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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Hüft- oder Jagdhörner aus Messing mit schönen Schmucksteinornamenten, die den seltensten und geschichtlich merkwürdigsten Exemplaren des historischen Museums bis in die kleinste Einzelheit getreu nachgeformt waren. Auch die Collection der prachtvollsten Fahnen, unter denen zumal die ganz neuerdings erst mit großen Kosten hergestellten Innungsfahnen aus Richard Wagner’s Meistersingern zu nennen sind, dürfte als höchst ansehnlich gelten. Alle diese Schätze, – so kann man sie mit Fug und Recht bezeichnen – haben nun die unerbittlichen Flammen verschlungen, oder doch im günstigsten Falle schwer beschädigt; dicht aneinander gepreßt und übereinander geschichtet standen, hingen und lagen sie im engsten Locale zusammen, unmittelbar neben dem mit Coulissen und Decorationstücken vollgepfropften Concertsaale, so daß an eine Rettung des Besitzes nicht gedacht werden konnte.

Der Verlust des Theatermeublements – darunter die theuersten Geräthe aller Stylarten, von der griechischen bis zur allermodernsten – der Vasen, Gefäße, Trinkgeschirre und der übrigen in diese Kategorie schlagenden Requisiten mag sich auf mindestens zwölftausend Thaler belaufen, und in den verbrannten – Perrücken ist das ganz erkleckliche Capital von etwa zweitausendfünfhundert Thalern zu Grunde gegangen. Wie mancher Monat wird verstreichen müssen, ehe Schneider, Klempner, Gürtler, Stahl- und Lederarbeiter, Schreiner und Haarkräusler und noch andere Handwerker und Künstler, die, wie ich mich selbst überzeugte, bereits die Hand ans Werk legen, nur das Nothdürftigste dieser Coulissenerfordernisse wieder angefertigt haben! Um eine Sammlung aber von nur annähernder Vollständigkeit zu besitzen, wird es der jahrelangen Thätigkeit und Umsicht des kenntnißreichen Theaterbeamten bedürfen, dessen Freundlichkeit ich diese Details verdanke.

Wohl jedes einzelne Bühnenmitglied ist von dem Unglück materiell mit betroffen worden, indessen sind diese Verluste im Allgemeinen nicht sehr erheblicher Natur, und was die Dresdener Localpresse in den ersten Tagen nach dem Brande darüber mitgetheilt, hat sich inzwischen als ziemlich übertrieben herausgestellt – es müßte denn der Verlust einiger Theaterperrücken, welchen ein bekannter Charakterdarsteller zu beklagen haben soll, für eine ihn schwer heimsuchende Calamität gelten. –

Möge recht bald neues Leben aus den Ruinen blühen! Wer theilte ihn nicht, diesen augenblicklichen Hauptwunsch der reizenden Elbresidenz, wo jetzt jeder Tag neue Projecte gebiert, wie und wo der dramatischen Kunst das geeignetste Interimszelt aufzuschlagen ist? Wo aber auch nach Jahren einst der feste neue Musentempel stehen möge: die Stätte, auf welcher die unvergeßliche, die große Wilhelmine Schröder viele Jahre lang ihre eigentliche Kunstheimath fand, zu der sie nach ihren Siegesläufen durch Europa wieder und immer wieder mit alter Lust zurückkehrte, wo sie jedem Ton und jedem Blick ihr reiches Herz geschenkt, wo sie die unvergänglichen Gestalten ihres Fidelio und Romeo, ihrer Agathe und Euryanthe, ihrer Donna Anna und Norma geschaffen; die Stätte, auf welcher Emil Devrient durch seinen Posa, seinen Tasso, seinen Hamlet entzückt und begeistert; wo Joseph Tichatschek sich den unbestrittenen Ruhm als erster deutscher Heldentenor ersungen hat; die eine Marie Beyer-Bürk, einen Bogumil Dawison, eine Franziska Berg, einen Eduard Winger, einen Friedrich Porth, einen Anton Mitterwurzer und noch viele, viele andere Namen vom hellsten Klange zu den Ihrigen zählen durfte – die Stätte lebt „eingeweiht für alle Zeiten“ ewig fort in der Erinnerung der Menschen.




