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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

unglücklich, ein sehr hohes männliches Ideal in meiner Seele zu tragen. Begegnet mir nun ein Mann im Leben, der durch einen oder den anderen oder mehrere jener Vorzüge, welche ich von einem echten Manne unzertrennlich halte, meine Phantasie erregt, so meine ich, ihn zu lieben, ja, ich liebe ihn vielleicht wirklich, ich bin begeistert von ihm, ich könnte alle die Thorheiten eines jungen Mädchens begehen, bis – bei fortgesetzter und schärferer Betrachtung – an meinem glänzenden Monde die Flecken hervortreten.“

„Wie?“

„Bis ich jene dunklen Stellen entdecke, welche jeder Mensch in seinem Wesen hat,“ fuhr die schöne Frau fort, „dann sehe ich plötzlich, wie weit der Mann, den ich liebe, von dem Manne entfernt ist, den ich mir träume, und ich bin enttäuscht, meine Neigung ist entwurzelt, ich habe kaum Mitleid, wo ich vor Kurzem noch Bewunderung hatte.“

„Das ist aber recht traurig,“ sagte Koltoff, eigentlich wußte er aber weder, was er von der Fürstin denken, noch was er sagen sollte.

„Sie sehen also,“ fuhr diese fort, „daß ich Unrecht begehe, Unrecht an mir und dem Manne, dem ich mich gebe, wenn ich eine neue Ehe eingehe.“

„Und wie ist das männliche Ideal beschaffen, das Ihnen vorschwebt?“ fragte Koltoff nach einer kleinen Pause.

„Der Mann, den ich lieben, dem ich gehören soll,“ erwiderte Lubina, „muß alle Vorzüge des Körpers mit jenen des Geistes vereinigen, er muß zu gleicher Zeit ein vollkommener Cavalier, ein tapferer Soldat und ein Philosoph von nicht gewöhnlichem Geiste sein.“

„Sie verlangen viel,“ stammelte der junge Lieutenant, ihn erschreckte vorzüglich die Philosophie.

„Gewiß finden sich alle diese Eigenschaften selten vereinigt,“ sagte Lubina, „ja vielleicht nie: Voltaire ist häßlich wie ein Affe und Moritz von Sachsen hat die Logik eines Corporals; aber wenn dies wirklich so ist, bin ich, wenn mein Geist in höheren Regionen schwebt, verpflichtet, statt meiner göttlichen Träume mit der gemeinen Wirklichkeit vorlieb zu nehmen. Beklagen Sie mich.“

Die Fürstin versank in Nachdenken.

„Werde ich je mein Ideal finden?“ sprach sie nach einiger Zeit, den Blick ihrer dunklen seelenvollen Augen schwermüthig in die Weite verloren.

Koltoff schwieg, und er schwieg auch beharrlich, als die schöne Frau, scheinbar unabsichtlich, zuerst mit ihrer Fußspitze die seine berührte, dann mit ihrem vollen warmen Arme seine Hand streifte. „Eine seltsame Frau,“ dachte er, „sollte sie wirklich unfähig sein zu lieben?“

Und die Fürstin? Die Fürstin sagte zu sich: „Ein seltener Lieutenant. Er scheint zu viel im Plato gelesen zu haben.“




Koltoff kam bald täglich zu der schönen Fürstin, ja es gab Tage, wo er dienstfrei war und sich dafür von früh bis Abends dem Dienste der launischen Göttin weihte, und Lubina verfügte in der That über ihn, wie eine Olympierin über den Erdgeborenen, wie die Gebieterin über den Sclaven. Wenn sie ausritt, war es Koltoff, welcher ihr in den Sattel helfen, welcher sie begleiten mußte, und das Reiten mit ihr war ein gefährliches Ding, denn sie setzte kühn über Gräben, Hecken und andere Hindernisse, so daß der dienende Cavalier nicht selten in die Gefahr kam, das Genick oder doch mindestens Arm und Bein zu brechen. Im Parke wurde ein Schießstand eingerichtet, Lubina schoß mit ihrem Anbeter um die Wette, und hier bewährte sich neuerdings, daß Amor blind ist, denn der gute Lieutenant fehlte regelmäßig die Scheibe, und alle die schönen alten Bäume, welche dieselbe umgaben, trugen bereits die Spuren seiner Kugeln.

Im Parterre des Palastes war ein kleiner Fechtsaal eingerichtet, in welchem sich die kühne Amazone und ihr Anbeter täglich auf der Mensur gegenüberstanden, Lubina über dem weißen hochgeschürzten Gewande einen leichten Brustpanzer, Beide mit Drahtmasken und großen Stulphandschuhen, das Floret in der Hand, und dann, nachdem der Appell gegeben, gab es kaum etwas Reizenderes, als die schöne Frau, wenn sie mit schlangenähnlicher Behendigkeit die Stöße des Gegners auffing, zurücksprang und, wieder zum Angriff übergehend, ihn bis an die Wand trieb, wo sie ihn gewöhnlich durch eine Finte entwaffnete und ihm die Spitze ihrer Waffe zum Zeichen des Sieges auf die Brust setzte.

