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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

schwierigste Aufgabe dieses Krieges, die mit allem Aufgebot geistiger und materieller Kräfte vorbereitet war, sollte der erste Schlag, den die zweite Armee zu führen hatte, sollte der mißglückt sein? Von welchen Zufälligkeiten, die aller Vorbereitung, aller Berechnung spotten, hängt nicht das Glück der Schlachten ab!

Ich war von den Anstrengungen des Tages todtmüde, aber konnte man mit solchen Gedanken, mit dieser Seelenbangniß überhaupt an Schlaf denken? Horch! Das sind Hufschläge – aber nicht von mehreren Pferden – nur von einem. Roß und Reiter kommen in Sicht der Mairielaterne, der Reiter ist eine Stabsordonnanz.

„Woher kommen Sie? Was bringen Sie für Nachrichten mit?“

„Gute. Die ersten Hiebe haben sie richtig empfangen, und die Quittung darüber durch ihren Rückzug ausgestellt. Wo ist die Wohnung für Seine königliche Hoheit?“

„Dort hinein, wo die Fenster erleuchtet sind. Wird der hohe Herr bald kommen?“

„Nein, ich soll melden, daß der Prinz diese Nacht in der Nähe des Schlachtfeldes bivouakirt.“

Schlaf sollte trotz der trostreichen Botschaft des Sieges aber doch nicht kommen. Ich hatte bei meiner Ankunft in Thiaucourt in meinem Quartier nur schnell mein Handgepäck abgelegt, ohne mich um die Quartiergeber, denen man sonst doch seinen Besuch zu machen pflegt, weiter zu bekümmern; nur das Haus hatte ich mir gemerkt. Als ich abgeklopft hatte und die Thür mir aufgethan worden war, kam mir eine weibliche Person, nicht mehr jung, und dem Aeußern nach zu schließen eine Wirthschafterin weinend entgegen. Auf meine Frage nach der Ursache ihrer Thränen, erzählte sie mir, daß ihr Herr, der Maire, schwer krank darniederliege; er sei vor einer Stunde todtenbleich nach Hause gekommen, habe sich sogleich zu Bette gelegt und befinde sich in einem Zustande, der sie Alles befürchten lasse. Nirgends sei ein Arzt aufzutreiben, selbst für den Maire von Thiaucourt nicht!

Sollten die Soldaten Recht gehabt, sollte sich der Maire selbst den Tod getrunken haben? Ich muß ganz aufrichtig gestehen, daß bei der mich überwältigenden Müdigkeit mir nicht der Gedanke kam, mich nach dem Manne umzusehen. Ich versank in einen Schlaf, der so gesund war, daß keine Träume kamen - leider nicht lange. Da dröhnte auch schon das Pflaster der Straße von den Batterieen, die über dasselbe hinwegrasselten, und dieses angenehme Wiegenlied, gesungen von der Artillerie des durchziehenden zwölften (sächsischen) Armeecorps, währte so zwei Stunden lang. Durch die Jalousieen meines Zimmers kam der erste Schimmer des Tages; draußen wurde stark an die Hausthür geklopft. Niemand öffnete. Das Pochen wurde stärker. Schnell warf ich meine Kleider über und ging hinaus, zu erfahren, was denn geschehen sei. Im Frühroth stand draußen ein sächsischer Officier, faßte mich kräftig am Arme und sagte in geläufigem, wenn auch vom Accent seines Landes angehauchtem Französisch: „En avant! Venez avec nous pour nous montrer le chemin pour aller à Metz!"

„Es thut mir unendlich leid, Herr Rittmeister, Ihnen in diesem Falle nicht dienen zu können, indem ich den Weg selbst nicht weiß.“

„Ah! pardon! ich sehe, daß ich mich geirrt habe, verzeihen Sie!“ – Der Officier ging ein Haus weiter, dort schien er mehr Glück zu haben, denn er kam aus demselben sehr bald mit einem Manne in der Blouse, einem Franzosen hervor.

Oh mes enfants – ma pauvre femme. Ayez pitié avec nous!" jammerte dieser.

Vous reviendrez à vos enfants – à vos – à votre femme." verbesserte sich der Officier in der Erinnerung, daß er in einem christlichen Staate sich befand, wo die Vielweiberei noch nicht gesetzlich ist.

Als wir an demselben Morgen Thiaucourt verließen, und ich nach dem Eßzimmer ging, um mein Frühstück zu nehmen, wer trat mir, um die Honneurs zu machen, entgegen? Der Herr Maire, frisch und gesund, nur noch ein wenig bleich und angegriffen von dem Schrecken durch die gestrigen Ereignisse.

Den Weg nach Metz! das sagt so ein junger Krieger so kurz weg, als ob dieser Weg so leicht wäre, als ob er nicht über Blutströme und über Leichenwälle führe.