Blätter und Blüthen.

Noch einmal der heilige Herr. Nicht wenige unserer Leser werden sich der interessanten Mittheilungen erinnern, welche die Gartenlaube im Jahre 1865 über die geheimnißvolle Person des sogenannten „Polenfürsten“ Frank, dieses angebetete Haupt einer jüdisch-christlichen Schwärmer-Secte gebracht, der in den Jahren 1788–91 mit fast königlichem Aufwande und einem Gefolge von vielen Hunderten in Offenbach gelebt und dort sein Grab gefunden hat. Das Dunkel, welches die jedenfalls imposante Erscheinung Frank’s und die Lehren, Zwecke und Gebräuche jener von ihm zwar nicht gestifteten, aber unstreitig beherrschten und an seine Person gefesselten Secte der Sabbathianer umgab, ist bis heut noch nicht gelichtet worden. Obwohl der Artikel der Gartenlaube neue Forschungen über den merkwürdigen und für die Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts höchst bezeichnenden Vorgang angeregt und eine ganze Broschüren-Literatur hervorgerufen hat, weiß man doch noch immer nicht, ob Frank ein ehrlicher Schwärmer oder ein Betrüger oder Beides zugleich gewesen, ob der Ursprung der ungeheuren Geldmittel, über die er bis zu seinem Ende verfügt, nur in den unablässig ihm zufließenden Steuern und Spenden seines schweigsamen, in Polen, Ungarn, Böhmen und Mähren nach Tausenden zählenden Anhanges oder in der Scandalchronik eines europäischen Hofes zu suchen ist. Eines schließt übrigens das Andere nicht aus.[1]

Nach der Ansicht des Dr. Graez, des neuesten scharfsinnigen Geschichtsschreibers der Juden, der erst kürzlich eine gelehrte Abhandlung über den Gegenstand veröffentlicht hat, unterläge es keinem Zweifel, daß der sogenannte „heilige Herr“ nur ein heuchlerischer Schwindler war, der das in den jüdischen Gemeinden vorhandene Gift des kabbalistisch-mystischen Aberglaubens zu seinem Vortheile und zur Befriedigung seiner Herrschsucht und Sinnenlust auszubeuten wußte. Gegen diese Auffassung aber tritt neuerdings Herr Schenck-Rinck in Frankfurt mit einem Broschürchen auf, dessen Einwendungen sich auf persönliche Erinnerungen oder Familientraditionen stützen. Herr Schenck-Rinck scheint das Geheimniß des „Baron von Frank“ und seines fürstlichen Luxus allein in dem noch unaufgeklärten Zusammenhange desselben mit Geheimnissen des russischen Hofes suchen, dagegen aber Frank’s Stellung als Haupt einer jüdischen Secte, ja sogar seine und seines Gefolges jüdische Abstammung in Frage stellen zu wollen. Diese letzteren Zweifel sind offenbar unbegründet, es widersprechen ihnen u. A. schon die Traditionen, welche noch vor dreißig Jahren in den jüdischen Gemeinden lebten. Die deutsche Judenheit war im Ganzen, trotz ihrer Gedrücktheit, von jener abenteuerlichen Mißgeburt des Erlösungsbedürfnisses nur wenig berührt, aber man wußte auch in unsern Gegenden davon, und der Schreiber dieser Zeilen hat selbst in seiner Jugend betagte Israeliten von dem einstmaligen Treiben dieses Frank und der ihm anhängenden Sabbathianer (eigentlich Schabatianer oder kurz Schabsi’s) als von einer auf orientalisch-slavischem Boden erzeugten scandalösen Ausartung innerhalb der jüdischen Welt erzählen hören.

