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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und er wird am andern Morgen jene Worte zu würdigen wissen:

„Ein wildes Kopfweh, erst der letzten Nacht entstammt,
Durchsäuselte die Luft mit mattem Flügelschlag,
Und ein Gefühl von Armuth lag auf Berg und Thal.“

Nur behüte ihn der Herr vor dem Schicksal des biedern Etruskers Pumpus von Perusia:

Er fischte lang’ in seiner Chlamys Faltenwurf
Und suchte wieder, suchte auch zum drittenmal
Und fand nicht, was er suchte ….
 O, wer kennt den Schmerz,
Der auf sich bäumt im biederen Etruskerherz,
Wenn Alles, Alles, Alles auf die Neige ging
Und nur der Graus des Leeren in der Tasche wohnt,
Wo der Sesterz sonst fröhlich beim Denar erklang!
Wohin verschwindet – ha! was spricht mein Mund es aus! –
Das dreimal gottverfluchte Wort, wovon allein
Des Tuskers Schicksal abhängt, ha – das baare Geld?

Aber der moderne Culturmensch ist besser daran als jener alte Etrusker; er trägt über der Chlamys einen Ueberzieher und in der Westentasche eine Uhr. Da heißt es denn:

Elkan Levy, dunkler böser
Trödler, nimm sie! sie sei dein!

Mit dieser Fülle eines sprudelnden, beinahe übermüthigen Humors hat sich Scheffel, der seit einiger Zeit wieder in Karlsruhe lebt und der manchmal durch körperliches Leiden heimgesucht und auch durch schwere Verluste im Kreise seiner Familie schmerzlich getroffen wurde, mehr als einmal die Wolke des Trübsinns verscheucht. Und wer vermöchte diese Lieder zu lesen, ohne erheitert zu werden? Hier tritt uns ein Humor und eine Laune entgegen, nicht das Lächeln des Weisen, der mit gereifter Erfahrung und heiterem Geiste dem tollen, lustigen Gebahren der Jugend sinnend zuschaut, auch nicht das mitunter höhnische Lachen eines Menschen, der mit wundem Herzen und bitterem Gefühle eigene und fremde Thorheit verspottet, nein! das frische, muntere und darum ansteckende Lachen des Studenten, der an und in der Welt seine unbefangene Freude noch hat, eine Freude aber, daß er auch nach seinem jugendlich frohen Gaudeamus, ohne zu erröthen und ohne schmerzliche Rückblicke nach Jahren noch sagen kann: Olim meminisse juvabit!

G. Arnold. 




Eine Thierversteigerung in Antwerpen.
Von Brehm.


Alljährlich, gegen den Herbst hin, läuft bei den Directoren aller Thiergärten Europas, bei Thierhändlern und Liebhabern, welche sich einmal in ihrem Leben als kauflustig und zahlungsfähig erwiesen haben, ein bereits seit geraumer Zeit erwartetes Schriftstück unter Kreuzband ein. Es wird von jedem Empfänger vorerst zur Hand genommen, sorgfältig geprüft und, je nach Sachlage, mit Befriedigung oder Gleichmuth, auch wohl Enttäuschung aus der Hand gelegt. Und doch enthält es nichts weiter, als die Angabe eines bestimmten Dienstags und des darauf folgenden Mittwochs, sowie verschiedener Thiernamen in französischer Sprache oder wissenschaftlicher Benennung, wobei es auf eine gänzliche Nichtachtung neuzeitlicher Ergebnisse der Wissenschaft selber eben nicht ankommt. Gedachtes Schreiben besagt, daß sich Herr Vekemans, Director der königlichen zoologischen Gesellschaft und desgleichen Gartens zu Antwerpen, die Ehre giebt, Alle, die es angeht, zu dem großen Thierverkauf einzuladen, welcher öffentlich stattfinden soll in den Tagen so und so viel des Monats September, gegen baare Bezahlung.