Aber es blieb nicht bei diesen Körperübungen, bei denen der Officier in seinem Elemente war; er mußte der Amazone, welche sich, wie alle vornehmen Damen ihrer Zeit, mit Philosophie, Naturwissenschaften, schöner Literatur, Geschichte beschäftigte, auch auf den geistigen Kampfplatz folgen, und so eifrig Koltoff war, in jenen Stunden, welche ihm seine Göttin frei ließ, das Versäumte nachzuholen, seinen Kopf mit den Philosophemen der Griechen, Römer und der französischen Encyclopädisten zu füllen, sich mit den herrlichen Werken eines Homer und Virgil, eines Horaz und Ovid, wenn auch nur in schlechten französischen Uebersetzungen, bekannt zu machen, die Modedichtungen Voltaire’s, Diderot’s, Lafontaine’s zu verschlingen: die Fürstin, welche mit einem wenn auch sehr oberflächlichen, doch weitschweifenden Wissen einen lebhaften, weiblich feinen Geist und eine große natürliche Beredsamkeit verband, bereitete ihm viel schwere Stunden; er gerieth endlich ganz in die Rolle eines Schülers dem gelehrten Meister gegenüber und stellte sich zu den physikalischen Experimenten und den astronomischen Beobachtungen, bei denen er Lubina beistehen mußte, so naiv an, daß die Fürstin sich an ihm noch mehr ergötzte, als an den erzielten wissenschaftlichen Ergebnissen.

Eine griechische Rotunde auf einer großen Wiese ihres weitläufigen Parkes bildete das Studio der Fürstin; es enthielt im Erdgeschoß einen chemischen Heerd und alle die mysteriösen Anstalten der damaligen noch mit der Alchymie Hand in Hand gehenden Chemie und Physik; in dem obern Stockwerk befand sich eine große Bibliothek, zwischen deren hohen Fächerkästen Globen, Büsten berühmter Männer der Wissenschaft und Thiergerippe aufgestellt waren; das oberste Geschoß mit weit durchbrochenen Fenstern und die Plattform dienten zu astronomischen Zwecken, und wenn die Fürstin, durch einen weiten schwarzen Sammttalar und eine runde Sammthaube vor der kalten Nachtluft geschützt, mit ihrem Adepten hier oben erschien und das große Sternrohr zu richten begann, machte sie den Eindruck eines weiblichen Faust.

Es schien aber der gelehrten Amazone bald nicht mehr zu genügen, daß ihr Anbeter sich ohne Groll von ihr entwaffnen ließ und – ihr mit den Retorten und Quadranten zur Hand war. Er mußte die Flöte blasen lernen, um sie zu begleiten, wenn sie auf dem Piano spielte, er nahm auf ihr Geheiß Tanzstunden bei einem Pariser Tanzmeister, welcher sich in Petersburg niedergelassen hatte, und hatte die Aufgabe, täglich nach dem Essen, während seine Göttin in dem künstlich verdunkelten Zimmer ruhte, ihre Hunde spazieren zu führen.

Endlich gab ihm Lubina förmliche Proben auf, ganz wie die Damen der Troubadours und Minnesänger es zu thun pflegten. Sie hatte in ihrem Parke unter Anderem einen großen braunen Bären, welcher in einem weiten Zwinger verwahrt war. Derselbe war sehr jung in ihren Besitz gekommen und zeigte daher nur noch geringe Spuren von Wildheit. Immerhin war jedoch eine Unterhaltung unter vier Augen mit ihm ein Wagestück.

Lubina verlangte also eines Morgens mit dem liebenswürdigsten Lächeln von der Welt von ihrem Anbeter, er möchte in den Käfig des Bären steigen und den drolligen braunen Gesellen nach der damaligen Mode frisiren.

Koltoff war im ersten Augenblicke starr, aber er besann sich nicht lange und gehorchte. Zu seinem Glücke stand er seit langem schon, ohne daß seine grausame Herrin es wußte, mit dem Bären auf gutem Fuße. Er brachte ihm täglich Obst und Honigscheiben, welche derselbe mit einem ganz besonders artigen Knurren und Brummen entgegennahm.

Auch diesmal führte der Gardelieutenant derlei Leckereien bei sich, und nachdem er noch zwei Pistolen und ein persisches Jagdmesser zu sich gesteckt und sich mit Kamm, Bürste, Pomade und Puder versehen hatte, ließ er sich von dem Gärtner den Zwinger aufschließen und trat in das Gefängniß seines gefährlichen Freundes, während die schöne Lubina, vor dem Gitter stehend, mit einem seltsamen, halb neugierigen, halb schauerlichen Reiz die eigenthümliche Scene beobachtete. Der Bär blieb anfangs vollkommen gleichgültig, er ließ seinen mächtigen Kopf auf den Vordertatzen ruhen und blinzelte nur mit den kleinen Augen nach rechts und links.

Koltoff rief ihn mit starker Stimme an. Er rührte sich nicht. Hierauf warf der kecke Lieutenant etwas von seinem Obst in die Futterschüssel des Bären und schob sie ihm hin. Der Bär schnupperte; richtete sich auf und leckte an dem Obst. Plötzlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_671.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2019)