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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Erfolg blieb hinter den großen Erwartungen nicht zurück. Im Jahre 1864 kam er nach Paris. Hier bestieg er zuerst die Kanzel in der Madeleine, und schon nach der ersten Predigt war er der Held des Tages. Er predigte dann fünf Jahre während des Advents in der Notre-Dame-Kirche, und diese war dann immer so überfüllt, daß viele Hunderte, die sich von allen Enden und Ecken der Riesenstadt herbeigedrängt, keinen Zulaß finden konnten.

Wenn ihm nun diese Predigten, auf die wir bald zurückkommen werden, neben unzähligen Bewunderern auch viele heftige Widersacher zuzogen, so wurden dieselben auf’s Unversöhnlichste erbittert, als der Pater im vorigen Winter in einer Versammlung der Friedensliga und in Anwesenheit eines protestantischen Geistlichen und des Oberrabbiners von Paris ausrief, die mosaische, katholische und protestantische Religion seien Himmelsschwestern von ganz gleichem Range. Die finsteren Eiferer, die nicht genug bedauern können, daß die Scheiterhaufen für immer erloschen und daß die Inquisition für immer verschwunden, die finsteren Eiferer schrieen Ach und Zeter und beschuldigten den muthigen Pater der Gottlosigkeit. Dieser konnte und wollte keinen Schritt zurückweichen, und ein völliger Bruch war vorauszusehen. Der Bruch erfolgte denn auch bald durch seinen vom zwanzigsten September datirten Absagebrief. Die erste Abschrift desselben wurde dem „Temps“ zur Verbreitung eingesendet; zwei andere Abschriften gingen sodann nach Rom ab.

Am zwanzigsten September dieses Jahres hat Pater Hyacinthe mit der Ordenstracht seinen Mönchsnamen abgelegt. Er heißt jetzt wieder Charles Loyson. In diesem Augenblicke befindet er sich in den Vereinigten Staaten; aber noch vor Ende dieses Jahres wird er sich in Rom einfinden, nicht um dort zerknirscht Pater peccavi zu seufzen, sondern seine Ansichten unerschrocken zu verfechten. Er wird diesmal freiwillig nach Rom gehen. Voriges Jahr ist er vom Papste nach der ewigen Stadt citirt worden, um sich gegen die Anklagen zu vertheidigen, welche die ultramontane Partei gegen ihn erhoben. Bevor er sich indessen vor Pius dem Neunten stellte, wohnte er in seiner Ordenstracht den Verhandlungen des italienischen Parlamentes bei, was den Haß seiner Feinde womöglich noch vermehrte. Vergessen wir auch nicht zu erwägen, daß Abbé Loyson, sobald er das traurige Schicksal der Nonne Ubryk vernahm, seine Schwester, die sich ebenfalls im Kloster der Carmeliterinnen befand, aus demselben befreite.

Der große Ruf, dessen sich Abbé Loyson als Kanzelredner erfreut, ist durchaus gerechtfertigt. Das Wort fließt ihm leicht und voll von den Lippen. Seine Stimme ist eben so stark als wohlklingend, und er weiß durch die Kraft der Ueberzeugung seine Zuhörer zu begeistern. Mehrere sonst nicht leicht erregbare Personen haben uns versichert, daß sie durch seine Rede vor den Mitgliedern der Friedensliga im Hery’schen Saale wahrhaft hingerissen worden seien, und daß sie niemals den Eindruck vergessen werden, den diese Rede auf sie hervorgebracht.

Abbé Loyson hat vor Kurzem seinen zweiundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Er ist also ein Mann, der kaum das Schwabenalter zurückgelegt. Seine äußere Erscheinung verräth keine ungewöhnliche Begabung. Er ist stämmig gebaut, und sein großer energischer Kopf sitzt auf sehr breiten Schultern. Die Ascetik des Klosters hat seinen Körper nicht vor der Zeit zerstört. Seine Stirne ist hoch und breit, sein Gesicht voll und derb, und in den Zügen drückt sich mehr Energie als geistige Ueberlegenheit aus; der feingeschlitzte Mund bekundet jedoch den Redner, dessen Wort die Massen zu beherrschen vermag. In der Unterhaltung zeigt sich der Abbé als ein sehr bescheidener Mann, der Andere gern reden läßt und eher lernen als lehren will. Er ist in seinem Urtheil sanft und mild, und seine Sittenreinheit ist so groß, daß auch seine blindesten und abgesagtesten Feinde dieselbe musterhaft nennen.

