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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Das Regiment des Prinzen hatte vor Aldy, rechts von der Chaussee, ein Lager aufgeschlagen. Das erste Zelt zunächst der Straße und dem Ort war das des Prinzen. In einem Hause, welches von seinem Zelte nur durch die Chaussee getrennt war, hatte er ein Zimmer für seine Frau gemiethet.

Der Prinz war froh, daß ich kam, denn die Schwierigkeiten mit seinen Officieren hatten bereits angefangen, und er hoffte, daß ich beitragen würde, sie auszugleichen. Gleich bei meiner Ankunft erzählte er mir, daß der alte Struve um seinen Abschied eingekommen sei.

Salm hatte einen schweren Stand nicht nur mit den Republikanern, denen er als Prinz verhaßt war, sondern auch mit den schiffbrüchigen Junkern, die ihn wegen der Aufmerksamkeit beneideten, mit welcher ihn die Regierung behandelte. Einer derselben war sein Brigadecommandeur, Oberst ***.

Der Oberst war ein großer, schlanker, noch junger Mann, mit nur wenigen rothblonden Haaren auf dem hinteren Theile seines Kopfes; der Schädel war ganz kahl. Seine Haltung war sehr militärisch und sein Auftreten barsch und arrogant. Er war preußischer Officier, ich glaube, in einem Garderegiment, gewesen, und hatte sich später als Hauptmann im schleswig-holsteinischen Kriege ausgezeichnet. Er galt für einen sehr tüchtigen Soldaten und war es wohl auch. Warum er nach Amerika fliehen mußte, weiß ich nicht, doch glaube ich nicht, daß es wegen einer unehrenhaften Handlung war; den Eindruck machte er durchaus nicht. Es war ihm anfangs in New-York schlecht gegangen, und er hatte eine sehr bescheidene Stelle in einem Comptoir einzunehmen, in der That die allerletzte, denn er hatte die Zimmer auszukehren. Er besaß eine schöne Stimme, spielte ausgezeichnet Clavier und fand, daß diese Fertigkeiten sich verwerthen ließen, indem er in öffentlichen Localen spielte und sang. – Als der Krieg ausbrach, wurde er Oberst des „de Kalb“-Regiments und stand später bei Blenker’s Division, den er als Freischaarenobersten natürlich verachtete und mit dem er nicht selten aneinandergerieth.

Oberst *** konnte Salm nicht leiden und mißbrauchte seine Stellung, es ihn in der brutalsten Weise fühlen zu lassen, wie er denn schon am andern Morgen der Prinzessin die Weisung ertheilte, ihr Zimmer zu räumen, da es für dienstliche Zwecke gebraucht würde. Dieser dienstliche Zweck war, wie sich nachher zeigte, nicht vorhanden, denn das Zimmer wurde von Frau *** eingenommen. Die Prinzessin war empört und hatte Lust zur Opposition; ich rieth ihr aber nachzugeben und eine Wohnung einzunehmen, die ein paar Schritte weiter hin an der Straße gelegen war. Sie hatte es sich jedoch kaum in dieser bequem gemacht, als sie abermals von Oberst *** unter irgend einem Vorwand vertrieben wurde, und so faßte sie denn, zur großen Freude der Soldaten, den Entschluß, mit ihrem Manne dessen Zelt zu theilen.

Ich blieb etwa acht Tage, da es aber nicht den Anschein hatte, als ob es zu einem Zusammentreffen mit dem Feinde kommen sollte, so beschloß ich, mich auf einen andern Theil des Kriegsschauplatzes zu begeben und auf meinem Rückwege nach Washington ein paar Tage bei General Stahel zu bleiben, der mich eingeladen hatte. Eines Nachmittags nahm ich daher Abschied von Salm, um noch bei Tage Hoperell Gap zu erreichen, wohin Stahel an demselben Morgen zurückgekehrt war.

Als ich in den Wald kam, den ich zu durchreiten hatte, achtete ich sorgfältig auf den Wind, da ich keinen andern Führer hatte und auch nicht einem einzigen Menschen begegnete. Der Wind drehte sich jedoch, und ich wußte nicht mehr, in welcher Richtung ich Hoperell Gap suchen sollte, als ich den Schritt eines Pferdes hörte. Es war eine Ordonnanz, die mir sagte, daß sie eben von General Stahel’s Hauptquartier komme, und mir den Weg zeigte. Nach einer Stunde sah ich denn auch Zelte; die Gegend kam mir sehr bekannt vor – ich war wieder glücklich in Aldy angelangt, nachdem ich einen Kreis von etwa zwölf englischen Meilen gemacht hatte. Die Ordonnanz kam von Stahel’s Hauptquartier in Aldy und wußte nichts von der Verlegung desselben nach Hoperell Gap.

Als die Prinzessin meine Stimme vor ihrem Leinwandpalast hörte, kam sie heraus und lachte mich unbarmherzig aus, freute sich aber doch, mich wiederzusehen. Es war wirklich ein glücklicher Zufall, der mich zurückführte, denn in der Nacht kam der Befehl, das Lager abzubrechen und eine retrograde Bewegung nach Chantilly zu machen.