Daß diese Frankisten oder ehemaligen Sabbathianer nicht blos theilweise äußerlich zum Christenthum übergegangen, sondern hie und da ungetauft in den jüdischen Gemeinden lebten, stand gleichfalls außer Zweifel, ja es wurde sogar diese und jene hervorragende Familie bezeichnet, auf welcher der Verdacht dieses heimlichen Zusammenhanges ruhete. Wie es damit gegenwärtig in außerdeutschen Ländern steht, können wir nicht sagen. Daß die Sache aber eine wirkliche Erscheinung und kein Märchen gewesen und daß ihre Erforschung für manche heut noch lebende Zeitgenossen ein sehr nahe liegendes Interesse haben mag, ist uns erst kürzlich aus einem dem Redacteur der Gartenlaube zugegangenen Briefe ersichtlich geworden, dessen mehrseitig überaus interessanten Inhalt wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wollen. Der Brief ist aus Glasgow 24. Februar d. J. datirt und lautet:

„Nach vieljähriger Abwesenheit aus Europa bin ich vor kurzem hier eingetroffen und habe, um mich einigermaßen wieder in deutschen Verhältnissen zu orientiren, einige Jahrgänge Ihrer Gartenlaube durchblättert. Ich finde darin unter Anderem in den Jahrgängen 1865 und 1867 einige Aufsätze, welche den ‚heiligen Herrn‘ oder ‚die Bewegung der Frankisten‘ zum Vorwurf haben. Ich erachte es als eine Pflicht im Dienste der historischen Wissenschaft, auf diejenigen lebendigen Quellen hinzuweisen, die möglicherweise über die Frage Aufschluß geben könnten.

Ich selbst stamme aus einer in Mähren seßhaften Judenfamilie, die zur Zeit des Uebertrittes Frank’s gleichfalls theilweise zum Katholicismus übertrat. Mein Vater war damals noch ein junger Bursche, heirathete dann später eine Fleischerstochter aus einer slavisch-katholischen Familie, die ihm zu Zeiten seine jüdische Abkunft hart entgelten ließ. Ich selbst wurde, natürlich als kleines Kind, wenige Tage nach meiner Geburt getauft und principiell von Allem fern gehalten, was mit Juden zusammenhing. Meine Mutter erzog mich geradezu zur Judenfresserei. Natürlich that ich mit, wo auf Juden losgegangen wurde, bis ich eines Tages merkte, wie jedes Lästerwort meinen armen Vater schmerzte. Dieses edle blasse Duldergesicht zuckte schmerzlich und – schwieg. Ich hing, im Gegensatz zu anderen Kindern, mehr am sanfteren Vater als an der heftigen Mutter, und als ich unsere Dorfschule verließ und auf’s Gymnasium in Olmütz geschickt wurde, merkten meine Mitbuben, daß meine Züge das Gepräge orientalischer Abkunft trugen, und plötzlich verbreitete sich durch einen Judenknaben, der aus demselben Ghetto kam, aus welchem mein Vater abstammte, und der also meinen Namen vom Hörensagen kannte, das Gerücht, ich sei ein ‚Jud‘.

Ich hatte keine Ahnung davon, was an der Sache Wahres sei, und hieb anfänglich um mich; als jedoch am nächsten Samstag mein Vater nach Olmütz zu Markte kam, erzählte ich ihm weinend, welche grundlose

Unbill mir widerfahren. Mein Vater seufzte tief und erzählte mir, daß

  1. Ganz neuerdings ist sogar in einem aus Moskau uns zugegangenen Briefe die seltsame Vermuthung ausgesprochen worden, daß Frank vielleicht mit jener im Januar dieses Jahres in Rußland entdeckten, ihre Mitglieder bekanntlich verstümmelnden Secte der Scopzen zusammengehangen habe, die ihre Begründung bis in die Zeit des Kaisers Peter des Dritten zurückführt, ihr Thun und Treiben gleichfalls in tiefes Geheimniß hüllt, aber notorisch über große Reichthümer verfügte. Wir erwähnen dies, weil es beweist, wie vielseitig die Mysterien des Offenbacher Hofhalts noch immer die Aufmerksamkeit beschäftigen. Der Annahme selber widersprechen alle Thatsachen, vor Allem der Umstand, daß Frank und seine Anhänger zahlreiche Nachkommenschaft besaßen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_673.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)