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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 49. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Hermann.

Novelle von C. Werner.
(Fortsetzung.)

Auch Gertrud war bei dem plötzlichen Erscheinen Hermann’s zurückgewichen, als sei dasselbe auch gegen sie gerichtet. Der wilden Leidenschaftlichkeit Reinert’s gegenüber hatte sie ihre Fassung behauptet, jetzt schien es auf einmal um diese geschehen, und es sah fast aus, als fürchte sie den Beschützer mehr, als vorhin den Beleidiger. Der Graf bemerkte dies Zurückweichen und ein Ausdruck tiefer Bitterkeit zuckte um seine Lippen, nichtsdestoweniger stellte er sich wie zum Schutze vor sie hin, kreuzte die Arme und erwartete ruhig das Weitere.

Eugen hatte sich inzwischen aufgerafft und trat jetzt bleich vor Wuth zu ihm heran. „Was soll das heißen, Hermann? Weshalb folgst Du mir heimlich und drängst Dich unaufgefordert in meine Angelegenheiten? Wer gab Dir ein Recht dazu?“

Der Graf blieb sehr gelassen bei diesen mit drohender Heftigkeit ausgestoßenen Worten, aber es lag eine eiskalte Verachtung in dem Blick, mit dem er ihn von Kopf bis zu Füßen maß. „Wagst Du es wirklich noch zu fragen, weshalb ich hier eintreten muß?“

„Du hast mich beleidigt!“ schrie Eugen in ausbrechender Wuth, „tödtlich beleidigt, und Du wirst mir entweder Abbitte leisten, oder mit den Waffen in der Hand Genugthuung dafür geben!“

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendete sich Hermann zu Gertrud. „Mein Fräulein, Sie sehen, Herr von Reinert ist nicht genug Herr seiner selbst, um auf die Gegenwart einer Dame die nöthige Rücksicht zu nehmen. Darf ich Sie bitten, uns zu verlassen.“

Sie stand bleich mit gesenkten Wimpern vor ihm. Wohin war die stolze unnahbare Haltung des Mädchens gekommen? Das Auge, das noch vor Kurzem so fest und kampfbereit den Blick des seinigen ausgehalten, sank jetzt scheu zu Boden. Sie neigte in stummer Bejahung das Haupt und entfernte sich.

Mit einem langen, ernsten Blick sah der Graf ihr nach, dann fuhr er mit der Hand über die Stirn und wandte sich zurück. „Wir sind allein: was wolltest Du mir sagen?“

„Daß ich endlich müde bin, mich länger von Dir bevormunden, mich wie einen Schulbuben behandeln und ungestraft beleidigen zu lassen. Was zwischen mir und Gertrud vorgefallen ist, geht keinen Dritten an –“

„Wirklich?“ Die Stimme des Grafen war noch ruhig, aber es grollte bereits unglückverheißend darin. „Du könntest doch irren!“

„Gleichviel, was Du davon denkst. Du hast mich angegriffen, zu Boden geworfen, ich fordere Genugthuung für diese Beleidigung, hörst Du, Hermann, ich fordere sie von Dir!“

Der Graf zuckte die Achseln. „Ein Duell zwischen uns? Das wäre in der That mehr als lächerlich.“

„Ah, Du weigerst Dich!“

„Ja! Es hieße die Gastfreundschaft meiner Großmutter schlecht lohnen, wollten wir uns hier auf ihren Gütern todtschießen, Antonie steht mir zu nahe, und, daß ich’s Dir offen gestehe, Eugen, mein Leben und Wirken ist mir zu kostbar, als daß ich es so ohne Weiteres an eine Deiner tollen Launen setzen sollte. Ich schlage mich nicht.“

Eugen ballte in maßlosem Grimme die Faust. „Hermann, Du bist –“

„Keine Beleidigung!“ sagte der Graf gebietend, indem er die Hand hob. „Ich dächte, Du hättest oft genug Gelegenheit gehabt, meinen Muth zu erproben. Die heutige Scene ist der offene Bruch einer Freundschaft, die längst nur noch dem Namen nach bestand. Künftig gehen unsere Wege auseinander – laß es damit genug sein.“

Wenn Hermann in der That wünschte, das Aeußerste zu vermeiden, so hätte er nicht in diesem stolzen, verächtlichen Tone sprechen dürfen, der Eugen in einer Art reizte, die ihn des letzten Restes von Besinnung beraubte, und endlich zur Gewaltthätigkeit trieb. Er trat dicht an den Grafen heran und mit einer von Leidenschaft fast erstickten Stimme sagte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch: „Ich frage Dich jetzt zum letzten Male, willst Du mir Genugthuung geben?“

„Nein!“

„Nun denn, so werde ich Dich zwingen!“ Er hob die Hand, und im nächsten Augenblick traf ein Schlag den Grafen.

Die Wirkung desselben war eine entsetzliche. Jeder Blutstropfen wich aus Hermann’s Gesicht, seine Fäuste ballten sich krampfhaft und einen Moment lang schien es, als wolle er sich auf den Beleidiger stürzen und ihn zu Boden werfen, aber die gewohnte Selbstbeherrschung siegte auch jetzt; er athmete tief auf und ließ den schon erhobenen Arm sinken.

„Es ist gut, Du sollst Deinen Willen haben! Auf morgen früh denn!“

Es lag Etwas in der eisernen Energie, mit der dieser Mann sich zur Ruhe zwang, was die maßlose Heftigkeit Eugen’s tief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_813.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)