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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

war der Ort, so zu sagen, bis an die Zähne bewaffnet. Sämmtliche, sehr starke Mannschaft war in Alarmhäusern concentrirt, um jeden Augenblick kampfbereit bei der Hand zu sein. Der treffliche Sell hat hier eine Zeichnung vollendet, welche eine solche Wache im Schloßhofe am Eingange des Dorfes darstellt (s. S. 768). Das ganze Dorf war in Vertheidigungszustand versetzt; überall sah man Schießscharten in Häuser und Mauern gebrochen, Verhaue gebaut und durch Barrikaden alle Zugänge gesperrt, an denen für Ablösungen und Patrouillen nur kleine Oeffnungen gelassen waren. In gleicher Weise hatte man alle Dörfer, Wälder, Straßen, Hügel und Berge befestigt, sehr oft mehrere Vertheidigungslinien übereinander angelegt und an allen geeigneten Punkten Einschnitte und Aufwürfe für die Artillerie angebracht. Man muß dieses Meisterstück der Feldbefestigungskunst gesehen haben, um die Thatsache zu begreifen, daß eine Armee von mehr als hundertsiebenzigtausend Mann von zweihunderttausend Deutschen so umschlossen werden konnte, daß nach keiner Seite hin und durch keine Anstrengung und Tapferkeit ihr der Durchbruch möglich wurde.

Unser Commandoführer hatte hier sein Regiment – die Neununddreißiger Füsiliere – wiedergefunden; die Officiere desselben gönnten auch mir ein Strohlager in dem Bauernhäuschen, in welches sie zusammengedrängt waren. Nach einer Abendmahlzeit von Chocolade, Brod und Speck schliefen wir wie die Götter und der Himmel schenkte uns dazu eine alarmfreie Nacht. Mit dem Tagesgrauen kochte das Regiment auf den Straßen und in den Gärten seinen Kaffee und rückte um sechs Uhr weiter östlich, nach Fleury vor, wo es theils Bivouacs, theils Cantonnements bezog.

Hier fand ich auch das Infanterieregiment Nr. 74 und bei demselben mehrere Freunde, die mich zu einem trefflichen Frühstück in einem Chausseegraben einluden. Meine Mittagsruhe hielt ich im Stroh einer großen Ziegelei, welche etwa fünfhundert Soldaten beherbergte. Die Stimmung der Truppen war überall mit dem Sonnenschein hell und heiter geworden; auch die Ruhranfälle hatten wenigstens ihren bösartigen Charakter verloren. Darum fehlte es auch nicht an Vergnüglichkeit aller Art, zu denen vor Allem die öffentlichen Bälle auf dem Dorfplatz im Mondenschein gehörten, zu welchen die Regimentsmusik aufspielte. Eine sehr gemüthliche Frühstücksscene hat ebenfalls durch Sell’s unermüdlichen Griffel ihre Verherrlichung gefunden (s. S. 769). Ich hatte die Freude, sie mit zu erleben. Als nämlich unsere Neununddreißiger hier in die Alarmquartiere eingerückt waren und wir nach abgelegtem Gepäck einen Gang durch’s Dorf machten, verbreitete sich rasch wie ein Lauffeuer das Gerücht, ein Marketender sei mit bairischem Bier angekommen. Ich schloß mich einigen Officieren an, welche die ersehnte Spur verfolgten, und wir entdeckten die Labequelle unweit des Dorfbrunnens. Hier faßten wir Posto und machten uns über den braunen Gerstensaft her, der natürlich sehr bald eine zahlreiche Anbeterschaft um sich versammelt hatte. Lang dauerte das Vergnügen nicht, denn nach einem kurzen Stündchen war kein Tropfen mehr vorhanden, aber reizend schön war der genossene Augenblick und für alle Theilnehmer der illustrirten Erinnerung werth.

Was ich später über die Zustände von Land und Leuten um Metz her beobachtete, ist wohl um so mehr zur Mittheilung geeignet, als jetzt, nach der Eröffnung von Metz, das Bild der Umgebung während der Belagerung bald unter der Hand des Fleißes aus bitterster Noth eine heilsame Umwandlung erfahren wird.

