Seite:Die Gartenlaube (1868) 174.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

bei Berchtesgaden, und es mag denen, die zur Nacht nach Bartholomä hinüberfahren, wohl schreckenvoll zu Muthe sein, wenn es stöhnt und kracht und der himmelhohe Watzmann seine Schatten über das blanke Eisfeld wirft. Wir mir erzählt ward, ist auch einst Roß und Wagen hier versunken, als sie des Abends von einem Festschmaus heimkehrten, und nur wie durch Wunder sind der Knecht und die Frauen gerettet worden. Auch am Chiemsee ist Einer entronnen, der meilenlang zwischen Tod und Leben ging. Im März, als der See mit Schnee bedeckt und das Eis darunter schon so mürbe war, daß Niemand mehr es zu betreten wagte, ging ein italienischer Bilderhändler, der keine Ahnung von einem See hatte, schnurgerad auf die Fraueninsel los und trug Gepäck von mehr als einem Centner mit sich. Drüben sahen sie ihn kommen und riefen ihm zu, daß er unter brechendem Eise sei. Es mag wohl ein Henkersgang gewesen sein, bis er die Insel erreichte! –

Was hätte wohl die Tante geseufzt, wenn sie mich bei der Bergpartie auf die Bodenspitze gesehen hätte, bei sechs Fuß Schnee und sechszehn Grad Kälte! – Welcher Unsinn! …

Diesmal war’s blauer Himmel und wir stiegen an der Westseite empor, wo der Berg so steil und felsig ist, daß kein Schnee sich halten kann. Der kommt erst auf der zweiten Etage, auf der Beletage, wo man die schöne Aussicht hat, wo im Sommer der grüne Sammetteppich liegt, statt nackter steinerner Staffeln. Blendend hell lag die Mittagsonne über den weißen Matten, todtenstill lag die Welt im Thal Darunter. Ein Jäger geleitete mich, sonst war kein menschliches Wesen sichtbar; nur die langen tiefgetretenen Spuren des Wildes sah man im Schnee, wo das Füchslein vorbeihuscht und das scheue Birkhuhn flattert. Auch für das Ohr ist es eine grauenhafte Oede. Wenn das Rollen der Steine aufhört, wird es athemlos stille. Der Berggeist schläft. Durch die hundertjährigen Tannen aber fährt der Wind mit kurzen Stößen, und das sind die Athemzüge des Schlafenden – die kolossalen Stoßseufzer der Natur. Andächtig entzückt – demüthig stand ich in diesem winterlichen Tannenwald und horchte. – Wie gebleichtes Greisenhaar hing das lange fahle Waldhaar von den Aesten, und die Aeste stöhnten und streckten sich im Winterschlaf. Wenn dann der. Wind vorüberfuhr, dann wurden alle Töne wach vom feinsten Flötenklang bis zum wilden Posaunenstoß. Jeder Stamm ist ein Glied in der Riesenorgel der Natur, und die Musik, die aus ihr erschallt, ist das ewige Lied vom Werden und Vergehen. Die Tiefe der Jahrhunderte liegt in diesem Gesang – es ist die „neunte Symphonie“ des Waldes.

Droben auf der Spitze machte der Wind die Honneurs und nahm mir Hut und Mantel ab, ehe ich mich’s nur versah. Hier oben sieht man hinunter auf drei Seegebiete, vor Allem auf den Tegernsee, den ein leises Nebelgrau umschleierte. Blau und lustig lachte der Schliersee herüber, aber der Spitzing lag unten wie ein öder melancholischer Gedanke.

Mir war als blickten mich drei Freunde mit verschiedenem Blicke an, und das berühmte Gedicht des Mirza Schaffy von den Augen ging mir durch die Seele:

Ein graues Auge
Ein schlaues Auge,
Des Auges Bläue
Bedeutet Treue,
Aber des schwarzen Aug’s Gefunkel
Das ist, wie Gottes Wege, dunkel.

Der ganze ungeheuere Bergkessel lag da wie ein verschneites Grab, und die Almhütten schauten kaum mit den Dächern hervor. Kein Juhschrei scholl; kein Läuten tönte. Im Sommer ist da unten lustiges Leben, wenn die Matten rings um den schwarzen Bergsee grünen und die Alpenglocken so lieblich klingen. In diesen Tagen entfesseln sich dann die ganzen Wunder der Bergespracht, da liegt die Junischwüle mit ihrem blauen summenden Zauber auf diesen Wäldern, da schaut der Hirsch in die Mondnacht hinauf, und Jäger und Wildschütz schleichen auf heimlichen verschlungenen Pfaden. Lustig flackert vom kleinen Alpenheerd das Heimgartfeuer und der tönende Jodler verhallt in blauen Fernen. Ist dies dasselbe Land? Jetzt giebt es nur zwei Farben in der Natur, das tiefe Schwarz der Wälder und das blendend weiße Schneefeld; die ganze Scala der Nuancen, die milden reichen Stufen des Grünen fehlen. Die Landschaft hat etwas peinlich Schroffes, sie tritt uns entgegen wie ein Mensch, dessen Wesen immer zu den Extremen greift, dem die feingemischten wohlthuenden Mitteltöne fehlen.

