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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

einer Weile die Thür und der Bruder Pförtner hieß uns in den Hof treten. Das heiße Sonnenlicht fiel auf die weißgetünchten Wände des Gebäudes. Die Mittagsschwüle schien sich diesen Winkel so recht als Lagerplatz auserkoren zu haben. Mückenschwärme tanzten in der staubigen Luft. Wir durchschritten den Hofraum, ohne Jemand zu sehen oder zu hören, und die Stille wurde überhaupt nur durch das einförmige Plätschern eines dürftigen Springbrünnleins unterbrochen. Unser Führer stieg eine Treppe hinan, die in einen langen hallenden Gang mündete, dessen Wände mit verwitterten Heiligenbildern geschmückt waren, wenn der Ausdruck Schmuck dafür noch am Platze.

Der Eine aus unserem Kleeblatt, ein junger, talentvoller Maler, der schon mehrere Klöster besucht hatte, um Typen für seine originellen Charakterköpfe zu erjagen, war mit dem Leben und Treiben dieser Colonen wohl vertraut und wußte deshalb rasch die grämliche Miene des alten Pförtners aufzuhellen, so daß dieser, als wir vor der engen, schwülen Zechstube anlangten, aus freiem Antrieb uns einlud, in die Bräuerei selbst zu kommen, dort sei die Luft kühl und der Trunk frisch.

„Sie sitzen ja dort an der Quelle!“ sagte er mit einem Lächeln, das der Maler bezaubernd, der zweite Begleiter, ein Philologe und Schriftgelehrter, der mehr mit den alten Hellenen, als mit den Zeitgenossen verkehrte, cynisch und eines Thersites würdig nannte.

Wir traten in ein geräumiges, matt erleuchtetes Gelaß, das nur durch einen Mauervorsprung von der eigentlichen Bräustube getrennt war. Behaglichste Frische empfing den Eintretenden, und von der Bräustätte herüber zog würziger Malzgeruch. Der Fußboden, mit Steinen gepflastert, war auf das Reinlichste gefegt. Während bei unserer Wanderung durch die Klostergänge nur hie und da ein Bruder mit stummem Gruß an uns vorbeigehuscht, war hier das regste und lärmendste Leben. Robuste Laienbrüder, die über der härenen Kutte den abgenützten Arbeitsschurz trugen, tummelten sich geschäftig zwischen den Bierfässern umher, der eine scheuernd, der andere hämmernd, der dritte das schwere Faß vor sich her rollend. Im Hintergrunde sah man den Maischbottich neben der qualmenden Pfanne, und hier war besonders rege Thätigkeit entfaltet. Einige waren beschäftigt, den schweren Getreidesack seines Inhalts zu entleeren, ein schweres Stück Arbeit, wie die krampfhaft verzogene Miene der Schleppenden bezeugt, dort vertheilten Andere das eingeschüttete Malz mit langen Harken. Selbst körperliches Leiden darf an der Arbeit nicht hindern. Der dicke Laienbruder, der um die geschwollene Wange ein riesiges Tuch geschlungen, tummelt sich am eifrigsten. Mit der Miene eines Feldherrn am Tage der Schlacht steht der Bräumeister, die Arme gravitätisch in die Hüften gestemmt, neben dem Bottich, um die Arbeit der Untergebenen zu leiten und zu überwachen.

Den auffallendsten Contrast zu dieser lebhaften Thätigkeit bildete eine Gruppe im Vordergrunde des Gelasses, die nur Beschaulichkeit und Ruhe athmete. Unter einem verblichenen Gemälde, den heiligen Franciscus darstellend, wie er sich selbst zur Strafe für sündhafte Gelüste geißelt, saßen zwei Patres und ein Weltgeistlicher, die sich bei kühlem Gerstensaft von den Strapazen des Bittganges zu erholen suchten. Doch verkümmerte offenbar die leidige Politik, die sogar in den Kellerraum des Minoritenklosters den Weg gefunden, dem Pfarrer den Genuß des vielbesungenen, welterobernden baierischen „Nationalgetränkes“. Er war völlig vertieft in die Lectüre eines Blattes von jener Sorte baierischer Journalistik, die in dem anständigen Staatsbürger über Nothwendigkeit und Segen der Preßfreiheit Zweifel wecken könnte. Augenscheinlich brachte das Blatt wieder allerlei Enthüllungen über „freimaurerische“ oder „bettelpreußische“ Manöver ruchlosester Art, wodurch die Galle des Lesenden rege gemacht wurde, denn sein faltiges Gesicht wetterleuchtete ingrimmig.

„Potztausend, hochwürdiger Herr Pfarrer,“ rief lachend der eine Franciscaner, der allein unseren Gruß freundlich erwidert hatte, „Du hörst ja heute nicht einmal, daß der Frater Jakob meldet, es sei frisch angestochen!“

Der Angeredete schob mürrisch dem aufwartenden Laienbruder den Krug zu und las eifrig weiter.

