Seite:Die Gartenlaube (1870) 658.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

In heiterster Scherzesstimmung fragten Sie die jungen Damen, was sie denn von Berlin, wohin Sie nun gingen, mitgebracht haben wollten.“

„O, das war nur Scherz mit den beiden kleinen Schwätzerinnen,“ versetzte schnell abweisend der Oberst. „Ich erinnere mich der Sache wohl – nur Scherz, Spaß. Weiter nichts.“

„Ich nehme es auch für nichts weiter, Herr Oberst. Schlimm für uns, wenn es Ernst gewesen wäre; es ist besser so, wie es gekommen ist, nur darum erzähle ich Ihnen die kleine Geschichte auch. Sie erinnern sich auch wohl, was sich die beiden kleinen Mädchen wünschten?“

„Es ist mir nicht mehr so genau erinnerlich.“

„Nun gut, so will ich es Ihnen sagen: un joli petit Prussien wünschten sie vom General sich mitgebracht, obwohl ihm, dem Franzosen, im ersten Augenblick ein solches Gelüste nicht ganz schmeichelhaft klang. Dennoch hat er das gewünschte Versprechen gegeben. Es sei! Einen kleinen netten Preußen. ‚Aber,‘ sagte die eine, die ältere der beiden Brünetten, sich an der Schürze zupfend und durch die Zusage des Generals offenbar noch immer nicht befriedigt, ‚so vornehme Herren haben oft ein kurzes Gedächtniß – und uns ist an einem kleinen hübschen Preußen wirklich viel gelegen!‘ Komische Auffassung der Französinnen, uns gerade als klein aufzufassen und zu wünschen, da wir doch nicht klein zu kriegen sind. ‚Eh bien! Herr General,‘ fuhr das Mädchen fort, ‚wollen Sie es uns nicht schriftlich geben?‘ Die Herren Officiere brachen bei diesem seltsamen Verlangen in ein lautes Gelächter aus, waren aber in einer so vortrefflichen Laune, daß Papier, Feder und Tinte gebracht und das schriftliche Instrument aufgesetzt wurde: Nous soussignés – promettons à Mesdemoiselles So und So – rapporter un petit joli Prussien en revenant de Berlin. Auf deutsch: ‚Wir Unterzeichnete – versprechen den Fräulein So und So – ihnen bei unserer Rückkunft von Berlin einen kleinen, netten Preußen mitzubringen.‘ Nun kamen der Reihe nach die Namen der Herren mit dem des Generals Frossard an der Spitze – der vierte oder fünfte war der Ihrige, Herr Oberst –“ „Ah, mais non –“ „Verzeihen Sie, ich habe das Actenstück gesehen, und habe mich herzlich gefreut, daß die Sehnsucht Ihrer beiden reizenden Landsmänninnen nach einem netten, kleinen Preußen so rasch befriedigt worden ist. Adieu!“



Ein Werk des Friedens.
Von J. Nötzli.

Wer die Schweiz schon besucht hat, kennt den wegen seiner herrlichen, weitumfassenden Aussicht hochberühmten Rigi. Beinahe in der Mitte der Schweiz erhebt er sich bis zu 5500 Fuß als ein von allen Seiten freistehender Berg, auf seiner westlichen Seite bespült von dem so majestätisch hingebreiteten, dampfbootbefahrenen Vierwaldstättersee. Auf seinen üppigen Alpentriften weiden im Sommer an dreitausend Kühe und zahlreiche Heerden von Schafen und Ziegen, einhundertundfünfzig Sennhütten liegen zerstreut umher und zahlreiche Wege führen hinauf bis zum höchsten Gipfel, dem Kulm, der, wie weltbekannt, sowohl des Abends bei Sonnenuntergang, als in der Frühe vor und nach Sonnenaufgang, eine Aussicht bietet, die außerordentlich, ja einzig ist.

Unter diesen Wegen sind einzelne, deren Steilheit wirklich nicht bedeutend genannt werden kann, wenn auch bisweilen zwei bis drei Fuß hohe Felsenstufen erstiegen werden müssen. Trotzdem werden nicht wenige von den halbhunderttausend Fremden, welche alljährlich den Rigi zu besuchen kommen mit Freuden von einem Unternehmen hören, welches schon von Beginn dieses Herbstes an jedem Rigifahrer zu Gute kommen wird, für die Zukunft aber geradezu von größter Tragweite ist. Drei schweizerische Ingenieure sind es, der Oberst Adolph Näff in St. Gallen, N. Riggenbach in Olten und Olivier Zschokke in Aarau, deren Scharfsinn und Ausdauer man die Rigibahn verdankt und diese selbst, deren Möglichkeit so lange bezweifelt und geschmäht worden war, in Augenschein zu nehmen, machte ich mich an einem schönen Morgen von Vitznau aus, einem stillen freundlichen Dörfchen am rechten Ufer des Vierwaldstättersees, auf den Weg.

