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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.


Ein ostpreußischer Steuerverweigerer. Das im preußischen Abgeordnetenhause genehmigte Consolidations-Gesetz des Finanzministers Camphausen hat auch bei unseren Ostpreußen einstweilen die Furcht vor Branntwein-, Petroleum- und Tabakssteuer beseitigt, und damit ist gleichzeitig die Aussicht auf Steuerverweigerung und Steuerverweigerer geschwunden. Der in den Zeitungen früher so häufig erwähnte Rittergutsbesitzer und Mitredacteur des in Litthauen erscheinenden „Bürger- und Bauernfreundes“, Reitenbach zu Plicken bei Gumbinnen, darf somit bis jetzt als der letzte, aber doch nicht als der einzige Steuerverweigerer Ostpreußens angesehen werden.

In dem südöstlichen Theile Ostpreußens liegt an dem romantischen Ufer des größten Binnensees der Provinz, dem Spirdingsee, das Städtchen Rhein. Zu den Bürgern desselben gehörte vor wenigen Jahren auch der hier ansässige Schiffsrheder H., ein Mann, der seinen Mitbürgern der zu jeder Zeit an ihm wahrgenommenen heitern Laune und des unverwüstlichen Humors halber lange noch im Gedächtniß bleiben wird. In den ersten fünfziger Jahren war H. als Besitzer des bei Rhein gelegenen Gutes J. dem Bankerott nahe. Glücklicherweise fand sich noch zu rechter Zeit ein Käufer, bei welchem Kaufgeschäft dem Verkäufer eine freilich nicht sehr bedeutende Summe übrig blieb.

Mit diesem Gelde beschloß H. auf dem Spirdingsgewässer und den nach dem Spirding führenden, vom Staate angelegten Canälen, welche die Städte Angerburg, Lotzen, Rhein, Nikolaiken und Johannisburg durch eine Wasserstraße verbinden, eine bis dahin hier mangelnde Dampfschifffahrt einzurichten. Da indeß das beim Verkaufe der Besitzung erübrigte Geld hierzu lange nicht ausreichte, wandte sich H. an die königliche Regierung zu Gumbinnen und bat um einen Vorschuß von achttausend Thalern. Er rechnete umsomehr auf die Erfüllung seiner Bitten als es ihm bekannt war, daß die Regierung schon seit einiger Zeit dem Projecte der Dampfschifffahrt auf den genannten Gewässern ein lebhaftes Interesse zugewandt hatte.

Leider hatte man indeß den Unternehmer in Gumbinnen als einen eifrigen Demokraten denuncirt, welcher bereits im Jahre 1848 hartnäckig die Steuern verweigert hatte. Demzufolge erhielt H. von dem damaligen Regierungspräsidenten v. Byhrn einen abschlägigen Bescheid, welcher gleichzeitig die Bemerkung enthielt, daß H. als Steuerverweigerer nie auf eine Staatshülfe rechnen dürfe. Mit diesem Bescheide begnügte sich H. jedoch nicht, sondern traf sofort Anstalt, um nach Berlin zu reisen und dem Minister v. d. Heydt sein Anliegen vorzutragen. Doch auch dem Minister war die politische Gesinnung des Bittstellers schon bekannt geworden, und in einem nicht viel versprechenden Tone äußerte derselbe während der Audienz: „Es bleibt mir unbegreiflich, wie Sie, mein Lieber, es wagen können, als Steuerverweigerer um eine Unterstützung zu bitten.“

„Excellenz!“ erwiderte H. unbetroffen, „allerdings habe ich Steuern verweigert, bin indeß fest überzeugt, Sie hätten es in meiner Lage ebenso gemacht.“

„Herr!“ rief ihm der Minister etwas barsch zu, „wie meinen Sie das? –“

„Excellenz!“ entgegnete H. ruhig und gefaßt, „wenn man keinen Heller in der Tasche hat, so bleibt wohl nichts Anderes übrig, als Steuern zu verweigern.“

Aus dem Gesichte des Ministers entschwand nach dieser Antwort die strenge Amtsmiene, Se. Excellenz konnten sich kaum des Lachens enthalten, und das Resultat der Audienz war die Bewilligung der erbetenen Unterstützung von achttausend Thalern, in Folge dessen sehr bald darauf das Dampfschiff „Masovia“ das Spirdingsgewässer durchkreuzte. –

Nicht lange darauf besuchte König Friedrich Wilhelm der Vierte die Provinz Ostpreußen, bei welcher Gelegenheit derselbe auf der Reise von Rhein nach Johannisburg das Dampfschiff „Masovia“ zur Fahrt über den Spirding benutzte. H. befand sich als Eigenthümer des Schiffes während der Fahrt unter der Begleitung des Königs und hatte das Vergnügen, Sr. Majestät vorgestellt zu werden. Der König richtete unter Anderm an den Schiffseigenthümer auch die Frage, in welcher Art sich die Dampfschifffahrt auf dem Spirdingsee rentire.