Unter uns sauste ein Rudel Gemsen vorüber, die unser Anblick in die Flucht geschlagen. Aber die Flucht war so disciplinirt, so strategisch geschickt, daß sie mancher Compagnie zum Vorbild dienen dürfte.

Früh kamen die tiefen blauen Schatten des Nachmittags und bis an den Hüften im Schnee kletterten wir den Grat entlang, um auf der höchsten Spitze die Feierstunde zu erleben, wo der Tag zum Abend wird, wo die Nacht geheimnißvoll heraufsteigt. Diese Secunden sind die zartesten im Menschenleben, wie im Leben der Natur. Immer schwärzer ward der Spitzingsee, das schwarze Auge, immer enger zog sich das rosenfarbene trügerische Strahlennetz um die Häupter der Berge. Nur noch die obersten Gipfel glühten, sie flehten mit brennender Stirn um den Tag, um das Leben! Dann verzogen sich ihre Züge – auch die Berge haben ein Antlitz und dies Antlitz erbleichte. Nie hab’ ich die Nacht so kommen sehen – ich hielt den Athem an wie vor einem Sterbebette. Ein Raubvogel schwebte gewaltig durch die Dämmerung; fernhin tönte dumpf das Echo eines Schusses aus dem Thale. Durch den verschneiten Berghang stiegen wir hinab über Stämme und Felsblöcke, über Schnee- und Eiswüsten. Hinter den Riesenzinken der Rothen Wand aber klimmte der Mond empor, und der funkelte mit seinem grünen Lichte und blitzte so verführerisch, als wollt’ er sagen: Was ist aller Tag vor meiner Herrlichkeit! Ein Singen und Summen scholl in Felsen und Tannen, daß mir ganz bange ward. Durch jede Mondnacht tönt ein Sirenengesang.

Carl Stieler.





Die Freundin eines edlen Menschen.

Von Ludwig Kalisch.

Der Einfluß edler Frauen auf hochbegabte Männer gehört zu den wohlthuendsten Erscheinungen in Literatur und Kunst, in der Geschichte und im Leben der Gegenwart. Unsere großen Dichter, unsere gepriesensten Künstler und Weisen stimmen überein in der Anerkennung dieser heilvollen Wirksamkeit, die in Goethe’s Spruch gipfelt: „Das Ewigweibliche zieht uns hinan!“ Ein solches Emporziehen aus dem sich selbst genügenden Dahinleben zu seinem so bedeutenden schriftstellerischen Berufe hat auch Ludwig Börne, der berühmte geist- und charaktervolle, freisinnige Publicity, erfahren, und wir begehen nur eine Erinnerungsfeier der Dankbarkeit, wenn wir unseren Lesern das Bild der Frau vorführen, die mit ihrem Herzen den Geist eines Börne zur Tatkraft zu erheben und bis an sein Ende zu stärken und zu erquicken vermochte.

Ich lernte Madame Strauß, die Freundin Börnes, im Jahre 1849 kennen. Sie lebte damals sehr zurückgezogen in Fauteuil, jenem als Lieblingssitz vieler ausgezeichneter Geister weltberühmt gewordenen Dorfe am Eingang zum Boulogner Wäldchen bei Paris, und empfing nur einige Freunde und politische Gesinnungsgenossen. Ich muß gestehen, daß mein erster Besuch bei ihr mich etwas enttäuschte. Ich hatte mir eine von Geist sprudelnde Dame vorgestellt, deren Unterhaltung wie ein Raketenfeuer prasseln würde, ich sah aber nur eine Frau, die im Gespräch mehr sich als Andere belehren wollte und die in ihren Bemerkungen eine sehr warme Empfindung, doch nichts weniger als einen lebhaften Geist verriet. Sie befragte mich viel über die deutschen Zustände und äußerte dabei, sie habe eine große Freude empfunden, als sie in den Blättern gelesen, daß in den Märztagen die in Frankfurt versammelte Jugend eine Ehrenwache vor Börnes Geburtshaus gestellt. Börne war der Ausgangspunkt, war der Zielpunkt aller ihrer Gespräche. Sie bezog Alles auf ihn, sie leitete Alles von ihm ab. Sie lebte nur in der Erinnerung an ihn, und diese Erinnerung ließ sie das Leben ertragen.

Mein erster Besuch bei ihr, der mehrere Stunden gedauert


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_174.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)