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das Ei doch gleich besser zwischen den Zähnen und trüge es fort; wie es in der That auch nicht anders ist. Hermelin wie Marder packen nach unseren eigenen Wahrnehmungen das Ei zwischen die Zähne, es in dem dehnbaren Rachen in ihre Schlupfwinkel, oft sogar an wenig verborgene Stellen tragend. Hier bewähren sich denn auch unsere Thiere ebenso als Künstler im Entleeren des Eies, wie sie es verstehen, das Blut aus den Adern ihrer Opfer zu saugen. Unter Eierschalen finden sich nicht selten leere Eier mit nur wenig sichtbaren Oeffnungen, aus denen der Inhalt geschickt ausgesogen wurde.

Noch aber haben sich uns Hermelin und Wiesel nur in ihrem Sommerkleide präsentirt. Es bleibt noch ein Wort übrig über ihr Winterkleid. Im Nachsommer und Herbst erscheinen beide nämlich nach und nach im weißen Gewand, das Wiesel ohne Abzeichen, das Hermelin mit dem schwarzen etwa anderthalb- bis zweizölligen Fähnchen an der Ruthenspitze. Diesen in unserem Klima oft im Winter erst beendeten Haarwechsel nennt der Waidmann, wie bei dem Wilde, „das Verfärben“. Es bildet den Thierchen einen ungleich dichteren und längeren „Balg“ (Pelz) als die Härung im Frühjahre. Zu dem vielfach Beachtenswerthen der Wiesel gesellt sich hiermit auch noch die interessante Veränderlichkeit ihrer Färbung. Bei unseren salamanderartigen Räuberchen bequemt sich also auch der Pelz lebendig der Jahreszeit und Umgebung an, der dunkelfarbene der sommerlichen Natur, der weiße dem Schneegewande des Winters.

Ueber solch’ ausgeprägten Thiercharakteren sollte der Mensch seine schützende Hand halten. Hier wäre dem kurzsichtigen Landmanne Schonung zuzurufen, dessen mit Knittel bewehrte Hand sich hebt beim Anblick der netten Thierchen, die ihm hin und wieder ein Hühner- oder Taubenei von einigen Groschen Werthes davontragen, aber auch sein Gehöfte von den schädlichen Nagern befreien, die ihm den Vorrath der Böden und Scheunen viele Thaler hoch zernagen; dort verkennt nicht minder der Jäger einseitig den Nutzen der beiden Geschöpfe, wenn er sie wegen ihres Raubes an jagdbarem Haar- und Federwilde verfolgt. Lassen wir, weitherziger und vorurtheilslos, den Rührigen die Räume drinnen in Haus und Hof und draußen im Freien, die Vielseitigkeit ihres Thuns und Treibens daselbst zu bethätigen. Ist doch für uns das erbeutete Thierchen, namentlich das Hermelin, nichts anderes als ein todter Gegenstand, dessen Pelz nur im hohen Norden den Werth behält, der ihm einst den Ruhm erwarb, königliche Schultern zu zieren.

Adolf Müller. 


Aus meinem Leben.
Von Capellmeister Dorn in Berlin.
Nr. 2. Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy und seine Zeitgenossen.
(Schluß.)

Aber darf ich denn das Reimers’sche Palais verlassen, ohne noch einen Blick auf den schönen großen Garten dahinter zu werfen? Unter seinen schattigen Bäumen hat Möser eine Orchestertribüne aufschlagen lassen und dirigirt zu wohlthätigem Zweck im Sommer 1827 Beethoven’s Vittoria-Schlacht und zum erstenmal Weber’s Oberon-Ouvertüre. An einem Geigenpulte aber stehen zusammen zwei junge talentvolle Musiker, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Carl Friedrich Weitzmann, der jetzt noch rüstig wirkende Theoretiker, welcher in seinen Schriften den Versuch gemacht hat, die bis dahin unerhörten Tonverbindungen ungebundener Componisten nach den Regeln einer neuen musikalischen Theorie zu rechtfertigen. – Der Oberon war bereits im Winter 1826 bis 27 bei dem Eigenthümer der Partitur, bei dem durch C. M. von Weber reich gewordenen Schlesinger, von den ersten Mitgliedern der königlichen Bühne vor eingeladenem Publicum am Clavier aufgeführt worden. Die dabei vorgefallenen Umstände habe ich schon anderweitig (im Feuilleton einer Berliner Zeitung) erzählt, und beschränke mich daher nur auf die kurze Wiederholung. Felix, welcher das Ganze leitete, gerieth während der Generalprobe mit der Prima Donna in solchen Streit, daß er ohne weiteres das Local verließ, worauf mir die Ehre zu Theil wurde als Ersatzmann einzutreten. Obgleich der Clavierauszug schon im Druck erschienen war, hatte mein Vorgänger doch aus der Partitur accompagnirt, und mir blieb nun nichts übrig als dasselbe zu thun. Bei dieser Gelegenheit passirte mir das Unglück, in der großen Scene der Rezia die Trompete für ein Horn anzusehen, so daß ich die Sonne um eine Etage zu tief aufgehen ließ. Felix, welcher bei der Aufführung anwesend war und sogar die Liebenswürdigkeit hatte den Sturm mit mir vierhändig zu executiren, machte mich hinterher auf den begangenen Fehler aufmerksam.

