckt, wurden die Bahren nach dem neuen Kirchhofe gebracht, wo bereits ein preußisches Soldatengrab aufgeworfen war. Ich und mehrere Bekannte, wir folgten dem stillen Leichenzuge. Der eine der Gefallenen war Hauptmann, wenn ich nicht irre, im fünfundachtzigsten Regiment, der älteste Sohn eines hochbetagten Vaters, der andere Reserveofficier in demselben Regiment, ein Holsteiner, Wirthschaftsbeamter, Gatte und Vater von vier Kindern. So sagte der Officier, der den Trauerconduct leitete; ein stilles Gebet, drei Hand voll Erde, eine im Namen des Vaterlandes und die anderen für den Vater, für die Gattin und Waisen, und im Gedanken an die blutenden Wunden des Herzens, welche diese Gräber reißen und welche vielleicht niemals heilen werden. Gott möge sich der Verlassenen erbarmen!

Heute hatten wir den „richtigen Wind“; heute hörte man den Kanonendonner und das Kleingewehrfeuer ganz deutlich und gar nicht aus zu weiter Ferne. Aber im Laufe der kommenden Stunden entrückte der Schall unserm Ohre immer weiter; ein Beweis, daß die Unseren im Vorrücken waren. Gegen Nachmittag bekam das Hauptquartier den Befehl zum Abrücken; es war gegen drei Uhr, als die Colonne sich in Bewegung setzte. Aber so breit die von Paris nach dem Süden führende Heerstraße war, so schwer war das Durchkommen. Gleichzeitig mit uns rückten auch Theile des neunten Armeecorps vor; Infanterie, Cavallerie und Artillerie. Kaum hatte die Colonne ein kurzes Träbchen angeschlagen – da stand sie auch schon wieder, wie festgerammt.

„Verfluchte Sch......ei!“ schreit unser Wagenlenker aus dem Spreewalde. „Da bleibt man noch heute auf der Straße liegen. Ick seh’ es der Jeschichte schon an, et wird woll so ’n Bivouäkchen wer’n bei achte Réammur. Schockschwernoth, wie der Wind pfeift! Aujust, hest de kenen vor de Binde? Na, et is nur jut, daß wir in dem Lande sind, wo der Cognac wächst. Aujust, jieb sie her de Pulle!“

Der Fahrer hinter unserem Wagen reicht freundschaftlichst seinem Collegen eine Feldflasche, unser Fahrer trinkt, und giebt die Flasche zurück. „Det is besser wie een halb Dutzend Leibbinden übereinander. Na, Aujust, wo hast denn den her – oller Junge?“

„Et war noch so’n Resteken in dem Keller, wo wir im Quartier lagen. Die Leute waren ausjerückt, also mußten wir schon alleene eenen Spaziergang durch die unbewohnten Jemächer des Hauses machen. Wenn jar nischt mehr da is, ick finde immer noch wat, und wenn es ooch nur die Photojraphie einer jeflohen seienden französischen Köchin is. Na, nu jeht’s ja weiter!“

Die Sonne geht blutroth unter; heut hätte man sagen können, der Himmel sei mit dem Blute des Tages gemalt. Es mußte vorne heiß hergehen, gegen Abend war das Feuern in erneuter Heftigkeit zu vernehmen. Ueber die Ebene, die mit dem Plateau von Mars la Tour und Gravelotte einige Aehnlichkeit hat, wehte ein schneidender Wind, und man zog den Pelzkragen des Mantels höher. Die Soldaten auf den Pferden nahmen ihre weißen Wollendecken hervor und banden sie wie Mäntel um; in der Dämmergluth des Abends boten sie einen höchst malerischem Anblick; man glaubte einen Zug von Beduinen aus der Wüste zu sehen. Rechts von der Chaussee sah man eine Windmühle, deren Flügel still standen, sie waren ganz zerschossen. Dort war einer der entscheidenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_026.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)