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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

seine ganz specielle Bewandtniß; denn wenn die Buben fertig und die gewöhnlichen Preise ausgespielt sind, dann kommen erst die Dirndln zum Schub. Das heutige Scheiben ist ein „Menscherkegelscheiben“.

Wie die Beiden in das stattliche Wirtshaus eintreten, auf dessen weiße Mauern die Sonne blendet, schallt ihnen lauter Zuruf entgegen „Jesses der Seppel, Jesses der Hansei,“ heißt es von allen Seiten; der Eine hält ihm den Maßkrug entgegen, der Andere geht auf ihn zu und packt ihn zärtlichst an der Schulter, daß man meint, er wollte ihm vor Freundschaft den Arm „auskegeln“.

„Wo’s an G’spaß giebt oder a Lumperei, da sind doch die Zwei so gewiß zu finden, wie der Teufel in der Höll’,“ spricht ein alter Bauer beifällig nickend. Natürlich würde man in unseren Kreisen dies Compliment sehr unfein finden, die beiden Burschen aber fühlen sich dadurch nicht wenig geschmeichelt und verlieren sich plaudernd in die große Menge.

Das Kegelspiel ist ein uralter Brauch; es gehört zu den solidesten Begriffen des ländlichen Sport. Weil er nicht bergauf führt wie die Jagd, so ist er auch den Alten zugänglich; man verliert nicht gerade viel und hat doch die angenehme Aufregung, daß man ein wenig gewinnen kann. Darum findet sich denn auch in jedem kleinen Neste dieser Zeitvertreib; es gehört beinahe zur architektonischen Wahrheit eines Bergdorfs, daß hinter dem Wirthshause die Kegelbahn steht. Hohe Nußbäume überschatten sie; muntere Gestalten bilden am Sonntag die Staffage.

In Tirol wird nach den Kegeln geworfen, und wenn auch hier die Strecke kürzer gemessen ist, so ist doch die Kraftanstrengung eine weit größere. Auch der äußere Anblick der ganzen Scene stellt sich malerischer dar; die Gestalten entwickeln sich hübscher, das Gesammtbild ist weit offener und freier. Wenn man an Sonntagen durch’s Zillerthal geht, wird man nicht selten solchen Gruppen begegnen; im bairischen Gebirge muß der Fall als Ausnahme gelten.

Die Art, welche hier am meisten betrieben wird, ist das sogenannte „Parteln“, wobei die Spielenden, wie überall im lieben deutschen Reich, sich in zwei feindliche Parteien theilen, die durch das Loos gebildet werden.

Die lebensvolle Skizze, welche der Leser vor sich hat, stammt von Ludwig Bechstein, dem Sohne des bekannten Märchenerzählers. Schon manche heitere Scene aus dem Hochland verdanken wir seinem Stift, diese hier trägt ganz besonders den frischen Reiz, der aus der unmittelbaren Anschauung hervorgeht. Wenn wir genauer zusehen, dann finden wir gleich am Eckpfeiler den einen jener flotten Bursche, denen wir unterwegs begegnet sind. Nachlässig lehnt sein Fuß auf der geschützten Diele, mit Bedacht folgen seine Augen der Bewegung des schmucken Mädchens, die eben an die Reihe kommt. Er weiß wohl warum, denn das Mädel ist die Seinige und darum wär es gut, wenn sie den ersten Preis gewönne. „Schaug nur nit so lang,“ hat er ihr eben zugerufen, „Du triffst den König von selber, denn Du bist ja an König werth.“ Jetzt blickt er stumm, wie sie seinen Rath erfüllen wird, sie aber ist minder zuversichtlich als er und nestelt an dem Schürzenband herum. Ihr wär’ es lieber, „wenn er nit so nah’ dabeistünd’,“ denn das Zuschauen verreißt einem die ganze Kugel. Doch das ficht den Hansei wenig an; mit verschränkten Armen und gebieterischer Miene bleibt er stehen, als ob er in den Boden eingewachsen wäre.

Endlich schlägt die Kugel auf; „juchhei,“ schallt es von oben herunter, „juchhei – achte sind gefallen!“ Auch der König ist darunter und mit stolzer Genugthuung blickt das Midei auf ihren Bursche. „Gut Ding braucht Weil,“ sagt sie lachend; der kleine Schriftgelehrte aber, der mit der Schiefertafel dasitzt, verzeichnet den Triumph mit Wohlbehagen.