„Halten zu Gnaden, Ew. Majestät,“ erwiderte H., „leider nicht in der erwünschten Weise. Mein eifrigstes Bestreben, mich des mir von der Regierung Ew. Majestät erzeigten Wohlwollens würdig zu zeigen und die mir verliehene Unterstützung zurückzuzahlen, ist mir bis jetzt nicht gelungen.“

Der König wandte sich nach dieser Antwort gegen den ihm zur Seite stehenden Oberpräsidenten der Provinz Preußen, v. Eichmann, und bemerkte unter sarkastischem Lächeln: „Eine fatale Sache für den Staat, wenn man Steuern verweigert und Vorschüsse zurückzuzahlen nicht im Stande ist.“

Wie man später hörte, soll die erhaltene Unterstützungssumme als ein königliches Geschenk an H. überwiesen worden sein; ein Beweis, daß der königliche Herr auch gegen Steuerverweigerer Nachsicht zu üben wußte.

J. A. D. 


Eine Streitfrage. Vor länger als zehn Jahren bildete sich in Berlin ein Comité zur Errichtung einer Goethe-Statue; dasselbe nahm Gelder in Empfang, veranstaltete Sammlungen etc. Zu diesem Zwecke gab der Theaterdirector Franz Wallner ein Benefiz, bei welchem er sich der Mitwirkung Dawison’s versicherte, bei dem er die Kosten aus eigenen Mitteln trug und vermittelst dessen er ein ganz namhaftes Capital an das Comité zur Herstellung einer Goethe-Statue ablieferte. Seit einem Decennium aber hat das Comité nicht das geringste Lebenszeichen von sich gegeben, von einem Goethe-Monument ist keine Rede und die Verwendung des Geldes ist ein tiefes Geheimniß, da alle Aufforderungen an die Empfänger desselben fruchtlos blieben. Unter diesen Umständen hält sich Herr Director Wallner vollkommen berechtigt, über die Summe nebst aufgelaufenen Zinsen, die er zu einem bestimmten Zwecke gegeben, der nicht eingehalten wurde, anderweitig zu verfügen, und hat den Unterstützungsverein der „Berliner Presse“ ermächtigt, das Capital zu Gunsten seiner hilfsbedürftigen Mitglieder zurückzufordern, und namentlich zweihundert Thaler davon für einen braven, durch langwierige Krankheit erwerbsunfähigen tüchtigen Schriftsteller bestimmt. Es fragt sich nun:

1) Hat der Geber das Recht, nach zehn Jahren das Geld zurückzufordern, wenn es nicht nur zu dem gegebenen Zwecke nicht verwendet wurde, sondern wenn auch nicht die geringste Aussicht vorhanden ist, daß dies je geschehen wird?

2) Ist das Comité verpflichtet, diese für einen bestimmt ausgesprochenen Zweck in Empfang genommenen Gelder zurückzustellen, eventuell darüber Rechenschaft abzulegen?

Da im Verein „Berliner Presse“ darüber verschiedene Ansichten obwalten, das sogenannte „Goethe-Comité“ aber sich in hartnäckige Auskunftsverweigerung hüllt, so wäre eine Beantwortung obiger Fragen von competenter Seite im Interesse des oben genannten Unterstützungsfonds sehr wünschenswerth.




