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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

als der Blitzstrahl des Jupiter in den Tuilerien erschien,“ schreibt Pigault. „Seit der Absendung des Briefes waren wir nicht ohne Besorgniß gewesen, allein auf das, was kommen sollte, doch nicht im Geringsten vorbereitet. Rapp kommt an, überrascht uns mitten in einem kleinen Souper, an welchem die Favorite des Tages, ferner Fürstenberg und Winzingerode und ich, der unglückliche Autor der Epistel, theilnahmen. Rapp tritt mit seiner Ihnen bekannten Familiarität ein, in Begleitung eines königlichen Gardeofficiers. ‚Sire,‘ beginnt er, ‚ich bin mit einem unangenehmen Auftrage betraut, den ich von Ihrem Bruder erhalten habe, welcher sich in einem Zustande unbeschreiblicher Wuth und Aufregung befand, als ich mich bei ihm beurlaubte.‘ Der König erbleicht, kaum kann er Rapp noch sagen, daß er Platz nehmen solle, und anstatt ihm ein Glas Wein anzubieten, ergreift er selber eines und stürzt es auf einen Zug hinunter … ich war stumm und verwirrt wie ein ertappter Missethäter. Rapp liest uns das entsetzliche Decret vor, welches in nachstehenden Worten gefaßt war: ‚Eigenhändige Ordre des Kaisers. Unser Adjutant, der General Rapp, wird auf der Stelle nach Kassel abgehen, wird den Major Müller von den westphälischen Husaren zu sich berufen und sich mit ihm zum Könige begeben und diesen verhaften. Der König hat achtundvierzig Stunden Zimmerarrest, Pigault aber, als der Verfasser des Uns von Unserem Bruder geschriebenen unverschämten Briefes, kommt auf zwei Monate in’s Gefängniß und wird dann unter sicherem Geleite nach Frankreich zurückgeschickt. Wir ertheilen dem General Vollmacht, die strengsten Maßregeln zu ergreifen, falls man so verblendet sein sollte, sich der Ausführung Unserer Befehle zu widersetzen.   Napoleon.‘ “

Und Jérôme? Er war nicht so verblendet, dem gestrengen Bruder Widerstand zu leisten. Ruhig fügte er sich in die ihm angesonnene Rolle und trat in seinem eigenen Palaste, unter der Ueberwachung seines eigenen Gardeofficiers seine Haft an. Ein König auf den Befehl eines fremden Souveräns Gefangener in seinem eigenen Schlosse – das war noch nicht dagewesen in der Geschichte und dürfte kaum jemals wieder erlebt werden. Es charakterisirt aber jenes Eintagskönigthum von Westphalen und die Tage der Napoleonshöhe, und darum mochten wir uns nicht versagen, nach Pigault’s Schreiben die seltsame Episode zu erzählen.

So ist mithin Louis Napoleon nicht der erste Bonaparte, welcher auf Wilhelmshöhe gefangen sitzt. S.     




Auf Vorposten in Dorf und Schloß.

Vorpostenbilder von F. W. Heine.


 Montfermeil, Anfang November 1870.

Den ganzen deutschen Siegesmonat October habe ich an diesem reizenden Orte zugebracht, und nun erfreut mich hier noch die Ueberraschung der vom hohen Obercommando der Maas-Armee mir ausgestellten Erlaubniß, mich „innerhalb der Grenzen der Maas-Armee, behufs Aufnahme von Zeichnungen für die Gartenlaube, bewegen zu dürfen.“ Ich werde nun meine Schritte über den beschränkten Kreis hinaus setzen können, in welchem die kriegerischen Aufgaben meiner sächsischen Feldzugsgenossen mir bisher allein die Bahn frei hielten; aber wie weit auch der neue Kreis sich ausdehnen möge, immer werde ich mit Dankbarkeit und Treue an die ereignißreichen Tage zurückdenken, welche ich mit meinen tapferen Landsleuten von den dreizehner Jägern verlebt habe.

Schon zu Anfang des October, wo unser Bataillon noch nicht auf Vorposten kam, sondern täglich zum Schanzenbau auszog, glaubte man, daß in kurzer Zeit ein befestigtes deutsches Lager rings um Paris fertig sein werde. Bei diesen Erd- und Holzbauten geht es natürlich mit Terrain und Material überall ohne Erbarmen zu. Ob der Park noch so herrlich, die Rasen- oder Blumenfläche noch so reizend, einerlei, die Laufgräben werden mitten durch geschnitten, die Brustwehren aufgeworfen, und in ihnen verschwinden unzählige der feinsten Obstbäume und Zierwäldchen, ja ganze Weinberge, kaum vom Segen der Früchte befreit, werden umgelegt, daß man, wenn einst der Friede schaudernd in diese Fluren zurückkehrt, ihre Spur wird suchen müssen. Uns hier an Ort und Stelle, die wir Tag und Nacht unter der Musik der Kanonen der Forts und Schanzen leben, ficht natürlich keine Sentimentalität solcher Betrachtungen an: unser gehetztes Leben läßt uns keine Zeit dazu.

