Seite:Die Gartenlaube (1870) 387.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Arm des Bergwirths, der von den Liebenden unbemerkt eingetreten war und nun mit funkelnden Augen und wuthentstelltem Angesicht hinter ihnen stand. „So?“ rief er mit zornbebender Stimme, „da kommen wir wieder zusammen? Ist das ein Ehrenmann, der sich heimlich, hinterm Rücken des Vaters bei Nacht und Nebel in’s Haus schleicht und die Tochter verführt? Einen solchen heißt man einen Hallunken hier zu Land und einem solchen will ich zeigen, wie ein dummer, trotziger Bauer sein Hausrecht zu brauchen weiß!“

Mit riesiger Gewalt hielt er Falkner am Halse gefaßt und zerrte ihn gegen die Thür hin – dieser aber wehrte und stemmte sich mit der ganzen Kraft seiner jugendlichen Gestalt entgegen und vermochte nach kurzem Kampfe sich loszureißen, aber der rechte Aermel seines Rocks und der des Hemdes darunter zerriß, daß der bloße Arm sichtbar wurde. Juli war einen Augenblick rathlos dagestanden, bleich bis im die Lippen hinein gleich einer Sterbenden, nach Athem ringend und die Tischecke umklammernd, um nicht in die brechenden Kniee zu sinken; im nächsten schon stand sie zwischen dem Vater, der neuerdings auf den Verhaßten losstürzen wollte, und dem Geliebten, der mit hocherhobenem bloßen Arme bereit stand, auch ohne Waffen den Angreifer niederzuschmettern.

Am Arme war eine Reihe kleiner blaurother Punkte zu erkennen.

„Was wollt Ihr Vater?“ rief sie diesem zu. „Es ist nichts geschehen, wegen was Ihr so wild sein solltet ... der Herr hat sich nicht heimlich eingeschlichen, er ist offen und ehrlich gekommen, weil er von mir hat Abschied nehmen wollen! Meint Ihr, ich fürchte mich deswegen vor Euch? Nein – ich hab’ ein gutes Gewissen, Vater, und scheu’ mich nit … Geht weg von der Thür, daß der Herr Falkner friedlich hinaus kann … Du aber, Franz – es ist das erste Mal und wohl auch das letzte Mal, daß ich Sie so nenn’ … Du, Franz, nimm Dich zusammen und zeig’s, was Du für ein Mann bist, heb’ Deinen Arm nit auf – der, gegen den Du’s thust, ist ja mein Vater … Ich hab’ Dir,“ fuhr sie inniger fort und ihre Stimme begann zu zittern unter der Wucht ihres Schmerzes, „vorhin keine deutliche Antwort gegeben auf Deine Frag’ – aber jetzt vor meinem Vater sag’ ich Dir – ja, ich hab’ Dich gern! Und wenn ich auch gewiß weiß, daß mir das nie zu Theil wird, so sag’ ich Dir doch, es gebet’ kein größeres Glück für mich, als wenn ich Dein Weib werden dürft’ …“ Bei diesen Worten hatte sie ihm den Arm niedergezogen, beugte sich darüber und drückte ihren Mund auf die Narben in demselben … „Das Blut, das aus diesen Wunden geflossen ist für mich – das macht, daß ich Dein gehören muß in alle Ewigkeit …“

Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn furchtlos an ihrem Vater vorüber, der sie in stummem Grimm gewähren ließ.

Das war ein böses Vorspiel für die Tage, die nun kamen, und was sie brachten, blieb nicht hinter ihm zurück. Vater und Tochter gingen anscheinend ruhig nebeneinander her und das Vorgefallene wurde mit keiner Silbe erwähnt – der verbissene Groll des Bergwirths aber steigerte sich mit jeder Nachricht, welche auf den Bahnbau Bezug hatte. Dieser rückte inzwischen mit außerordentlicher Raschheit vorwärts; ein ungewöhnlich milder Herbst begünstigte die Fortsetzung der Arbeiten bis tief in den November hinein. Manchmal brach wohl der Zorn des Bergwirths in alter Wildheit aus, daß er tobend und schreiend im Hause hin und wieder stürmte; als aber der Spruch des Gerichts eintraf, der ihn endgültig verurtheilte, gegen die zuerkannte Entschädigung die Niederpoint abzutreten, ging in seinem Benehmen eine auffallende Veränderung vor. Er zürnte nicht mehr laut und heftig, wie er früher gethan, sondern begann finster und schweigend in sich hineinzubrüten; Stunden lang sah er regungslos vor sich hin, nur manchmal halblaute Worte murmelnd, von denen nichts zu verstehen war als „meine Bäume“ und „mein Recht und Gewalt.“ … Er beachtete es nicht, daß ihm der Kaufpreis für die entwehrte Niederpoint in’s Haus geschickt wurde; er ertrug es anscheinend gleichgültig, als es hieß, daß die Eichen dort geschlagen würden und das Abgraben begonnen habe – er schien gar nicht zu vernehmen, als sich die Kunde verbreitete, es sei hierbei ein reiches Lager von sehr schönem graugrünem Sandstein zu Tage gekommen, das der Ausnützung als Steinbruch in hohem Grade würdig sei, und daß der Feldmesser Falkner den Bruch von der Bahn käuflich erworben habe.

