Seite:Die Gartenlaube (1870) 030.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Leuten zu Mittag speiste und ihm zurief. „Geh’ herein, Büebel, und iß a an Knödel, daß d’ stark wirst!“

Das war am 11. April 1809, ehe es zum Sturm auf Innsbruck ging, das die Baiern besetzt hielten. Da waren die Stubaier auch nicht die Letzten, sondern stellten ihr Kontingent, dreihundertundfünfzig verwegene Schützen; die der alte Pfurtscheller Michele von Vulpmes anführte. Stubaier Waghälse waren es auch, die – ihrer Sechs – Tags darauf vom Berg Isel herab in’s Dorf Wilten drangen und die bairischen Dragoner angriffen; sie büßten ihre Tollkühnheit mit dem Leben. Doch weg von diesem traurigen Bilde, wo Tirol auf seine deutschen Brüder feuerte, eine Zeit, von der unser Hermann von Gilm singt:

„Mit dem Eisen eurer Pflüge,
Wo der Grund am tiefsten ist,
Grabt sie ein die alte Lüge
Von dem deutschen Bruderzwist.“

Wir drücken also dem wackern Wirth die Hand und wenden uns thaleinwärts gegen das nächste Dorf Mieders. Kühl und prickelnd weht uns die herrliche Gletscherluft entgegen, Nerven und Lunge stärkend, aber nicht so günstig der Vegetation, die unter diesem scharfen Anhauch leidet; daher kommt auch nur an sonnigen gesicherten Stellen des äußeren Thalgrundes Weizen und sparsamer Mais zur Reife und der übrige Getreidebau besteht in Roggen, Gerste, Hafer und Erdäpfeln, ohne den Bedarf der Thalbewohner zu decken. Bei Gasteig hört er ganz auf und macht den Heimwiesen Platz. Desto reicher und ausgedehnter sind die Alpen Stubais, die Elemente einer blühenden Viehzucht. Die Zahl der jährlich veräußerten Rinder steigt auf zweihundert; nicht minder steht die Zucht der Schweine und Schafe in Blüthe, die durch ihre Ausfuhr dem Thale manchen Gulden eintragen, wozu noch der „Grasvergelt“ kommt, den fremdes Vieh den Weidenbesitzern abwirft. Daher trübt kein grelles Bild der Armuth den ländlichen Frieden dieses reizenden Thales, das besonders in Mieders, in das wir jetzt treten, den Eindruck des Wohlstandes und der ländlichen Behäbigkeit macht. Die Häuser sind größentheils aus Stein gebaut, die Gassen sauber und freundlich. Es ist einer der beliebtesten Sommerfrischorte, zu dem es die reine Luft, das frische Quellwasser und die entzückende Lage wie geschaffen haben. Dahinter erhebt sich die gewaltige Dolomitpyramide des Sonnensteins. Gegenüber, jenseits des Rutzbaches, leitet von Kreith aus ein lachendes Gelände den Berg entlang zum höchst malerisch gelegenen Pfarrdorfe Telfes. Es liegt hoch oben am Sonnenhange des Thales mitten in schönen Aeckern und Wiesen, höher hinauf ziehen sich grüne von Lärchstämmen unterbrochene Bergmähder.

Eine grauenvolle Schlucht, durch die der Rutzbach sein wildes Wasser zwängt, trennt die beiden Ufer. Durch die wüste Tiefe gelangt man auf rauhem Weg hinüber zum genannten Orte, wenn nicht etwa die Fluthen, wie es öfter bei Regengüssen oder Hochgewittern geschieht, die Holzbrücke fortgerissen haben. Denn die entfesselten Elemente hausen hier furchtbar, wie zahlreiche Spuren der Zerstörung beweisen. Den Boden bedeckt hergeschwemmtes Gerölle, dazwischen liegen mächtige Felsblöcke, die die Gewalt des Wassers mit sich geführt, riesige Fichtenstämme, wie Halme geknickt, und Ruinen von Häusern, die einst hier gestanden, vollenden das schaurige Bild, das durch das Dunkel der es umgebenden Fichtenwaldungen nur noch mehr hervorgehoben wird.

Etwa eine Viertelstunde nach Mieders kommen wir durch das liebliche Mühlthal. Am rauschenden Waldraster Bache stehen einige Mühlen und Sägen, zwischen Obstbäumen und Gebüsch gar anmuthig gruppirt. Von hier aus geht es durch einen wunderschönen Lärchenwald. Allmählich steigt das Flußbett an und wird mit den beiden Mittelebenen zu einer ziemlich breiten Thalsohle vereinigt. Hart neben uns schäumt in breitem Bette die Rutz. Jetzt nahen wir uns der Holzbrücke, die uns auf das linke Ufer führt, an dem die ersten Vorposten von Vulpmes sichtbar werden. Schon von weitem kündet sich der Fabrikort durch die rauchenden Schlote und durch das dumpfe Gepolter der Hammerwerke an. Je näher wir kommen, desto geschäftiger wird das Treiben und der Lärm; das Wasser braust, die Räder knarren; aus siebenundsechszig Gewerken tönt der Hammer, der zweihundert rüstige Gesellen in Athem hält. Freilich gegen die Regsamkeit einer bevölkerten Fabrikstadt verschwindet das Getreibe dieser arbeitenden Schmiede, aber in unserem abgeschiedenen Thale ist dieser Anblick ungewohnt und contrastirt mit dem Frieden der Umgebung.

