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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


darunter ein Berg von Kürassen, Helmen und Pallaschen, an jene beiden Kürassierregimenter erinnernd, die bei Morsbrunn unter dem Kreuzfeuer der preußischen Infanterie in den Staub sanken.

Im Städtchen selbst schien Alles wieder in die Geleise des alltäglichen Verkehrs treten zu wollen; die entflohenen Einwohner waren nach ihren Wohnungen zurückgekehrt, die Verwundeten, die noch vor wenigen Tagen alle Häuser, selbst die Straßen, erfüllt hatten, waren größtentheils hinweggebracht, doch flatterte vor zahlreichen Lazarethen das rothe Kreuz. Vorerst galt’s, für die Nacht einen Schlupfwinkel zu finden. Wir hatten uns bereits mit dem Gedanken eines offenen Bivouacs vertraut gemacht, als der Apotheker des Städtchens, ein Herr Trautmann, die irrenden Wanderer aufnahm. Dann suchten wir den Etappencommandanten auf, Lieutenant Pietsch aus Polkwitz, und es gereichte uns zur besten Empfehlung, daß ein Berichterstatter der Gartenlaube unter der kleinen Karawane sich befand. Herr Pietsch erbot sich in freundlichster Weise, uns hinauszubegleiten auf’s Schlachtfeld. Als wir am letzten Hause von Wörth standen, zog ein penetranter Leichengeruch an uns vorüber; ein Blick auf das Gitterthor eines Grundstücks zeigte uns ein Blatt mit der Aufschrift: „Es sollen hier keine Todten mehr beerdigt werden.“ Zweihundertundfünfzig Mann sind hier bestattet. Der Weg nach Fröschweiler steigt langsam hinan, eine halbe Stunde weit, zuerst Weinberge, weiterhin freies Feld, links und rechts in Thäler abfallend, ein coupirtes Terrain, das dem Vertheidiger die furchtbarste Position bot. So weit das Auge reichte, zeugten die in bunten grausigen Gruppen hingestreuten Tornister, Patrontaschen, Helme, zerbrochene Waffen von dieser mörderischen Schlacht, gegen die Königsgrätz nach der Aussage der Soldaten ein Kinderspiel gewesen. Ueberall ragen hier die unheimlichen Hügel empor, manche mit Kreuzen bezeichnet, während anderwärts der Griff eines Infanteriesäbels hervorragt, des Kreuzes Stelle vertretend. Inschriften lauten: „5 Officiere der preußischen Armee, gefallen am 6. August 1870.“ „37. Regim. 1 Prem.-Lieut., 2 Sec.-Lieut., 2 Unteroffic., 31 Mann. 47. Regim. 7 Mann. 50. Reg. 3 M. 6. Reg. 9 M. 9. Reg. 2 Mann.“ Wir kamen an eine Schlucht, über die der Feind geflohen war; unten waren die Flüchtigen in entsetzlichem Knäuel über einander gestürzt, während verheerend die deutschen Geschosse einschlugen; der tiefe Graben war mit Armaturstücken angefüllt, zwischen denen das hinabrinnende Bächlein mühsam seinen Weg suchte, während sich die dichten Weiden im Abendwind leise darüber hin und her bewegten.

Der hereinbrechende Abend lud zur Rückkehr. Nochmals ließ ich meine Blicke über das weite Todesfeld schweifen.

„Ein Kirchhof liegt gebreitet,
Kein’ Mauer faßt ihn ein.“

Ein tiefes Weh durchzuckte mich, da ich gedachte, wie viel Bande hier zerrissen wurden, wie viel Frag’ und Jammer um diese Gefallenen in der Ferne erschallen wird. Wie ein Garten Gottes lag die weite Thalmulde vor mir, in’s Abendroth getaucht: rechts Morsbrunn und Elsaßhausen, wo jene stolzen Kürassiere, meist riesige Söhne der Normandie, aus ihren Verhauen zum Gefecht sprengten; weiterhin Gunstatt, von wo die Artillerie der Würtemberger so vortrefflich geschossen und wo die Badenser das Gepäck des Marschalls Mac Mahon erbeutet; drüben das Blachfeld bei Gersweiler, wo der Kronprinz die Schlacht geleitet; im Hintergrunde dunkelgrüne Wälder.

Ich frug auf dem Heimwege unsern Führer, was es mit den vielerzählten und vielbestrittenen Grausamkeiten auf sich habe, deren man die Turcos, „Hyän’ und Schakal zugleich“, beschuldige. Einen Fall konnte uns Herr Pietsch verbürgen. Als ein preußisches Bataillon zurückgehen mußte, blieb ein Mann verwundet in Wörth liegen; als es wieder vordrang, waren dem Armen von Soldaten jener afrikanischen Horde die Augen ausgestochen. Mein Gewährsmann hat den so grausam Verstümmelten in seinem gräßlichen Todeskampfe gesehen. Drunten im Orte gingen zwei schwarz gekleidete Damen an uns vorüber, Mutter und Tochter; sie geleiteten die Leiche des seinen Wunden erlegenen, durch Meuchelschuß gefallenen Sohnes in die Heimath. Als die Schlacht längst gewonnen war, ritt ein Zug Dragoner in Wörth herein, aus einem Hause fiel ein Schuß und verwundete den Führer (einen Herrn v. Waldau) tödtlich; der Thäter ist nicht ermittelt worden.