Von diesem selbst kam keine Kunde mehr in das Bergwirthshaus.

In anscheinend ruhigem Gleichmuth gingen auch Juli die schweren Tage dahin; sie pflegte den Vater und sorgte für ihn mit liebevoller, wenn auch unbeachteter Aufmerksamkeit; sie verwaltete still und geräuschlos die Geschäfte des Häuses – sie war sich völlig gleich geblieben, nur blässer war sie geworden, wenn aber Jemand sie darüber beredete, so lächelte sie mit ihrer gewohnten Freundlichkeit und meinte, das thue der Winter, der pflege immer sie zu bleichen.

Aber der Winter verging, Knospen und Blumen kamen wieder und nur auf ihren Wangen versäumten die Rosen wieder aufzublühen. Um die Zeit, als die Schwalben zurückkehrten, kam auch der Tag, an welchem die Eisenbahn in ihrer größten vollendeten Strecke eröffnet wurde. Es war ein Fest für die ganze Gegend und schon am Vorabend tönte aus allen Thälern von nah und fern das feierliche Läuten der Kirchenglocken und das Krachen der Böller, das, vom Wiederhall getragen, donnerähnlich an den Bergen dahin rollte. Desto trüber war der Abend trotz seiner Schönheit für das Bergwirthshaus, dem die Stunde der Verödung wirklich geschlagen hatten. Die Linden grünten, die Blütendolden der Wildkastanien dufteten, die Aepfelbäume standen da, wie mit Rosen überschneit, und die Schwalben schwätzten vergnügt in dem alten Neste am Hause, das für sie keine Veränderung erlitten hatte – aber es war Niemand weit und breit, der wie sonst die Herrlichkeit des Platzes rühmend genoß; Stellwagen und Postkutsche, welche ihre letzte Fahrt machten, waren leer – wer reisen wollte, verschob es auf den nächsten Tag. Als der Postbartel zum letzten Mal mit seinem ledigen Gespann herantrabte und das Posthorn zum gewohnten Gruße an den Mund setzte, da versagte ihm, was ihm noch nie geschehen, der Ton und er ließ es stumm wieder zurücksinken. Juli reichte ihm, auf den Stufen stehend, den gewohnten Trunk, aber es schmeckte dem Burschen nicht wie sonst; ohne abzusteigen, gab er das noch halb gefüllte Krüglein zurück, schüttelte ihr die Hand und ritt davon während ihm die hellen Thränen in den grauen Schnurrbart herabkugelten …

Auch die ihren flossen, als von drüben noch einmal der Ruf des Posthorns ertönte. Es war ihr, als habe dasselbe nie so weich und schmelzend geklungen, so ganz wie das letzte Grüßen eines scheidenden schönen Glücks – das alte Liebeslied mochte dem Postillon nicht getaugt haben, er blies ein anderes, dessen Worte lauteten:

B’hüt’ Dich Gott. B’hüt’ Dich Gott,
Liebe Annamarin,
B’hüt’ Dich Gott, jetzt geht’s dahin!
In die weite Fremde muß ich fort,
Komm’ nimmer an den lieben Ort –
B’hüt Dich Gott! B’hüt’ Dich Gott,
Liebe Annamarin –
Ich b’halt’ Dich doch im Sinn!

Am andern Tag war die Berghöhe vollends wie ausgestorben – es gab nichts zu thun in der Wirthschaft, auch den Ehhalten war nicht verwehrt worden, die Festfreude zu genießen. Der Wirth hatte sich in sein Zimmer eingesperrt, das rückwärts gegen den Wald hinausging, er hatte auch Fenster und Vorhänge geschlossen, den verhaßten Jubel nicht hören zu müssen. Juli wich dem Unvermeidlichen nicht aus, aber auch durch ihr Herz ging es wie ein Schauder, als aus dem Thale heraus der erste schrille Pfiff der Locomotive die begonnene Herrschaft des Dampfes verkündete.

So schön und warm der Tag gewesen war, senkte sich der Abend doch so kühl herab, daß die Scheiben des Fensters, an welchem sie stand und in verschwimmenden Gedanken in die Dämmerung und die dunklen Berge hinausstarrte, sich mit leichtem Dufte überzogen – unwillkürlich zog sie mit dem Finger Linien in den Duft; ohne zu wissen, was sie that, gestalteten sich die Linien zu Buchstaben … sie schrak zusammen, als plötzlich hinter ihr die Stimme des Vaters ertönte, den es in seinem Gefängnisse nicht mehr gelitten hatte und der unbemerkt von ihr eingetreten war.

Sie sah in ein Angesicht, in welchem der ganze verhaltene Grimm der vergangenen Tage loderte.

„So?“ rief er mit bitterem höhnischen Lachen. „Du stehst hier am Fenster und malst Buchstaben? Droben in meiner Einsamkeit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_387.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)