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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Großen gemeinlich ausgiebt, ist im Besitze des Herrn Linck, früheren Gasthalters zur Lilie in St. Goar. Er ist mit den Bildnissen Karl’s des Großen und seiner zwei Söhne Karl und Pipin geschmückt und ganz in getriebener Arbeit ausgeführt.

Zweifelhaft ist die Annahme, daß der Pocal von Karl dem Großen stamme, unzweifelhaft ist aber, daß wir es hier mit einer uralten interessanten Episode rheinischer Geschichte zu thun haben.

Ueber die Gründung und den Ursprung des Ordens geben nach dem verdienstvollen Historiographien der Stadt St. Goar, Al. Grebel, die Matrikelbücher folgende Auskunft:

„Als Karl der Große das Königreich zwischen seinen Söhnen Karl und Pipin theilen wollte, ward Pipin über den älteren Bruder so ergrimmt, daß er ihn drei Jahre lang verfolgte. Bei Gelegenheit einer Reise Karl’s des Großen den Rhein hinab trafen beide Bruder in der Capelle des heiligen Goar zusammen und Pipin war eben im Begriff, den Bruder zu tödten, als ,Gott und der heilige Goar’ den Haß und Bruderzwist plötzlich in Liebe und Freundschaft verwandelten, so daß sie sich vor Freude umarmt und dem Vater nachgeeilt seien, der sie, glücklich über die plötzliche Versöhnung, mit Jubel empfing. Zum Andenken an die Wiedervereinigung seiner Söhne stiftete Karl eine bedeutende Summe zum Besten des Hospitals in St. Goar und zur Verpflegung mittelloser Reisenden und schenkte er der Stadt das mehrerwähnte Halsband.“

Eine Stiftung Karl’s des Großen aus Freude über die Versöhnung seiner Söhne scheint historisch begründet zu sein. Muthmaßlich hat eben diese Stiftung die Veranlassung zur Gründung des Ordens gegeben, da auch hier die Unterstützung armer Reisender Hauptzweck war. Winkelmann’s hessische Chronik vom Jahre 1697, Dr. Brown’s Reisebeschreibung von 1668 und der Chronist Lucä um 1654 erwähnen den Orden als schon seit dem dreizehnten Jahrhundert bestehend, und im Jahre 1480, bei Gelegenheit der Aufnahme des hessischen Commandanten von Rheipfels, Volpert Schenck zu Schweinsberg, wird des Verhansens als eines uralten Gebrauches gedacht. Dies widerlegt die Annahme, als habe erst Karl der Fünfte den Orden gestiftet.

Die Matrikelbücher (Hansebücher) des Ordens enthielten absonderliche Artikel in Knittelversen abgefaßt, welche im Jahre 1627 „auf Cantate im Namen Georg’s des Zweiten, Landgrafen von Hessen, von Johann Wölfen zu Wietelshausen, genannt Schrautenbach, Rittern und der römischem kaiserlichen Majestät Kämmerer bestätigt worden“, so daß jeder Kaufmann, der die Märkte von Sanct Goar bezog, keine Waare feil bieten durfte, „er habe sich denn vorher verhansen lassen“. Generallieutenant von Mansbach war der letzte Commandant von Rheinfels, der sich mit seinem gesammten Officiercorps am 19. August 1750 in den Orden aufnehmen ließ. Der Gebrauch erhielt sich bis über die Zeit der französischen Invasion hinaus; während derselben trat bei dem Gesundheittrinken an die Stelle Karl’s des Großen der Name – Napoleon’s! Das Halsband verschwand in den Unruhen des Revolutionskriegs, und der Beginn der Dampfschifffahrt auf dem Rhein bezeichnet das Ende des Gebrauchs. Aufnahmen sind seit dem 2. Juli 1824, dem 27. März 1828 und dem 23. April 1835 nicht mehr vorgekommen – die letzten Unterzeichner in den Matrikelbüchern sind – Bonner Studenten, und zwar Alfred Piper aus Demgarten in Neuvorpommern, Carl von Pressentin aus Dömitz und Heinrich Sthamer aus Neubacker in Mecklenburg-Schwerin.

Die Matrikelbücher sind jetzt im Besitze des Gasthalters Wenzel zur Lilie, der heute noch die Hansebücher von 1713 an und die erwähnte alte Krone aufbewahrt, welche bei der Ceremonie diente.

Simrock erklärte das Wort „verhansen“ durch die erzwungene Aufnahme der Krämer und Verkäufer in die Innung der Sanct Goarer Kaufleute, die sich mit gleichem Rechte wie der große Hansabund, zu dem auch Sanct Goar gehörte, eine Hanse, einen Verein, nannte. Der neckische Charakter der Aufnahme in den Orden hat nach desselben Forschers-Meinung dem Worte „hänseln“ den Ursprung gegeben.