Des andern Tages Nachmittags ging ich über das Schlachtfeld von Vionville. Die Sonne brannte heiß. In der Ferne sah man die Lazareth- und Johanniterwagen mit dem rothen Kreuz im weißen Fahnentuche und die Krankenträger-Compagnieen nach Verwundeten suchen. Sonst war es still auf dem Plane, auf welchem gestern um dieselbe Stunde unter Donnergebrüll der Geschütze und dem Kampfgeschrei erbitterter Feinde um die Siegesbraut gefreit wurde, – jetzt lag der Friede des Todes über der blutigen Wahlstatt.

Man brauchte keinen Wegweiser, man fand den Weg von selbst, wenn man den zerschossenen Helmen, den verstreuten Gewehren, den todten Pferden, den durch geplatzte Granaten aufgewühlten Erdschollen nachging. Da lagen die ersten Gefallenen – zuerst vereinzelt, gleichsam die Vorposten des Todes; dann weiter dichter und dichter. Die Nummern der Achselklappen an den zerschossenen Uniformen zeigten an, daß hier das Kampf- und Siegesfeld der brandenburgischen Regimenter war, und die dicht gesäeten Leichname, mit welch’ großen Verlusten dem Feinde jeder Vortheil abgerungen werden mußte, wie theuer jeder dem Feinde abgewonnene Fuß Erde dem Vaterlande geworden war. Da waren Officiere und Mannschaften treu vereint im Tode; wie sie es im Leben und im Kampfe waren. Einer von den Leuten des vierundsechszigsten Regimentes hielt sein Gewehr noch mit fast krampfhafter Energie an das Herz gedrückt; ein Anderer hat im Augenblick des Todes mit der einer Hand an die Stelle gefaßt, wo der Trauring angesteckt war – sein letzter Gedanke war Weib und Familie; wieder ein Anderer lag da, die Hände zum Gebet über der Brust gefaltet; er war betend im treuen Glauben eingegangen.

Die meisten Wunden sind Kopfwunden, geronnene Blutmassen bezeichnen die Stelle, wo der Lebensnerv getroffen und vernichtet wurde. Vielen ist die Kugel auch mitten durch die Brust gegangen, und der natürliche Instinct hat sie im Momente des Getroffenseins noch die Uniform aufreißen lassen, so daß man die kleine Wunde sieht, welche die Chassepot oder Mitrailleusenkugel getroffen hat. Die meisten Gefallenen liegen mit einer Armbewegung nach oben; sie rührt von dem Todeskampfe her. Unheimlich sind die weit offenstehenden, mit der Iris nach oben gerichteten Augen, gerade als hätten sie noch im Momente des Todes nach oben geschaut mit dem Gedanken: Sonne, willst du denn noch nicht sinken und diesem Tage ein Ende machen? O wie gerne möchte manche Liebeshand in der Heimath diese Augen zudrücken, manche Mutter, manche Braut, manche Gattin noch einen Kuß auf diese erkalteten Lippen drücken!

Im Ganzen machen unsere Truppen nicht den Entsetzen erregenden Eindruck, den man von den französischen Gefallenen bekommt. Die meisten sind von den preußischen Granaten zerrissen. Die französische Artillerie hat unseren Truppen verhältnismäßig wenig Schaden zugefügt; ihre Shrapnels sind schlecht; sie haben zwar eine hohe Flugbahn, einen hohen Aufsatz, aber sie crepiren meistentheils in der Luft, anstatt auf dem Boden. Von der Zielsicherheit und Treffkraft unserer Geschosse hingegen bekommt man durch die Reihen der französischen Gefallenen eine schreckenerregende Ueberzeugung. Schrecklich war der Anblick des französischen Lagers, das bei Flavigny von den Unseren genommen wurde, und der Schlucht, in welcher die französischen Garden wie niedergemäht lagen. In dem Lagerfelde war noch eine chaotische Wirrniß von den mannigfaltigsten Gegenständen militärischen Bedürfnisses anzutreffen; bunte grelle Uniformstücke, Sattelzeug, Zeltstücke, Tische, Stühle, Ueberbleibsel von Matratzen, Kochgeschirre, französische Soldbücher, Regiments-, Bataillonsbefehle und Briefe. Einen derselben hob ich auf, er war aus Toulouse datirt; von einer Dame geschrieben und die Anrede an den Adressaten lautete: „Pieux soldat!" Jedenfalls war es eine dame protectrice; denn die anderen Briefe, ganz sicher von jüngeren Damen geschrieben ergingen sich in einem weniger pathetischen, aber desto mehr vertraulichen Tone. Wie viel Herzen in der französischen Heimath mögen auf dem Felde von Flavigny und in den Schluchten von Rézonville ihr Glück, ihre Hoffnung, ihre Zukunft zu beweinen haben! Und doch war es ein Glück, daß ihnen der Anblick der verstümmelten Leiber erspart blieb! Den meisten Franzosen waren die Gliedmaßen durch unsere Schußwaffen zerschmettert, abgetrennt, die Häupter zerschossen, so daß die Gehirnmasse herausquoll, und die Leichname schwammen in einer Blutlache. Die Garden in ihren malerischen Uniformen lagen wie die alten römischen Fechter noch im Tode wie zu einer schönen Attitüde hingestreckt, während die Turcos und Zuaven ein wildes Durcheinander des Todes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_615.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)