Alle Vorposten hatten damals den Befehl, sich in kein Gefecht einzulassen, sondern sich entweder zu decken oder zurückzuziehen. Wie mir die patrouillirenden Jäger erzählten, ist es 1hnen das allerunheimlichste Gefühl, wenn sie auf ihren nächtlichen Streifereien plötzlich aus der Finsterniß durch das elektrische Licht in Tageshelle versetzt werden; diese überraschende schöne Aussicht hat stets ihre Gefahren, da zu gleicher Zeit „die feurigen Bomben zu erschallen“ pflegen, die, wenn sie auch selten für uns persönlichen Schaden anrichten, doch alle Mannschaft in recht munterer Aufregung erhalten.

Trotz alledem gehört unser Lagerleben zum interessantesten der Welt; um keinen Preis möchte ich einst die Erinnerung daran hergeben.

Unsern Aufenthaltsort, die, ehe sie von den Ihrigen in unbeschreiblich kopfloser Hast verlassen worden war, wunderschöne Villa des Architekten Depardon, haben wir nach einwöchentlicher Arbeit aus einer Stätte der abscheulichsten Verwüstung wenigstens wieder in ein wohnliches und behagliches Quartier umgewandelt. Freilich gebührt uns das Verdienst dieser Localveredelung nicht allein, unsere Feldgensd’armerie beansprucht auch einen Theil davon, denn ihr verdankt man die strenge Durchführung des Befehls an die Truppen, die von ihnen bewohnten Straßen und Häuser täglich zu reinigen. Das ist keine geringe Wohlthat für die Gesundheit im Heerlager.

Ein neues Jägerstückchen muß ich Ihnen erzählen. Am Nachmittag des Siebenten dieses Monats patrouilliren etliche Jäger vom ersten Bataillon Nr. 12 auf das Dorf Villemomble los. Wie sie in die Nähe kommen, sehen sie mehrere bespannte Wagen, welche soeben französische Soldaten aus den Häusern mit Lebensmitteln beladen. Als ausgelernte Jungen verstecken sich unsere Füchse und verhalten sich mäuschenstill, bis der harmlose Feind die Wagen sämmtlich hübsch voll geladen hat; dann aber brechen sie mit einem fürchterlichen Hurrah hervor und stürmen so wild auf die Franzosen ein, daß diese nicht erst die Waffen, sondern gleich die Flucht ergreifen. Ein junges hübsches Kerlchen mit fein gedrehtem Schnurrbart und nagelneuer Uniform wird dabei gefangen, und am Abend kehren die Jäger mit der Beute stolz in’s Quartier zurück.

Gleich am folgenden Tag, Sonnabend den Achten, kam die Ordre, daß unsere Compagnie am Zehnten die Feldwache zu beziehen habe. Die beiden Tage, Sonnabend und Sonntag, herrschte das schaurigste Wetter, kalt und regnerisch, so daß mich ein Grauen vor dem Nachtlager draußen ankam. Denn in unserm Montfermeil fühlten wir uns nicht blos wohlig, sondern auch ganz sicher, seitdem wir es in vollständigen Vertheidigungszustand gebracht, jedes Gartenhaus mit Schießscharten, jedes Fenster mit starken Brustwehren versehen, hinter allen Umfassungsmauern und Zäunen Schützengräben gezogen hatten, während links auf den Anhöhen von Maison-Guyot die Läufe unserer Artillerie hervorlugten und hinter jedem Häuschen ein Posten aufgestellt war.

Der Montag begrüßte uns jedoch mit dem schönsten Herbstwetter. Mittags rückten wir aus und kamen durch verschiedene Feldbefestigungen und an dem prächtigen Schlößchen Maison-rouge vorüber nach Gagny.

Am Ende dieses Dorfes blieb die Hälfte der Compagnie unter unserm Hauptmann Walde als Soutien (Unterstützung) zurück, die andere Hälfte bezog in der Richtung nach Raincy hinter einem Kalkofen die Feldwache, für welche dort die Pionniere einen Schutz in Dachform angebracht hatten. Durch das Regenwetter war das Feld vor uns in einen furchtbaren Morast verwandelt. Der Infanterieposten vom ersten Bataillon des hundertsechsten Regiments wurde abgelöst, und einige Schleichpatrouillen traten ihren allezeit gefährlichen Gang an.

Sie müssen es sich, verehrter Herr Keil, sammt Ihren Lesern

gefallen lassen, einmal in diese kleinen Züge des großen Krieges mit hineingeführt zu werden; wenn ihnen auch der Reiz überraschender Erfolge abgeht, so vervollständigen sie doch das Bild

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_803.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2020)