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verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Aber Heiri blieb kalt, und als ihm später sein Vater zuwinkte, er solle sich bedanken und seinerseits den Cantonsrath leben lassen, da stand er auf, faßte mit Ungestüm sein Glas und mit begeistertem Blick nach zwei englischen Ingenieuren schauend, die auf der Durchreise Hösli’s Fabrik besichtigt hatten und von Heiri zu Tische gebeten waren, rief er kurz und bündig: „I drink to the genius of England and to her engineer’s!“ (Ich trinke dem Genie Englands und seinen Ingenieuren!)

Eine allgemeine Bewegung entstand. Die Engländer erhoben sich dankend, die Cantonsräthe schickten sich an zu gehen, Frau Hösli eilte bestürzt von einem zum andern und versuchte zu begütigen.

Es war eine unerhörte Beleidigung für die Züricher Behörden, die den jungen Mann in jeder Weise ausgezeichnet hatten, daß er sie nicht einmal eines Dankes würdigte. Er hatte allem Brauch und Herkommen in’s Gesicht geschlagen. Die Stimmung war gestört und das Fest verlief peinlich. Der Conflict, welcher seit der Rückkehr Heiri’s zwischen Vater und Sohn insgeheim bestanden hatte, war jetzt offenbar geworden. Wer Herrn Hösli näher kannte, wußte, welch’ schwere Prüfung das für den alten treuen Schweizer war.

„Du siehst, bester Alfred,“ sagte Egon später, als sich die Familie beim Thee zusammenfand, „daß es ein eigen Ding um die wahre Vornehmheit ist! Eine Tactlosigkeit wie die des jungen Höschens könnte kein wirklicher Aristokrat begehen. Und wenn sich diese Leute noch so glänzend überfirnissen, und wenn ihre Formen den unsern so ähnlich sind wie die falsche Perle der echten – ein leichter Anstoß, welcher der echten nichts anhaben kann, wird die nachgeahmte Form zerbrechen und der gemeine Inhalt kommt zu Tage. Die Politur des guten jungen Höschens hielt nicht einmal in der ersten besten Aufregung Stand und er wurde einfach grob. Die Selbstbeherrschung eines wahrhaft vornehmen Menschen wäre durch keine derartige Wallung erschüttert worden.“

Alfred schwieg betrübt, er konnte dem Onkel nicht Unrecht geben. Was Heiri gethan, war auch ihm als eine Rohheit erschienen.

„Es würde hier nur noch zu entscheiden bleiben, ob die Form oder die Wahrheit obenan zu stellen ist?“ wendete der Candidat ein. „Ich möchte der ersteren keine allzu große Wichtigkeit beilegen, sie ist eben nichts als eine Zierrath für den Theetisch. Die großen Fragen der Welt sind noch niemals mit Höflichkeit entschieden worden!“

„Sehr wohl,“ lächelte Egon. „Aber Alles zu seiner Zeit! Die feinsten und liebenswürdigsten Persönlichkeiten im Salon haben nichts desto weniger als Staatsmänner ganz Europa erzittern gemacht. Die Disciplin der Gesellschaft hat ihrer Mannheit keinen Eintrag gethan und ihre Rolle in der Geschichte war nicht minder bedeutend, wenn sie auch verstanden, dieselbe mit Grazie zu spielen. Mauerbrecher der Wahrheit, wie sie Ihrer jugendlichen Phantasie als Ideale vorschweben, gehören dahin, wo Mauern zu durchbrechen sind, nicht in den Salon, wo es sich nur darum handelt, die Schönheit der menschlichen Erscheinungsform zur vollen Entfaltung zu bringen.“

„Ich unterschätze diese Aufgabe, die sich die Aristokratie gestellt, keineswegs,“ sagte Feldheim gelassen. Es lag ihm um Alfred’s willen, dem die Rede des Oheims imponirte, daran, das letzte Wort zu behalten. „Ich weiß wohl, daß die Schönheit der Erscheinungsform der unmittelbarste Ausdruck des Adels der Menschennatur ist. Aber ich mache es der Aristokratie zum Vorwurf, daß sie sich, weil vorzugsweise im Besitz feiner Formen, auch im Alleinbesitz des Adels glaubt. Im äußerlich rohesten Plebejer kann dieser Adel verborgen liegen, ohne zur Entwickelung zu kommen, weil dem in Armuth und Niedrigkeit Geborenen die Mittel dazu versagt sind. Die Aristokratie hat einen langen Vorsprung in der Cultur der Menschheit, weil sie die zuerst besitzende, die zuerst von jedem Druck befreite Kaste war. Mit Sturmschritt ist die jüngere Generation ihr nachgerückt. Sie hätte mit der gleichen Schnelligkeit vor den Nachrückenden weiter eilen müssen, wenn sie nicht überholt sein wollte; denn um sich an der Spitze einer freien großartig entfalteten Nation zu behaupten, dazu gehört, daß der Einzelne den Pulsschlag des ganzen Volkes in sich fühle, daß der Drang, der Alle erfaßt, so mächtig in ihm sei, daß er ihn Allen voran treibt. So nur können die Anführer der heutigen Bewegung geartet sein. Aber wie kann der Adel eine Ahnung haben von der Kraft und Größe des Volkes, wenn er vor jeder Berührung mit ihm zurückschreckt und es nicht lachen, weinen, zürnen und lieben sieht? Wohl gab und giebt es Ausnahmen unter ihm: Männer wie Stein, Humboldt und Andere mehr waren auch Aristokraten, und sie haben es nicht ihrer unwürdig gefunden, der Sache des Fortschritts zu dienen. Dafür ernteten sie aber auch die abgöttische Verehrung der ganzen Nation.“