Die Ultramontanen haben indeß keine Zeit verloren, dem gefährlichen Carmeliter Verdächtigungen und Verleumdungen nachzuschleudern. In einem der wohlfeilen Büchelchen, durch die ihre Presse das Urtheil des Volks zu verwirren sucht, finden wir seinen Lebensgang erzählt und die Triebfedern seiner Handlungen enthüllt. In dieser Sammlung frommer Lügen wird Pater Hyacinthe den Ketzern und Apostaten zugezählt, die der Teufel der Popularität verführt hat. Das Urtheil über einen Menschen seiner Art läßt sich in die Worte zusammenfassen. „Welch’ ein Schuft! (quelle canaille) aber Talent hat er. Die Eigenliebe“ – wir lassen immer den halb geifernden, halb salbungsvollen Feind sprechen – „hat Pater Hyacinthe zu dem Glauben verleitet, daß er Victor Hugo und Lamartine entthronen könne. Vom Schwindel der Eitelkeit erfaßt, ist er mit der Hartnäckigkeit eines castilischen Maulesels dem Abgrunde zugerannt. Er hat sich der Hölle verpfändet, um neue Schrecken, wie die von 1793, heraufzubeschwören, aber Frankreich wird ihm auf diesem Wege nicht folgen. Den Scandal seines Briefes leitete er durch einen anderen Scandal ein, durch die Fortführung seiner Schwester aus dem Kloster. Da haben die österreichischen Juden die einfältige Lüge von Barbara Ubryk erfunden. Pater Hyacinthe wußte und wurde von dem Superior des Klosters seiner Schwester ausdrücklich daran erinnert, daß geisteskranke Nonnen mit der höchsten Milde behandelt und mit der liebevollsten Sorgfalt gepflegt werden. Trotzdem führte er seine Schwester mit sich fort, ‚und am andern Tage erfuhr man, daß die Nonnen von Krakau von den Gerichten freigesprochen worden seien. Die liberalen Zeitungen hatten mithin auf der ganzen Linie gelogen!‘

Die Entsagung seines Predigtamts ist eine Rückkehr zu den Fleischtöpfen Aegyptens: die Fastenspeise ist dem Carmeliter zu mager gewesen. Freilich hat ihm, dem Mann, der Phrase ,die jungfräuliche Reinheit der Wahrheit‘ eben so wenig gefallen können, wie der anspruchsvollen Barbara Ubryk die ‚höchste Milde und liebevollste Sorgfalt ihrer Mitschwestern‘. Aber sein Loos wird schrecklich sein: Gewissensqualen in schlaflosen Nächten und endlich der Sturz in die Finsternisse des Abgrundes, wo er die Protestanten und Juden finden wird, welche die Katholiken umgeben, wie die beiden Schächer den Heiland am Kreuze.“

Also die Frommen über den Pater Hyacinthe, jetzt Herr Loyson. Bereits ist die große Excommunication über ihn ausgesprochen worden.




Schöne Geister und schöne Seelen.
Von E. von Hohenhausen[WS 1].
3.0 W. von Humboldt und die Doctorin Diede.

Am 16. Juli 1846 starb eine einsame alte Frau in einem ärmlichen Hause der Wilhelmshöher Allee zu Cassel; sie war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin und fristete ihr Leben mit ihrer Hände Arbeit und zwar mit einer Arbeit, die eigentlich nur für die Jugend paßte. Zarte künstliche Blumen hatten ihre alten zitternden Hände geschaffen. Aus der Werkstätte des einsamen trauernden Alters ging der zierliche Blumenschmuck hervor, den die lachende Jugend in Gesellschaft und auf Bällen trug. Wie manche Thräne, wie mancher Seufzer der Erinnerung mochte die mühsame Arbeit begleitet haben!

Die arme alte Frau, die Blumen und Kränze flocht, um ihr tägliches Brod zu gewinnen, war auch einst ein junges Mädchen, wohl schöner als die Trägerinnen ihrer Arbeiten; sie war auch glücklich gewesen, aber freilich nur sehr kurze Zeit! Sie war eine Pfarrerstochter, anmuthiger und liebenswürdiger, wie jemals eine solche von den Dichtern damaliger Zeit erfunden und gefeiert worden ist. Durch den Vicar of Wakefield, Voß’ Louisen-Idyll, und selbst Bürger’s Pfarrer von Taubenheim hatten die Pfarrerstöchter einen poetischen Nimbus erhalten, den auch Goethe bei seiner Friederike von Sesenheim als bezaubernd empfand.

Die arme alte Blumenmacherin hieß Charlotte Hildebrand, ihr Vater war ein wohlhabender Pfarrer im Hannoverschen; sie hatte eine sorgfältige Erziehung, eine beinahe gelehrte Bildung empfangen. Mit neunzehn Jahren schwärmte sie für’s „Wahre, Gute und Schöne“, las philosophische Schriften, dichtete und sehnte sich nach einer idealen Freundschaft. Sie lebte auf dem schönen Stückchen Erde, welches durch das Wesergebirge gebildet wird. Die lieblichen Bergschluchten, die saftgrünen Wiesen, die Eichkämpe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: F. von Hohenhausen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_716.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)