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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 48. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften 5 Ngr.


Hermann.
Novelle von C. Werner.
(Fortsetzung.)


„Es ist die neue Erzieherin von Curt’s Töchtern,“ warf die Präsidentin kalt hin. „Sie soll ziemlich unterrichtet und brauchbar sein, und die Kinder haben sich in der kurzen Zeit mit wahrer Leidenschaft an sie geschlossen. Ich hege eine gewisse Antipathie gegen sie, denn ich fürchte, daß sich unter dieser immer gleichen Ruhe und Höflichkeit etwas wie Hochmuth verbirgt, was bei einer Person in so untergeordneter Stellung doch keinesfalls zu dulden wäre.“

Hermann schwieg, er hatte Proben davon, daß der Scharfblick der Präsidentin sie auch diesmal nicht täuschte.

„Um also wieder auf unser Gespräch zurückzukommen –“

Der Graf erhob sich plötzlich. „Verzeih’, Großmutter, wenn ich Dich bitte, es für heute abzubrechen. Die Nachtreise hat mich doch etwas ermüdet, ich fühle dringend das Bedürfniß nach Ruhe. Du erlaubst, daß ich jetzt, nachdem ich Dich gesehen und gesprochen, mein Zimmer aufsuche.“

Er küßte die dargereichte Hand und verließ das Gemach. Die Präsidentin lehnte sich in ihren Armstuhl zurück, um noch einmal all’ die Pläne und Hoffnungen zu überdenken, die sie an die Vermählung dieses Enkels knüpfte, den sie von jeher am meisten geliebt, und der all’ ihren Erwartungen so glänzend entsprochen hatte. Einige Verwunderung würde es ihr aber doch erregt haben, hätte sie gesehen, wie Graf Hermann, obwohl er so dringend das Bedürfniß nach Ruhe empfand, doch nicht daran dachte, sein Zimmer aufzusuchen, sondern sofort von einer anderen Seite in den Park ging und denselben, trotz der beginnenden Mittagshitze, nach allen Richtungen hin durchstreifte. –

Auf einem der großen Rasenplätze unter dem Schatten eines mächtigen Ahornbaumes saß Gertrud mit ihren beiden Zöglingen und erzählte den Kindern ein Märchen. Das älteste der kleinen Mädchen hatte sich dicht an die Erzieherin geschmiegt und blickte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit in ihr Gesicht, als wollte es jedes Wort von ihren Lippen ablesen; das jüngste, auf dem Rasen knieend und beide Aermchen auf Gertrud’s Schooß gelegt, lauschte ebenso athemlos. Es war eine reizende Gruppe; aber das war auch nicht mehr die kalte, ernste Gouvernante, die sich vorhin so förmlich verneigt und so abgemessen geantwortet hatte. Warm wie das goldene Sonnenlicht, das durch das Laubdach des Baumes hindurch auf ihr Antlitz fiel, war jetzt der Ausdruck desselben und es lag etwas unendlich Weiches und Liebliches in ihrer Haltung und ihrem Tone, als sie so zu den Kindern herabgebeugt ihnen mit halblauter Stimme von den Feen und Elfen erzählte, etwas, das freilich weder die Präsidentin, noch die Baronin von Sternfeld jemals zu sehen bekamen.

Aber Graf Arnau sah es, der unbemerkt hinter einem Bosquet stand und sie von dort aus beobachtete. Ja, diese Züge hatten in der That gehalten, was sie vor sieben Jahren versprochen. Aus dem zarten, blassen und kindlichen Wesen war jetzt eine vollendete Schönheit geworden, und Hermann konnte sich beim Anblick dieser hohen, prachtvollen Gestalt, dieses classisch reinen Profils und dieser reichen goldblonden Flechten des Gedankens nicht erwehren, daß es im Grunde doch sehr unvernünftig von seiner Tante sei, eine solche Erscheinung in’s Haus zu nehmen, neben der sie und jede andere Frau nothwendig verschwinden mußte.

Es blieb ihm aber nicht viel Zeit zu seinen Beobachtungen, denn eins der Kinder bemerkte ihn plötzlich und zeigte nach der Richtung, wo er stand. Gertrud erhob sich sofort und machte sich von den beiden Kleinen los. Es ging wie ein Eishauch über ihr Antlitz, unter dem all das Leben und all die Wärme, die soeben dort gestrahlt, zu erstarren schienen; kalt, ernst und völlig bewegungslos erwartete sie die Annäherung des Grafen.

Er stand ihr jetzt gegenüber und blickte sie an. Das waren noch die räthselhaften dunkelblauen Augen, die ihm von damals her noch so deutlich in der Erinnerung standen, und auch der alte Schatten lag noch darin, nur schwerer, tiefer war er geworden. Es zuckte etwas auf in diesen Augen unter seinem forschenden Blicke; war es der alte, ihm unerklärliche Haß, war es noch eine andere Empfindung – Hermann, der sonst Alles so klar durchschaute, wußte es nicht zu deuten; er fühlte nur, daß diese Regung ihm feindselig, und daß das seltsame Mädchen ihm gegenüber sich gleich geblieben war.

„Ich weiß nicht, mein Fräulein,“ begann er, „ob Sie mir gestatten wollen, eine frühere Bekanntschaft zu erneuern. Ich hoffe es kaum nach der Art, wie Sie meine Begrüßung erwiderten.“

„Sie würden mich verbinden, Herr Graf, wenn Sie diese Bekanntschaft vergessen wollten.“

Auf eine so unverhüllte Abweisung war Hermann doch nicht gefaßt gewesen, sie reizte ihn unwillkürlich, und hatte er vorhin geschwankt, ob er sich überhaupt ihr nahen sollte, so bekam er jetzt Lust, das Gespräch trotz alledem fortzusetzen.

„Wie Sie befehlen; doch bevor wir einander völlig ignoriren, erlauben Sie mir, Ihnen Kenntniß von einer Sache zu geben, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_793.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)