Als die Zelte am Morgen abgeschlagen wurden, fing es an zu regnen, und die Feuer, die man mit all’ dem Holzwerk und Geräthschaften unterhielt, welche man den Rebellen nicht überlassen wollte, waren gar nicht unangenehm. Das Zelt des Prinzen wurde natürlich auch aufgepackt, und die Prinzessin saß auf dem hölzernen Fußboden desselben wie auf einem Präsentirteller, während die Truppen sich zum Abmarsch formirten.

Unser Kundschafter war nach Hause zurückgekehrt, und die Prinzessin und ich ritten den Truppen voraus nach Chantilly, um uns nach einem Quartier für sie umzusehen. Der Ritt war nichts weniger als angenehm, denn es regnete stark. Glücklicherweise hatten wir Beide Gummimäntel, und nichts wurde naß als unsere Hüte und der Prinzessin verwünschte scharlachene Straußfeder, welche sie mit einem vertrauensvollen „da, lieber Corvin“ meiner Sorgfalt anvertraute.

Wir ließen unsere Pferde stark traben und kamen bald nach Chantilly, einer Besitzung der Familie Stuart, welche ihren Ursprung von den englischen Stuarts herleitete. Die Familie mußte sehr reich gewesen sein, denn die Besitzung war nicht nur sehr ausgedehnt, sondern die Gebäude waren auch in einem für Amerika ganz ungewöhnlichen schloßartigen Styl erbaut. Das erstreckte sich sogar auf die Ställe, wenn dieselben auch nicht so prachtvoll eingerichtet waren wie die in dem Chantilly bei Paris, welche die Condés erbaut hatten.

Ein hundertjähriger Neger, der im Hause geblieben war und der noch Washington gekannt hatte, sagte uns, daß wir vielleicht im Hause des Aufsehers Quartier und ein Mittagessen finden möchten; dasselbe lag etwa eine englische Meile hinter dem Herrenhause, aus dem alle Meubels entfernt worden waren, wenn es auch in gutem Stande gehalten wurde.

Wir fanden in dem kleinen, auf einem Hügel liegenden Hause des Aufsehers dessen recht anständige Frau nebst zwei Töchtern, die Alles thaten, was sie konnten, es der Prinzessin behaglich zu machen. Der Mann war wahrscheinlich in der südlichen Armee. Die eine Tochter, ein schönes, verständiges Mädchen, bot der Prinzessin sogleich ihr Zimmer an; allein diese nahm es nur unter der Bedingung an, daß sie dasselbe und das einzige Bett mit ihr theilte.

In der Nähe des Aufseherhauses war ein sehr großes Oekonomie-Gebäude, welches an jedem Ende Ställe, mit je sechs Ständen, hatte, und zwischen Beiden war bequem Raum für gewiß hundert Pferde. Ich nahm Besitz von einem der Ställe, indem ich unsere beiden Pferde hinein stellte und die vier leeren Stände für des Prinzen vier Pferde reservirte.

Die Truppen kamen am Nachmittag an. Sie hatten kaum ihre Gewehre zusammengestellt, als sie geschlossen wie zum Sturm gegen die noch unberührten Fenzen vorrückten. Diese waren im Nu auseinander gerissen und mit Ameisengeschäftigkeit schleppte jeder Soldat seine Beute zum Lagerplatz. Die Fenzen reichten jedoch für das Holzbedürfniß der Soldaten nicht aus, und bald sah man sie mit wunderbarer Geschicklichkeit an einer hohen und großen Scheune emporklettern. In einer Viertelstunde war dieselbe ihrer Bretterbekleidung entledigt, denn Bretter waren sehr begehrt, da sich mit ihnen regendichtere Dächer herstellen ließen, als sie die sogenannten shelter-tents gewährten. Es regnete in Strömen und man konnte es den Soldaten wirklich nicht verdenken, wenn sie Holz hernahmen, wo immer sie es fanden.

Als ich nach dem Stallgebäude ging, um zu sehen, ob unsere Pferde versorgt seien, traf ich dort einen Burschen von ***, einen der unverschämtesten New-Yorker Bummler, den man nur finden konnte. Der Kerl sagte mir mit frecher Miene, daß sein Oberst befohlen habe, der Prinzessin und mein Pferd aus dem Stalle zu werfen und denselben für seine Pferde in Beschlag zu nehmen. ***’s Ungezogenheit gegen die Prinzessin hatte mich schon genug geärgert, allein diese neue Unverschämtheit machte das Maß voll. Ich wurde blaß vor Zorn; doch ich hielt mich zurück und begnügte mich damit, dem frechen Kerl mit ruhiger Stimme zu sagen, daß ich ihn todt schießen würde, wenn er wagte, einen Finger an der Prinzessin oder mein Pferd zu legen, ehe ich mit seinem Herrn gesprochen hätte.

Kochend vor Wuth kehrte ich nach dem Hause zurück und theilte der Prinzessin diese neue Beleidigung ***’s mit. Sie sagte kein Wort, sondern nagte an ihrer Unterlippe und sah zum Fenster hinaus. Sie that mir wirklich leid und in der Absicht, der Sache

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_107.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)