Einige Minuten die Straße hinauf und ich befand mich vor dem noch im Baue begriffenen Bahnhofe. Ein kleines, aber schmuck aussehendes Haus, im Genre der Schweizerhäuschen, doch ohne die zierliche Schnitzarbeit derselben. Neben dem Wartesaale das Zimmer des Billeteurs, der Bahnbeamten etc.; im Ganzen wenig Interessantes bietend. Gleich einige zwanzig Schritte davon steht der Schuppen für Locomotive und Waggons. Zwischen den beiden Gebäuden liegt die Drehscheibe, welche die Locomotive auf die hier einmündende Linie bringt.

Von da aus trat ich nun meinen Marsch an; von Schwelle zu Schwelle, wie auf einer Treppe, emporsteigend. Im Anfange geht es eine Strecke ziemlich gerade fort und ohne besondere Steigung, so daß ich alle Muße fand, der Schienenlegung meine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Ueber die kaum zwei Fuß voneinander entfernten eichenen Schwellen gehen zu beiden Seiten mit diesen zusammengefügte Balken die ganze Bahnstrecke entlang, so daß die Schienen förmlich auf einem Roste ruhen. Es liegt auf der Hand, daß dieses System angewandt werden mußte, um jeder Verschiebung, namentlich dem Herunterrutschen, vorzubeugen, und gewiß ist der Zweck dadurch vollständig erreicht. Wäre je eine Weichung möglich gewesen, so müßte sie gewiß schon jetzt zu Tage getreten sein, denn die Locomotive hat während des Baues der Bahn so schwere Transporte (Baumaterial) hinauf befördert, wie sie vielleicht nie mehr vorkommen.

In Mitte der Schienen liegt die feste, massive Zahnstange, in welche das Zahnrad eingreifen muß. Wie die Zahnstange aus geschmiedetem Eisen, so sind deren einzelne eingenietete Zapfen der Solidität wegen aus Gußstahl. Diese Schiene ist das einzige wesentlich Abweichende von einer gewöhnlichen Bahnlinie, und es erhellt daraus sofort, daß wir es mit dem bekannten amerikanischen Bergbahnsystem zu thun haben, das sich nicht nur als praktisch anwendbar, sondern auch als sehr solid bewiesen hat, abgesehen davon, daß seine Herstellung nicht unverhältnißmäßig theuer zu stehen kommt.

Gleich oberhalb Vitznau schlägt sich die Bahn in scharfer Steigung, die sich bis zum Tunnel gleich bleibt, an den Berg, den sogenannten Vitznauer, stark hin und fordert hier den ersten Schnitt in die Nagelfluh des Bergkolosses. Die erste Schwierigkeit des Baues tritt zu Tage; oft reichten Böschungen nicht hin, und es mußten hohe Versicherungen angebracht werden, da das Terrain plötzlich ganz abfällt, einen steilen Abhang bildend oder eine tiefe Kluft öffnend. Die Felsensprengungen, die hier vorgenommen werden mußten, haben manchen schönen Kastanienbaum im Thal geknickt oder verstümmelt, und sie blicken traurig herauf auf das Werk der Menschenhände, hinauf an die himmelauftrebenden Felsen, in deren Schutz sie so manche Jahre friedlich grünten und blühten.

Je weiter hinauf ich steige, desto mehr fesselt die ganze Anlage der Bahn mein Interesse; ich habe noch nie eine Strecke gesehen, die so viel Abwechselung des Baues in so geringer Ausdehnung darbot. Hier mußte ein hoher Damm angelegt werden, dort ein Einschnitt in die Felsen, eine Versicherung, eine Böschung, eine Brücke, und daneben – welch’ eine prachtvolle Natur, welche bezaubernde Aussicht! Und je höher ich emporklimme, desto schöner, reicher, gewaltiger.

Die Bahn führt eine kurze Strecke durch einen Wald, und wie man wieder herauskommt, liegt das prächtigste Panorama vor uns ausgebreitet. Zu unseren Füßen das freundliche Vitznau, eine lange Strecke herrlicher Obstwald; darüber hinaus der Vierwaldstättersee; sein Spiegel kost mit der Sonne und wirft ihre Strahlen blitzend herauf. Ein Dampfschiff zieht einsam darüber hin und trägt seine Last hinauf gegen Gersau und Brunnen, hinab gegen Stansstad, Hergiswyl. Der Bürgenstock steigt düster heraus aus dem See und über ihn herein blicken die stolzen Häupter der Berneralpen, die Jungfrau, der Eiger, die Wetterhörner etc., weiter links der Uri-Rothstock, der Titlis und wie sie alle heißen, diese gewaltigen Gebilde der Vorzeit, die Träger des ewigen Schnees, glühend beim ersten Kusse der Sonne, purpurn bei ihrem scheidenden Strahle. Die Reihe schließend steht der groteske Pilatus, ernst, beinahe schaurig. Er wirft seinen Schatten tief in den See

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_658.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)