Frater Jakob, der, wie wir später hörten, die Geschäfte eines Klosterschneiders und eines Kellners zugleich zu versehen hatte, war eine originelle Persönlichkeit. Ganz de- und wehmüthige Schüchternheit! Er näherte sich den Vorgesetzten nur mit respectvollem Kopfneigen, nur einen wehmüthigen Blick erlaubte er sich, da der dicke Pater auch die letzte Neige aus dem Kruge sog, und ein leises Zittern überflog seine Gestalt, da ihn zufällig ein strenger Blick des Pfarrers streifte. Als unser Maler ihm in den Hintergrund, wo er die Krüge füllte, folgte und einige Worte mit ihm wechselte, übergoß eine Freudenröthe plötzlich sein Gesicht. Der Grund wurde uns klar, als unser Freund uns zuflüsterte: „Gebt ihm unbemerkt ein paar Cigarren!“ Von diesem Augenblicke an war der gute Frater Jakob ganz Aug’ und Ohr für uns, und seine Pantoffeln klapperten energischer denn zuvor auf dem Stein-Estrich.

Die Trefflichkeit des gebotenen „Stoffes“ zu preisen, hieße Eulen nach Athen tragen, denn männiglich ist bekannt, daß seit den Tagen der Goliarden das Fabricat der Klosterbräuereien den Preis behauptet, allen chemischen Erfindungen zum Trotz, die in modern eingerichteten Bräuereien zur Anwendung kommen. Selbst unser Philologe, der als echter Verehrer der freudigen Religion, des ätherklaren Gottesdienstes der Antike über unseren Besuch in der „mittelalterlich dumpfen Spelunke“ unmuthig den Kopf geschüttelt, erhob sich zu enthusiastischer Dithyrambe, und beim zweiten Kruge verglich er schon die Bräuerei mit der Nymphengrotte auf Ithaka:

„Der lieblichen, dunkelerfüllten,
Drinnen sind Mischbecher und Henkelkrüge gereihet!“

Die treffliche Naturalverpflegung in den meisten Klöstern hat wohl viel dazu beigetragen, gegen die so oft gerühmten Verdienste der Mönche um die Landes- und geistige Cultur erhebliche Bedenken zu erwecken und unsere Illustration ist nicht geeignet, uns darüber auf andere Gedanken zu bringen. – Man hat namentlich auf die Feld-, Garten- und Weinpflege hingewiesen und behauptet, daß viele öde Gegenden durch fleißige Mönche erst fruchtbar gemacht worden seien; und man hat ferner den Klöstern vorzugsweise die Erhaltung der griechischen und römischen Classiker zu Gute geschrieben. Gegen Ersteres spricht nur der Umstand, daß die meisten Klöster in längst cultivirten Ländern angelegt wurden; daß die leckeren Mönche aber Feld und Garten, Wald und Teich auf das Sorgsamste ausnutzten zu ihrem eigenen Wohlgefallen, das ist keine Frage. Anders steht ihr Verhältniß zu den Classikern, sowohl hinsichtlich der Vervielfältigung als der Bewahrung derselben. Die klösterlichen Abschreiber haben sich offenbar Zeit zu ihrer Arbeit genommen, denn wenn man nämlich nur von jedem Benedictinerkloster, deren man fünfzehntausend von dreihundertjähriger Dauer annehmen darf, eine einzige Classiker-Abschrift erhalten hätte, so müßte man deren fünfthalb Millionen aufzuweisen haben; man findet aber in allen Klöstern der Welt noch nicht tausend Stück derselben zusammen. – Es war schon zur Zeit hoher Blüthe der Klöster, als auf der Synode zu Chalcedon vierzig Bischöfe saßen, welche die Canones nicht unterschreiben konnten. Im Kloster Muri, einem der berüchtigten Aargauer Klöster, ersah man bei der Aufhebung desselben (1841), daß die dreiundzwanzig Patres und neun Fratres, abgesehen von den Klosterdienstleuten, für Eier, Fische, Geflügel, Schnecken und dergleichen jährlich siebentausendfünfhundertzweiundneunzig Francs, für wissenschaftliche Bedürfnisse achthundertneunundvierzig Francs, für das Füttern des Geflügels vierhundertundsechszig und für Schreibmaterialien hundertundacht Francs berechneten.

Solche Erscheinungen gehören nicht zu den Ausnahmen des klösterlichen Treibens, sie bilden die Regel. Und wenn uns als Curiosum erzählt wird, daß in Bern drei Mönche in einem Jahre 4800 Maß Wein vertilgt und ihre Keller eingetheilt hätten in den Gottvater-, Gottsohn-, Gottheiliggeistkeller und außerdem noch in eine Anzahl Heiligenkeller, so nimmt uns auch die Kunde nicht Wunder, daß die Würde eines Großkellers oder Oberkellermeisters die wichtigste und einflußreichste im Kloster war. Zwar in Bezug auf die aargauische, aber leider für viele Andere geltend, sagte man damals: „Wenn allgemein über die Unthätigkeit und den Mangel einer nützlichen Beschäftigung dieser Klöster geklagt wird, so muß doch Jedermann die Unmöglichkeit einsehen; daß wenige Menschen in dreihundertfünfundsechszig Tagen solche Massen Speise und Trank consumiren und daneben noch Zeit zu nützlicher Beschäftigung finden sollen.“ Die nützlichste geschieht offenbar durch die Laienbrüder und Klosterknechte, welche die Gärtnerei und Obstzucht, den Weinbau und die Bierbrauerei besorgen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_414.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)