Der Orden hat seinen eigenen Historiographen in Johann Ludwig Knoch, Leiningen-Westerburg’schem Archivrath und Kanzleidirector gefunden, welcher 1767 eine „Historische Abhandlung vom Herkommen des alten Hanß- Bursch- oder Halsbands-Ordens zu Sanct Goar am Rhein und dessen annoch üblicher Ceremonie, aus glaubwürdigem Nachrichten in möglicher Kürze (anderthalben Bogen stark) zusammengezogen“, veröffentlichte.

Von ausländischen Schriftstellern ist der Orden und seine Bestrebungen oft mißverstanden worden; wie hätte auch eine andere Nation das richtige Verständniß für derartigen neckischen Humor, der immerhin in dem Gebrauche wurzelte? So schreibt Blainville, ein Engländer, die Einwohner von Sanct Goar hätten sich dieses Halsbandes nur bedient, um „auf eine sehr abgeschmackte Art die Fremden um Geld zu schneuzen“. Merkwürdig, daß gerade ein Engländer diesen Vorwurf ausspricht, da nirgends der Unsitte der Trinkgeldererhebung von Seiten dienstbarer Geister mehr gefröhnt wurde und wird, als in England.

Für die Geschichte des Handels im Mittelalter ist das bereits erwähnte Actenstück, ausgestellt „uff Cantate Anno 1627 von Johann Schrautenbach, Ritter und Oberamtmann zu Wietelshausen (Weitelshausen, im Auftrage des Landgrafen Georg des Zweiten von, Hessen Darmstadt“ höchst interessant. Es schrieb strenge die Aufnahme für jeden Kaufmann oder Krämer, der Sanct Goar besuchte, vor und setzte nicht unwesentliche Strafen in dreizehn Artikeln fest. So mußte sich Jeder eines guten Wandels befleißigen bei siebenundzwanzig Albus und drei Albus (Weißpfennig, eine Silbermünze) Strafe. Fluchen und Lästern war bei zwei Gulden und höherer Strafe für jedes Mitglied des Burschbands verpönt. Wer den Vorschriften des Schultheißen oder Hansemeisters nicht folgte, zahlte einen Albus, bei der zweiten Widersetzlichkeit zwei Albus. Wer Stangen oder sonstige Gegenstände zur Aufbauung seines Krams entlehnte und nicht pünktlich zurückerstattete, zwölf Albus und gebührende Entschädigung. Wer eines Andern Stand beengte oder beschädigte, büßte mit zwei Gulden. Streng verboten war falsch Gewicht oder falsche Elle. Die Strafe wurde von der Obrigkeit und dem Hansemeister erkannt. Gegenseitiges Schelten der Mitglieder des Burschbands wurde mit Verbot des Feilhaltens geahndet, ebenso durfte kein Krämer feilhalten, „der mit einer Dirne umbher zeucht“. Am sonderbarsten sind die Artikel, welche bei zwei Gulden Strafe und mehr verbieten, die Würde „eines Schultheiß, Hansemeister, Caplan, Schreiber oder Burschbands-Diener“ abzulehnen. Auch durfte bei sechs Albus Strafe kein Mitglied des Ordens ein anderes „von seinem Kram abrufen oder winken, sondern blos mit ihm reden, wenn er von ihme oder seinem Krame ginge!“ Strafen, welche durch den Schultheiß und die Hansemeister erkannt wurden, waren unumstößlich; nur auf eine persönliche Bitte und gegen Zahlung eines „halben Viertel Weins“ konnte eine Strafe gelindert werden.

Außer diesen Vorschriften enthält das Actenstück noch Bestimmungen, welche Waaren mit „schwer Gewicht“ und welche mit „Silbergewicht“ gewogen werden durften.

Große Aufregung rief eine Verordnung des Amtmanns Hermann Cappins im Jahre 1665 hervor. Er ließ eine leichtfertige Dirne zur Strafe an dem Halseisen anschließen und benutzte das Burschband als Pranger. Der Stadtrath führte darauf Klage bei der Justizcanzlei, indem er vorstellte, wie unschicklich es sei, das Halsband in Sanct Goar, „an dem Kaiser Karl der Fünfte und so viele andere Fürsten gestanden hätten“, zu so entehrender Bestrafung zu mißbrauchen. Die Justizcanzlei verordnete durch Decret vom 29. März 1665, daß in Zukunft leichtfertige Dirnen statt am Halse an den Füßen geschlossen und anderwärts ausgestellt werden sollten.

Wir haben uns gern der Mühe unterzogen, diese für die vielen kaufmännischen Leser der Gartenlaube gewiß nicht uninteressanten Mittheilungen aus den rheinischen Chroniken zusammenzutragen, da sie immerhin ein Stück Handels- und Verkehrsleben früherer Zeiten beleuchten.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_239.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)