Es war die dritte Belehrung, die ich von Mendelssohn empfing.

Und mit diesem Schatze von Kenntnissen bereichert, verließ ich Berlin im März 1828, nicht ohne vorher an einem Sonntags-Vormittag die erste Aufführung der Ouvertüre zum Sommernachtstraum mit vollem Orchester unter Leitung des Componisten in seinem elterlichen Hause gehört zu haben. Wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, so saß damals das „Päulchen“, der jetzige geheime Commercienrath Paul Mendelssohn-Bartholdy, an einem der Violoncellpulte und spielte eifrig mit in diesem seines Bruders Meisterwerke, von welchem ich behaupten möchte, daß es den Keim und die Blüthe aller Mendelssohn’schen Compositionen in sich vereint. Ihm zur Seite stelle ich nur noch jenen grandiosen Chor aus Paulus: „Mache dich auf, werde Licht“! Aber wie sollte er auch darüber hinaus! –

Am 19. Mai 1830 besuchte mich Mendelssohn in Leipzig, wo ich als Musikdirector an dem damaligen königlich sächsischen Hoftheater fungirte. Mendelssohn war eben von London zurückgekehrt, hatte einen kurzen Besuch in Berlin abgestattet und trat nun, einundzwanzig Jahre alt, über Weimar, München und Wien seine große Reise nach Italien an, der wir jene interessante Briefsammlung verdanken, welche uns so tiefe Blicke in das Innere einer echten Künstlernatur gestattet. Als er mich in meiner Wohnung überraschte, fand er daselbst Heinrich Marschner, mit dem ich eben am Clavier die nöthigen Kürzungen für sein jüngstes Werk, „Templer und Jüdin“, besprach. Diese Oper war Ende December 1829 auf unserer Bühne erschienen und hatte gleich nach der ersten Vorstellung eine bedeutende Kürzung im ersten Finale erhalten; dabei war’s vorläufig geblieben. Jetzt nach Beendigung der Saison und während des Gastspiels der italienischen Operngesellschaft aus Dresden sollten noch einige gründliche Striche vorgenommen werden.

Marschner hatte schon 1826, als seine Frau (Mariane Wohlbrück) in Berlin gastirte, Mendelssohn’s Bekanntschaft gemacht, ohne ihm sich selbst als Componist vorstellen zu können. Dies wurde nun in Reichel’s Garten gehörig nachgeholt, und das dort versammelte Trifolium sang den ganzen „Templer“ mit und ohne Strich durch. Hinterher aber gab uns der Berliner Gast sein mitgebrachtes neuestes Werk die „Reformations-Sinfonie“, zum Besten, und ich erbat sie mir zur ersten Aufführung für das im Theater bevorstehende Pfingstfest-Concert. Gleichzeitig nahmen beide Kunstgenossen meine Einladung auf den nächsten Abend an; und zu Ehren Mendelssohn’s erweiterte ich rasch den kleinen Kreis durch Morlacchi, der gerade mit der italienischen Oper in Leipzig war, und durch die Ehepaare Weiß, Pohlenz und Hofmeister. Da Marschner’s Frau natürlich mit dabei sein sollte, so hätte die Gesellschaft inclusive Wirth und Wirthin aus zwölf Personen bestanden, wenn nicht Capellmeister Morlacchi auf den Einfall gekommen wäre, seinen Liebling und zugleich den Meister im Accompagnement der italienischen Recitative, den aus Dresden herübergenommenen Violoncellisten Dotzauer, sans gêne mitzubringen.

Weil in dieser Gemeinde der Gläubigen aber kein Aberglaube herrschte, so verlief der Abend trotz der Dreizehn sehr animirt. Weiß, Director der Feuerversicherung und Schwiegersohn des alten Thomaners Cantor Schicht, rückte als vortrefflicher Kniegeiger sogleich an seinen Collegen Dotzauer heran; Morlacchi konnte sich mit Mendelssohn italienisch unterhalten und versicherte ihm ein Mal über das andere, daß er jetzt schon die reinste toscanische Aussprache besäße; Pohlenz, damals Dirigent der Gewandhaus-Concerte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_151.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)