Unter der Thüre steht der Wirth und sorgt, daß Niemand verdürste. Er ist mit Maßkrügen förmlich gegürtet und hat Mühe sich zwischen den Pfosten durchzudrängen. Wenn das so fortgeht, ist er nächstens gefangen in seinem eigenen Hause; denn zum Fenster kann er schwerlich heraussteigen. Vergeblich haben seine Freunde und Zechgenossen ihn schon verhöhnt, daß er selber sein bester Gast sei; allein dann erwidert er lachend:

Und mit sellene (solchen) Sprüch’
      Geht’s mir weiter damit;
Ihr redt’s bloß vom Saufen,
      Vom Durscht redt’ Ihr nit!

Fassen wir nochmals die gewandte Skizze als ein einheitliches Culturbild zusammen, so müssen wir sagen, daß ihr das volle Gepräge der Echtheit und Naturwahrheit gebührt. Aber auch im Einzelnen ist jede Gruppe anziehend und jede einzelne Gestalt lebendig, individualisiirt; ein Prüfstein hierfür liegt darin, daß Derjenige, welcher viel im Gebirge verkehrt, unwillkürlich mancherlei Aehnlichkeit entdeckt, daß er in diesem und jenem Kopf Portraits zu erkennen glaubt. Ganz besonders echt ist das pfiffig-ruhige Gesicht und die Haltung des Alten, der mit seinem Töchterlein unter der Kegelbahn steht; nicht minder treten die eingebornen Eigenthümlichkeiten an jener Gestalt hervor, die eben den Maßkrug zum Gruße bietet. Ein Zug von leichtbetrunkener Liebenswürdigkeit thut der Wahrheit keinen Eintrag.

Daß sich bei einem so volksthümlichen Spiele, wie die Kegel sind, zuletzt eine förmliche Terminologie, d. h. eine Menge von speciellen Ausdrücken bildet, läßt sich erwarten. Man spricht von einem Sandhasen, wenn die Kugel vom Auflegebrett heruntergleitet und daneben durch den Sand schießt, von einem Jammerochsen, wenn die Kugel unterwegs sich anstößt und „verhungert“. Auch Fuchs und Stier kommen vor, andere Ausdrücke sind so unparlamentarisch, daß wir sie hier unterdrücken müssen. Bleibt der König allein von allen Kegeln stehen, so nennt man dies einen Kranz und vieles Lob wird dem zu Theil, der ihn erobert. Allerdings auch mancher Witz, denn just raunt wohl Einer seinem Mädchen in’s Ohr: „Scheiben thust schon an Kranz, aber haben thust keinen.“

Wenn das Spiel zu Ende ist, werden die Preise feierlich vertheilt; dann kommen die Musikanten und herzzerreißende Trompetenstöße geben dem Sieg die Ehre. Daß es nicht abgeht ohne einen kleinen Tanz, versteht sich von selber, denn an Lust dazu fehlt es auf keiner Seite. Die Musikanten spielen neue Weisen, der Wirth bringt ein neues Faß und die Dirndln freuen sich auf neue Lustbarkeit. Erst in tiefer Nacht, wenn die Sterne schon erbleichen, geht es heim auf der alten Straße, wo wir den beiden Bursche am Mittag begegnet sind.

Sie kürzen den langen Weg mit muthwilligen Sprüchen und wer ihnen etwa begegnen mag, der hört, wie ihre Weise durch die laue Nacht verhallt:

Stad, stad, stad (still),
Daß’s uns nit draht (umdreht),
Hat’s uns erst gestern draht,
Heut’ wär’s ja doch schon schad,
Wenn’s uns heut’ wieder draht.
Stad, stad, stad,
Daß’s uns nit draht.




Wie man Nachtigallen in die Gärten lockt.

Ein goldiger, blühender, duftender Frühlingstag ohne Vogelgesang – ein grüner, schattiger, sonniger Wald und kein Drossel- und Amsel- und Finkenschlag – Apfelblüthe und Fliederduft und Bienensummen und keine Grasmücke, keine Nachtigall, keine Vogelsymphonie – kannst Du es Dir nur denken, lieber Leser?

Wäre das nicht ein Tag ohne Sonne? eine Nacht ohne Mond- und Sternenlicht? ein Himmel ohne Wolken? eine Symphonie ohne Streichquartett? ein Jungfrauenherz ohne Liebe? Wäre das wirklich ein Frühling?

Nenne mir irgend zwei untrennbare Dinge und behaupte, sie gehörten inniger zusammen, als Maienblühen und Vogelgesang! –

Doch, lieber Leser – Du berufst Dich auf die Ueberschrift und willst endlich erfahren, wie man Deine Lieblinge anlockt und hegt und pflegt.

Ich komme gleich zur Sache. Vorausschicken möcht’ ich nur, daß meine betreffenden Erfahrungen – und hoffentlich darf ich in unserer Gartenlaube noch andere mittheilen – die Resultate eifriger Studien, Beobachtungen und Versuche sind, welche ich seit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_278.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2020)