Die Lage der Landbevölkerung um Metz war und ist natürlich in diesem Augenblick noch eine wahrhaft trostlose. Jüngere Leute sah ich fast gar nicht. Die Männer waren theils zu den Nationalgardisten geeilt, theils hatten sie in Metz mit gehungert, Dank ihren Pfaffen und Geistlichen, die ihnen von den „preußischen Barbaren“ nicht Schauderhaftes genug beizubringen wußten. Nur alte Leute und kleine Kinder zeigten sich hier und da; fast genau so, wie es uns aus den schlimmsten Zeiten des dreißigjährigen Kriegs erzählt wird, waren die meisten Häuser „wüst und leer“. – Ich muß ausdrücklich bemerken, daß unsere Soldaten gegen solche zurückgebliebene Bewohner sich, mit wenigen Ausnahmen, äußerst rücksichtsvoll benahmen. Selbst in den am stärksten mit Truppen belegten Dörfern überließ man den bejahrten Eigenthümern die besten Zimmer und ihre Betten; ja viele derselben wären vielleicht elend verkommen und verhungert, wenn nicht der Soldat seine Mahlzeit mit ihnen getheilt hätte. Den besten Beweis für die große Thorheit derer, welche, oft mit allen nur transportabeln Habseligkeiten, ihre Wohnungen verlassen hatten, lieferte der friedliche Verkehr, welcher sich sehr bald zwischen ihnen und unseren Soldaten entspann. Unsere Truppen nahmen nur, wo sie nichts kaufen konnten; wo aber ein Eigentümer sich zeigte, da kauften sie, bezahlten stets baar und gönnten den Leuten für gute Waare gern den Vortheil guter Geschäfte. Ich sah in Verny und anderen Orten ganze Heerden von Schafen, Schweinen, Gänsen von ihren alten Hirten zur Weide führen wie im tiefsten Frieden; Niemand vergriff sich an dem also gehüteten Eigenthum. Ebenso sah ich nicht selten unsere Musketiere den alten Männern und Frauen bei schweren Arbeiten kräftige Hülfe leisten, für Ruhe im Hause sorgen, wenn jemand krank war, und selbst kleine Kinder auf den Armen herumtragen, um den Müttern die Arbeit im Hause zu ermöglichen. Noch spricht man hier mit inniger Theilnahme von der Alten von St. Remy, über die sicherlich die Zeitungen voll waren. St. Remy liegt bekanntlich nördlich von Metz; unsere Granaten haben es ebenfalls in einen Schutthaufen verwandelt und alle Bewohner daraus vertrieben. Nur ein Paar Katzen sind der Heimath treu geblieben und eine alte Frau. Letztere gehört nunmehr zum Inventarium der dort einquartierten Feldwache, von welcher sie stets der ablösenden Mannschaft mit übergeben wird. Da sie auf alle Bitten, sich von dem Orte zu entfernen, der von den nur dreihundert Schritt davon in Labonchamp hausenden Franzosen noch jetzt nicht selten mit Granaten beworfen wird, nur die Versicherung giebt, daß sie hier ausharren werde bis zu ihrem Tode, so suchten die deutschen Soldaten der Alten wenigstens ihre Umgebung so freundlich als möglich einzurichten; sie bauten ihr eine Strohhütte, teilten Kaffee und Mittagskost mit ihr und gaben ihr einen Soldatenrock zur Decke in den kalten Nächten. Das gute deutsche Herz verleugnete sich auch hier nicht, wenn ihm guter Wille manierlich entgegen kam.

Wie vielen Schaden hätten die Landleute sich ersparen können, wären sie daheim geblieben! Des unvermeidlichen Unglücks war immer noch genug, um das Land in ungeheuren Strecken und viele Familien auf Jahre, wenn nicht auf immer zu ruiniren. So ging die letzte Ernte größtentheils verloren. Das Getreide war zwar meistens eingeheimst, ehe der Krieg sich hierher zog, durch die Flucht der Bauern fehlten aber die Hände zum Dreschen, und so sah ich in den Bivouacs und in den Pferdeställen Massen der herrlichsten Weizengarben als Streu und als Material zum Hüttenbau verwendet. Noch schlimmer steht es mit der zukünftigen Feldbestellung. Meilenweit um Metz herum sind die Aecker zertreten, zerfahren, in Lagerplätze und Feldbefestigungen verwandelt. Mit der Wintersaat ist’s für dieses Jahr schon ganz vorbei –; und kehren nun auch die Flüchtigen zurück, wie viele Dörfer sind in den Schlachten vor Metz und in den Ausfallsgefechten niedergebrannt, wie viele Heimkehrende finden selbst in den noch stehenden ihre Häuser nicht wieder oder in kaum bewohnlichem Zustande! Und wenn auch dies, wie viele werden das ganz verschwundene Zugvieh, die zerstörten Ackergeräte, die fehlende Aussaat sich erschwingen können, um nicht auch der künftigen Sommersaat verlustig zu gehen? Wahrlich, die ganze weite Gegend um Metz geht einer sehr harten Zeit entgegen!

Nicht viel bessere Aussicht bieten der einst so einträgliche Weinbau und die gesegnete Obstzucht. In der Nähe der Lager ist die vogelfreie Ernte den Soldaten zu Gute gekommen, auf großen Strecken fehlten die arbeitenden Hände und der Erntesegen ist dem Verderben überlassen. Was noch zu retten ist, das verdankt die Bevölkerung dem deutschen Waffensieg, welcher der lothringischen Jungfrau Metz so bald den Kranz vom stolzen Haupte gerissen hat.


An die patriotischen Geber der Gartenlaube!

Quittung über die seit vierzehn Tagen eingegangenen reichen Gaben kann aus Mangel an Raum erst in nächster Woche veröffentlicht werden. Die nahende Winterszeit mahnt zu weiteren Einsendungen.Die Redaction. 



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_770.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)