Ein alter Kämpfer für die Freiheit auf religiösem Gebiete und mit klarem verständigem Blick in die unabweisbaren Forderungen der Gegenwart ist Joh. Jos. Ignaz von Döllinger, dessen Portrait wir heute unsern Lesern bringen. Sein Name ist erst in den jüngsten Tagen aller Orten wieder genannt worden in Folge der entschiedenen, auf die unwiderleglichen Sätze der Vernunft und der Geschichte gegründeten Abwehr, welche er den wahnwitzigen Infallibilitätsgelüsten der römischen Curie zu Theil werden ließ. Freilich ist er mit dieser schon früh genug im Widerstreit gelegen, und wir erinnern in dieser Beziehung nur an die 1861 von ihm gehaltenen Vorträge, worin er die Möglichkeit und selbst Wahrscheinlichkeit einer Säcularisirung des Kirchenstaates und die Folgen, die sich daraus für die katholische Kirche ergeben würden, rückhaltlos besprach, und an die 1863 vor der katholischen Gelehrtenversammlung zu München gehaltene Rede über die „Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie“, welche ihm in Rom und Deutschland heftige Angriffe der jesuitischen Partei zuzog. Noch in Aller Gedächtniß ist Döllinger’s Auftreten gegen die Encyklika und den Syllabus, und daß sein Name mit dem von so außerordentlichem Erfolg begleiteten Buche „Der Papst und das Concil, von Janus“ in engste Verbindung gebracht wurde, ist bekannt. Seine neueste Kundgebung gegen das Unfehlbarkeitsdogma rief zahlreiche Zustimmungsadressen aus allen Theilen Deutschlands hervor, von denen wir nur Breslau, Braunsberg, Bonn, Prag nennen wollen. Bemerkenswerth ist dabei, daß sich unter den vierundzwanzig Universitätsprofessoren der eben genannten rheinischen Stadt und unter den dreizehn Universitätsprofessoren Prags, welche ihre Uebereinstimmung mit Döllinger aussprachen, je fünf Theologen befanden, welche alle als entschiedene Katholiken gelten und von denen viele im Jahre 1869 die Gratulationsadresse an den Papst unterschrieben haben. Dieser Umstand bezeugt, wie richtig gerade in der katholischen Welt das Auftreten Döllinger’s beurtheilt worden ist, dessen Persönlichkeit den Beweis dafür giebt, daß man ein sehr guter Katholik sein und die sinnlosen fanatischen Uebergriffe der römischen Curie und der sie leitenden jesuitischen Partei dennoch verdammen kann.




Ueberzeugung oder Heuchelei? Der viel besprochene Prediger Schulz in Berlin, der leider noch immer Seelsorger in Bethanien ist, hielt in diesem schönen Krankenhause am 10. October 1866 gelegentlich der Stiftungsfeier die Festrede, in der er unter Anderem Folgendes wörtlich sagte: „Dies Haus ist nicht in dem Sinne gebaut, wie andere Krankenhäuser, in denen die Kranken durch ärztliche Hülfe geheilt werden sollen. Eine Heilung durch die ärztliche Kunst giebt es überhaupt nicht, ebensowenig eine Heilung durch die Kräfte der Natur. Was die Wissenschaft dazu sagt, weiß ich nicht, ist auch ganz gleichgültig. Alle Krankheit ist Strafe für die Sünde und kann daher nur durch directe Einwirkung von Gott, welche man nur durch Gebet und Buße erflehen kann, beseitigt werden.“ Solcher Corruptheit oder Bosheit entsprechend war es denn auch, daß Herr Schulz Kranken, die vor ihrer Entlassung Herrn Dr. Wilms für Operation und Behandlung ihren Dank ausgesprochen hatten, dies sehr ernstlich verwies. Sie hätten sich nicht zu bedanken gehabt, das war in solchen Füllen der herbe Refrain, da nicht jenes Arztes Kunst, sondern nur seine (Schulz’s) Gebete sie geheilt hätten. Dies sind Thatsachen, herausgerissen aus einer ganzen Schaar ähnlicher Dinge, die dem Schreiber dieser Zeilen aus authentischer Quelle vorliegen. Die von der Regierung angestrengte Untersuchung über die in Bethanien ausgebrochene Krankenhaus-Epidemie, die zum Theil als eine Folge des dort getriebenen Frömmlerunwesens angesehen werden darf, wird noch merkwürdige Dinge zu Tage fördern.

G. in Berlin. 


Berichtigung. Durch ein Versehen, das wir lebhaft bedauern, ist unter die in Nr. 6 der Gartenlaube gebrachte Illustration „Großvatersspielen“ ein anderer Name gekommen, als der des wirklichen Künstlers. Die anmuthige Zeichnung, die gewiß den Beifall unserer Leser gehabt hat, rührt vielmehr von Herrn Emil Schuback in Düsseldorf, was wir hiermit ausdrücklich zu berichtigen bitten.


Inhalt: Aus eigener Kraft. Von W. v. Hillern. (Fortsetzung.) – Ein wiedergefundenes Grab. Mit Abbildung. – Holländische Leute. Von Karl Braun (Wiesbaden). Nr. 1. – Aus meinem Leben. Von Capellmeister Dorn in Berlin. Nr. 2. Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy und seine Zeitgenossen. – Im neuen Rathhauskeller zu Berlin. Von Rudolf Löwenstein. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Ein ostpreußischer Steuerverweigerer. – Eine Streitfrage. – Ein alter Kämpfer. Mit Portrait. – Ueberzeugung oder Heuchelei? – Berichtigung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_144.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)