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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

sah man stattliche Ruinen eines römischen Viaducts, der einst über das Moselthal führte.

Die Wegkunde meines Kutschers erstreckte sich nicht auf das andere Moselufer; allein gegebenen Weisungen folgend, schlugen wir den Weg nach Augny ein, als uns ein Wetter überfiel, so schauderhaft, wie es glücklicher Weise nicht oft vorkommt. Es regnete wie bei der Sündfluth, und das hielt mit sehr kurzen Pausen bis zum Abend an. Jeder Schutz gegen solches Wetter war nutzlos. Ich war sehr bald nicht nur bis auf die Haut durchnäßt, sondern hatte außerdem noch das Nebenvergnügen, ein stundenlanges Sitzbad zu genießen. Es war das eine gräßliche Fahrt. Mein Franzose zankte mit seinem Heiligen, daß ihm derselbe nicht eine Offenbarung habe zu Theil werden lassen. Von Augny, hieß es, müßten wir nach Marly fahren, um Courcelles zu erreichen, die erste Station, von welcher Züge nach Saarbrücken gehen. Das schlechte Wetter und die Unzufriedenheit mit seinem Heiligen hatten meinen Franzosen noch confuser gemacht, als er schon von Natur war, und trotz meiner stark ausgedrückten Zweifel fuhr er einen falschen Weg, der, wenn wir ihn fortgesetzt hätten, uns sehr bald zu Marschall Bazaine gebracht haben würde, nach dessen Bekanntschaft ich selbst unter den trockensten Verhältnissen nicht im Geringsten begierig bin.

In der Kirche von Speichern.
Nach der Natur aufgenommen von Chr. Sell.

Als wir in die Nähe einer großen Farm kamen, rief uns ein Posten Halt! zu und verlangte, daß wir in den Hof fahren und uns bei dem commandirenden Officier legitimiren sollten. Es war dies ein preußischer Major, der meine Papiere sah und über dessen ganzes Benehmen ich mich so recht freute, weil er militärische Bestimmtheit und Kürze auf die angenehmste Weise mit liebenswürdiger Höflichkeit zu verbinden wußte. Trotz des heftigen Regens begleitete uns der Adjutant bis an den nächsten Posten, und wir trabten weiter auf einem falschen Wege. Mein dicker Franzose hatte gänzlich den Kopf verloren. Nach einiger Zeit hielt uns abermals eine Wache an. Ich sagte ihr, daß der Major uns bereits gesehen habe, allein der Mann erwiderte: „Ja, wo wollen Sie denn hin? Da stehen ja unsere äußersten Vorposten, und es wird alle Augenblicke gefeuert.“

Die Posten standen allerdings dicht vor uns und es wurden auch hin und wieder Schüsse gewechselt, auf die ich bei dem scheußlichen Wetter wenig geachtet hatte. Als mein Franzose gewahr wurde, welcher Gefahr er sich aussetzte, verzweifelte er beinahe; er überwarf sich vollständig mit seinem rücksichtslosen Schutzpatron, phantasirte von seinen vier Kindern, versicherte, daß ihn der Krieg gar nichts angehe etc., und war herzlich froh, als ich ihn eine Bewegung nach rückwärts ausführen ließ.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_640.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)