Der Freiherr war während dieser Rede mit Adelheid eingetreten. Die Tanten hatten sich in eine Fensternische verkrochen und die Köpfe zusammengesteckt wie die Hühner, wenn’s donnert.

„Wovon wurde gesprochen, wenn ich fragen darf?“ sagte der Freiherr.

Egon lächelte Adelheid zu, seine Lippen ahmten kaum merklich die Bewegung eines Kusses nach. Adelheid senkte erröthend die Wimper. „Herr Feldheim hielt uns einen Vortrag über die Nachtheile, die es für uns mit sich bringt, daß wir mit unseres Gleichen und nicht mit unseren Schustern und Schneidern verkehren,“ sagte Egon.

„Das hat Herr Feldheim sicher nicht gemeint,“ erwiderte der Freiherr ernst, „zwischen uns und unseren Handwerkern liegt noch ein großes Volk gebildeter Menschen. Ich bin ein alter Mann und verstehe die Ideen der neuen Zeit nicht mehr, aber ich kenne meinen jungen Freund genug, um ihn als Bürgen für dieselben anzunehmen. Bestrebungen, die sich mit so viel Ehrenhaftigkeit und Ritterlichkeit vertragen, wie ich sie an Herrn Feldheim gefunden, können keine schlechten sein!“

„Ich danke Ihnen, Herr Baron,“ sagte Feldheim und sein Auge haftete liebevoll auf dem alten Manne.

(Fortsetzung folgt.)




Thier-Charaktere.
10. Wiesel und Hermelin.

Ich stand an einer Waldhaide auf Kaninchen an, die allabendlich in das anstoßende Feld „zur Aeßung rücken“. Schon eine Weile fesselte mich das Treiben eines großen Würgers am nahen Dornraine. Eben flattert er wieder von dem Schwarzdorn auf über den Kleeacker hin und hebt sich plötzlich senkrecht etwa dreißig Fuß in die Höhe, um sein „Rütteln“ zu beginnen, das heißt: er hält sich flatternd halbe Minuten lang an einer Stelle in der Luft über einem gewissen Punkte. Der Vogel wendet diese Eigenthümlichkeit mit einigen Raubvögeln bei seinem Fang auf Kerbthiere, Lurche und Mäuse an. Sobald er eine Beute unter sich gewahrt, stürzt er auf sie herab, um sie mit Schnabel und Klauen sofort zu fassen. Mehrere Käfer und eine Eidechse sind von ihm auf diese Weise schon erbeutet. In seinen Klauen hat er die Letztere zu den Käfern auf die Dornhecke getragen und an einem der spitzen Dorne daselbst aufgespießt. Jetzt fährt er mit einem Male wieder schief herunter an den Rain, aber noch einige Fuß von der Erde schreckt er zurück, sein eigenthümliches Geschrei „Gäh, Gähk“ ausstoßend. Auf dem Steingerölle des Raines seh’ ich jetzt Etwas sich mausartig regen. Sonderbar, daß der Würger nicht anpacken will. Wiederholt fährt er auf den Punkt los, wendet aber hart über ihm sogleich um. Sieh! nun erscheint statt der vermeintlichen Maus das niedliche Köpfchen eines Wiesels mit dem grauweißen Schnäuzchen voll kräftiger Schnurren, mit den breiten Muschelohren und den kleinen lebhaften Augen: ein lebendiges Spitzbubengesichtchen.

Nun schiebt sich dem langen weißkehligen Hälschen ein ebenso schlanker Leib in gelenker, bogenförmiger Wendung aus einer engen Steinritze nach. Das ist unser Wiesel, auch Heermännchen oder Hermchen genannt, der kleine braunrothe Racker, der kaum handlange Zwerg mit dem Riesenmuthe und den gewaltigen Mordgedanken in dem kleinen Kopfe. Fürwahr, jede Bewegung, jedes Beginnen dieses Wesens hat etwas Anziehendes, ja Bedeutendes. Selbst das nur anderthalbzöllige Schwänzchen kleidet den beweglichen Gesellen keck und drollig zugleich. Wie auf einem Dreifuß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_148.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2018)