Vulpmes liegt eng am Bette des wildfluthenden Schlickbaches, der quer von den Kalkwänden des hohen Burgstall herabstürmt und die Gewerke dieses Ortes belebt. Die Häuser sind fast durchgängig von Stein und zeichnen sich durch viele Gewölbe und alterthümliche Bauart aus, besonders ist dies in der „Herrengasse“ der Fall, welche deutlich die Spuren einstiger Bergwerksgebäude verräth. Gewiß ist, daß vor Jahrhunderten die Eisengruben des Schlickthales in Betrieb waren, bis der Sage nach ein Elementarereigniß den Eisenbau plötzlich beendete. Diesem Umstande verdankt die Eisenindustrie von Vulpmes ihre Entstehung, die sich bis in’s sechszehnte Jahrhundert zurückführen läßt. Die Haupterzeugnisse sind Kunstpfannen, Stemmeisen, Bügeleisen, Hacken, kurz, alle Arten von Küchen- und Ackerbaugeräthschaften; besonders die Messer, Wein- und Raupenscheeren und Fußeisen erfreuen sich noch jetzt eines weit verbreiteten Rufes. Nur optische und musikalische Instrumente sind ausgeschlossen. Anfänglich bestimmt, die Bedürfnisse des Thales zu decken, überschritt bald der Handel mit Eisenwaaren die Grenzen Stubais und Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts wurden die Fabrikate schon durch kräftige Burschen auf Kraxen außerthals von Ort zu Ort getragen. Man zog nach Oesterreich, Ungarn, Böhmen, Polen, Baiern, Baden, Würtemberg, in die Lombardei, ja bis in die Levante. Dazu gehörten allerdings die eisenfesten Schultern eines Stubaier Bauern, um solche Lasten Land aus, Land ein zu schleppen. Die Volkssage spricht von drei baumstarken Brüdern Tanzer aus Neustift, von denen einer – der Georg – einmal mit acht Centnern Eisenwaaren auf dem Rücken beim Mauthhause von Schaffhausen angekommen sein soll. Bald sah man jedoch ein, daß der Waarentransport zu Wagen sich besser rentire als das Hausiren, und in den letzten zwei Decennien des siebenzehnten Jahrhunderts waren schon sechszehnhundertachtzig Fuhren jährlich in Bewegung.

Da sich der Handel durch wohlberechnete Speculation immer mehr erweiterte und in Folge der gesteigerten Anforderungen die Capitalien des Einzelnen nicht mehr hinreichten, so entstanden Handlungscompagnien und wurden Niederlagen im In- und Auslande etablirt, die von den Mitgliedern der Gesellschaft von Zeit zu Zeit besucht wurden. Diese trugen dann einen langen Rock von feinem blauen Tuche, Beinkleider aus feinem Manchester mit grünen Hosenträgern, schwarzseidene Halstücher und grüne Hüte. Kamen sie wieder in ihr Thal, so ward die Kleidung gleich wieder mit der schönen einheimischen Tracht vertauscht: violette Joppe, hochrothe Weste mit goldübersponnenen Knöpfen und Zwickeln, schwarze Lederhosen mit grünen Tragbändern, auf dem Kopfe der gelbe mit grüner Seide ausgeschlagene breitschattige Hut.

Den größten Aufschwung nahm Fabrikation und Geschäft der Stubaier, als das Jahr 1804 den Commissionshandel in’s Leben rief, und an die Stelle der Reisen die Correspondenz trat. Doch ging der Hausirhandel lebhaft nebenher. Der alljährlich consumirte Rohstoff von Eisen, Blech und Draht stieg gegen viertausend Centner, den neunundzwanzig Groß- und Hammermeister und gegen sechszig Kleinmeister mit ihren Gesellen verarbeiteten. Man bezieht den Bedarf fast nur aus Kärnthen und Steiermark, kaum ein Neuntel aus Tirol, da das Eisen aus letzterem einestheils zu grob, anderseits zu theuer ist. Messing, Kupfer und Tomback liefert Achenrain bei Rattenberg, die Kohlen Stubai selbst, Ebenholz, Elfenbein, Schildkrot, Perlmutter, Silber, Schmirgel etc. kommt von allen Seiten. Man kann die Gesammtauslage für das Rohmaterial auf fünfundsechszigtausend, den Gewinn zur Zeit der Blüthe auf hundertfünfzehntausend Gulden anschlagen, der immerhin ein erfreulicher und nennenswerther ist, wenn man bedenkt, daß dies Alles blos Handarbeit ist, und nicht gerade die Verhältnisse eines Krupp zum Maßstab machen will. Der Gewinn wanderte größtentheils wieder in’s Thal zurück und wurde nach dem Maßstabe des eingelegten Capitals an die Mitglieder der Gesellschaft vertheilt, die ihn meist zum Ankauf eines Grundstücks verwendeten, wo sie an der Seite eines einheimischen Weibes behaglich ihre alten Tage zubrachten. Im Verlaufe der Zeit ist allerdings Manches anders geworden; das Wandern hat fast ganz aufgehört und die meisten Händler haben sich, gleichgültiger gegen die Heimath, mit ihrem Vermögen im Auslande niedergelassen. Gegenwärtig weilen nur noch zwei bedeutende Handelsfamilien in Vulpmes, die geachteten Firmen Pfurtscheller und Hellrigl, wegen ihrer Solidität im In- und Auslande geschätzt. Letzterer, der unternehmende Peter Hellrigl gab in der jüngsten Zeit der Eisenindustrie Stubais einen neuen Schwung durch die Fabrikation

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_030.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)