London und Hamburg, Bordeaux und Marseille sind, auch in gegebener Reihenfolge, die Stapelplätze, Antwerpen ist die Börse des europäischen Thierhandels. Jamrach in London und sein würdiger, von den Deutschen mit Recht bevorzugter Nebenbuhler Hagenbeck in Hamburg, Reiche in Alfeld, Poisson in Bordeaux sind die Großhändler in diesem Geschäftszweige; Vekemans ist Groß- und Kleinhändler, Liebhaber und Züchter, Makler, Beherrscher des Marktes, Bestimmer des Preises einzelner Thiere für das laufende Jahr etc. in einer Person. Vekemans gilt als der tüchtigste Leiter aller Thiergärten Belgiens, in gewisser Hinsicht als einer der erfahrensten Thierkundigen der Erde. Er ist gastfrei wie ein Araber und gewinnsüchtig wie ein armer Handelsmann, macht das ehrlichste Gesicht von der Welt und versichert Jeden, welcher es hören will, daß Einer, der Thiere von ihm zu kaufen beabsichtigt, seine Augen vor allen Dingen auch zum Sehen verwenden möge; er ist, um es mit einem Worte zu sagen, in seinem Thiergarten der rücksichtsloseste, selbstsüchtigste Geschäftsmann, in seinem Hause der rücksichtsvollste, aufopferndste Wirth unter der Sonne. Das weiß Jeder, darum schilt auch Jeder auf ihn, und muß ihm Jeder trotzdem Achtung zollen. Was aber vor Allem zu bedenken: Keiner, welcher seine Thiersammlung zu einer möglichen Vollzähligkeit bringen will, kann ihn entbehren! Vekemans besitzt Verbindungen und Hülfsmittel, von denen Andere gar keine Ahnung haben, macht kaltblütig Geschäfte, vor denen Andere zurückschrecken, erzielt Erfolge und Gewinne, erträgt Mißerfolge und erleidet Verluste, ohne einen Muskel seines ehernen Gesichtes zu verziehen. Und doch ist dieser Mann, dessen Herz kein weibliches Wesen zu rühren vermochte, welcher jeder Leidenschaft entsagt zu haben scheint, ein leidenschaftlicher Liebhaber, ein Spielball aller Furien der Eifersucht, wenn er ein geliebtes Wesen, nach welchem seine Seele strebt, in eines Anderen Besitz weiß, wenn es gilt, solch geliebtes Wesen – eine Antilope, einen Fasanen! – jenem Anderen abspenstig und sich zu eigen zu machen. Die Thiergärtnerei dankt diesem Manne unendlich viel, mittelbar also auch die Wissenschaft; er muß als eine Größe in seiner Art angesehen werden. Während der in Rede stehenden Tage bildet er den Mittelpunkt aller Thierzüchter Europas, den Fixstern, um welchen die leuchtenden und im geborgten Lichte dämmernden Gestirne der Thierliebhaberei in sicheren oder noch schwankenden Bahnen kreisen.

Am Morgen des betreffenden Dienstags pflegt er bei Ankunft des Brüsseler Schnellzuges auf dem Bahnhofe zu sein, um die Gäste zu bewillkommnen. Wer ihn kennt, sieht, wie das Auge sich lichtet, wenn ein Bekannter nach dem andern dem Zuge entsteigt, oder bemerkt, wie der Blick finsterer wird, wenn er zu einem Ankommenden bemerkt, daß keine Liebhaber eingetroffen. „Liebhaber“, sind sie heute Alle: Milne-Edwards, der Vorsteher des Pariser Pflanzengartens, wie Jamrach, der Thiergroßhändler; Liebhaber gelten mehr als die Leute von Fach, weil sie weniger rechnen und flotter bieten als diese. Uebrigens dürfen die Worte „keine Liebhaber“ auch durchaus nicht wörtlich genommen werden. Im Thiergarten Antwerpens geben sich während der Versteigerung die Directoren der verschiedenen Gärten Europas, die namhafteren Händler und mindestens die belgischen, holländischen und französischen Liebhaber ein Stelldichein – und darin liegt die Bedeutung dieser Tage.

Sie sind sämmtlich hier, fast Alle wenigstens. Jener kleine freundliche Herr, welchen Alle mit sichtlicher Hochachtung begrüßen, Alle umringen, Alle mit Wünschen und Bitten angehen, ist der Nestor der Thiergärtner, Westermann aus Amsterdam, ein Mann, welcher in Zweifel läßt, ob er kenntnißreicher oder liebenswürdiger ist, welcher als Freund gilt Allen, die ihn kennen, und wie ein Vater verehrt wird von den Jüngeren, welcher schon Jedem mindestens einmal einen großen Dienst erzeigte, welcher, uneigennützig wie kein Anderer, nur das Ganze im Auge, den Fortschritt der Wissenschaft im Sinne behält, welchem Amsterdam den noch immer unbestrittenen Ruhm dankt, durch ihn den ersten Thiergarten des Festlandes erhalten zu haben und zu besitzen. Jener ihm in vieler Hinsicht ähnliche Mann ist Bartlett, Superintendent der „zoological gardens“ zu London, ein tüchtiger Thierkundiger und achtungswerther Berufsgenosse, der kleine dicke Herr mit den etwas matten Augen und dem unvermeidlichen Bandröschen im Knopfloche Milne-Edwards, eine Größe der Wissenschaft, nicht aber der Thiergärtnerei, der jüngere Mann, mit welchem er eben spricht, A. Geoffroy St. Hilaire, Vorsteher des Acclimatisationsgarten im Bois de Boulogne bei Paris – in meinen Augen der Westermann der Franzosen, ein in jeder Hinsicht trefflicher Mensch, Jener dort –

„Ah, theuerster Chinese, willkommen in Antwerpen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_167.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)