Im gastlichen Trautmann’schen Hause fanden wir uns bei einer Tasse Thee noch eine Stunde zusammen, die Geschicke unseres Volkes und seiner Hoffnungen für die Zukunft erwägend. Die dienstthuende Tochter des Elsaß sprach ein so correctes Deutsch, daß mein werther Freund W. sich nicht entbrechen konnte, sie in seinem unerschöpflichen Humor zu apostrophiren: „Lenchen, Du herrliches Lenchen, Du sprichst ja ein Deutsch, wie ich’s bei Dienstmädchen meiner Heimath nie gehört habe – ja, deutsch müßt Ihr Alle wieder werden, deutsch um jeden Preis!“

Am nächsten Morgen stiegen wir nach einem Besuch der Lazarethe nochmals gen Fröschweiler hinan. Dieses Dorf hat unstreitig die Gräuel der Verwüstung am meisten erfahren. Ein verheerender Kugelregen der Mitrailleusen, Granaten und Chassepots war von hier auf unsere Truppen herniedergesaust, bis es den deutschen Batterien gelang, das feindliche Feuer zum Schweigen zu bringen. Zahllose französische Armaturstücke lagen um das Dorf, dessen vordere Häuser durchlöchert wurden wie ein Sieb; andere Gebäude waren völlig niedergebrannt; von der Kirche und dem Thurme standen nur noch geschwärzte Mauern, das brennende Dachwerk war in sich zusammengestürzt, die Emporen und Säulen der innern Kirche in ihrem Sturze mit sich fortreißend. In einer Oeffnung des Thurmes hatte ein Rothkehlchen sich angesiedelt und war nebst seinen Jungen, denen es fröhlich Nahrung zutrug, wunderbarer Weise verschont geblieben. Neben der Kirche steht ein schloßähnliches Gebäude mit schönen Anlagen. Hier hatte Mac Mahon sein Hauptquartier. Der Eigenthümer der Besitzung, ein Herr v. Türkheim, schilderte uns den „unüberwindlichen“ Marschall als äußerst sanft und freundlich, Damen gegenüber selbst schüchtern. Hinter Fröschweiler breitet sich eine Hochebene aus; hier nahmen die tapferen Baiern Aufstellung, als sie den schon erschütterten französischen Heerhaufen in die Flanke fielen und wesentlich zur Entscheidung des Tages beitrugen.

Wir wanderten noch eine Stunde weiter, gen Reichshofen zu; überall gewahrten wir in weggeworfenen Monturstücken die Spuren der wilden Flucht. Im nahen Walde kamen wir an die Stelle, wo Füsiliere des zweiundachtzigsten und achtundachtzigsten Regiments fünf Mitrailleusen genommen hatten; geleerte Patronenhülsen lagen in Menge umher. Die Wirkung dieser „Höllenmaschine“ ist nicht zu unterschätzen und auch muthige Soldaten empfanden ein gewisses Grauen, wenn sie dem unheimlichen Knattern und Rauschen dieser Geschosse gegenüberstanden, das ein Officier mit dem Hinabfallen einer schweren Ankerkette verglich. Endlich gelangten wir an den Saum des Waldes, dort, wo die Landstraße sich nach Reichshofen hinabzieht. Hier setzten wir unserer Wanderung ein Ziel. Vor uns breitete sich das frische, romantische Wald- und Bergland des alten Vogesus aus mit seinen starken Felsen und gefallenen Burgen. Wir gedachten unserer tapferen Streiter, die in zwei siegreichen Schlachten bewiesen hatten, daß das deutsche Schwert noch nichts an seiner Schärfe verloren hat. Durch diese grünen Thalgründe waren sie vor wenigen Tagen hinabgezogen unsere besten Segenswünsche sandten wir ihnen nach. Hinter sich ließen sie rauchende Trümmer und weite Leichenfelder; mit sich nahmen sie unsterbliche Lorbeeren.




Im Lager unserer Heere.
Von A. v. Corvin.
Dritter Brief.


Pont à Mousson, 22. August.

Als ich am zehnten dieses Monats von Saarbrücken fortritt, reichte man mir Ihren Brief vom siebenten August auf das Pferd, in dem Sie die in einem mir noch nicht zugekommenen Briefe enthaltenen Instructionen für die Correspondenz wiederholen. Ich verstehe vollkommen, was Sie wollen; allein es ist sehr schwieg, Ihnen zu genügen, denn für „geschlossene Bilder und Schilderungen“ hat man in dem sehr wilden Feldleben selten Muße. Umgeben von lärmenden Soldaten im Bivouac, ohne irgend einen vernünftigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_596.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)