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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

sogenannte Grundeis sich an einer Brücke oder an einer starken Krümmung etc. stellt. Geschieht dies nun wie gewöhnlich ziemlich weit unten, weil erst viel Treibeis aus Nebenflüssen und Bächen zusammengeführt sein muß, bis die Masse so groß ist, um sich zu stellen (deshalb stellt sich auch der Rhein vor dem Main), so setzt sich das Treibeis, Stoß auf Stoß anrückend, aufwärts an und bildet für den oberflächlichen Blick eine rauhe schollige Fläche. Allein durch den Proceß des Sichstellens, welcher das Weiterfließen des nachfolgenden Grundeises verhindert, wird dieses unter die Eisdecke, zuweilen bis auf den Grund geschoben und es entsteht eine partielle, zeitweise Stauung des Wassers, welche bewirkt, daß die Eisdecke in der Mitte des Flusses gehoben wird und das sogenannte Schwellwasser an beiden Ufern mehr oder weniger über die rauhe Eisfläche tritt. Hält nun die Kälte an, so ist dieses Schwellwasser in einer, längstens zwei Nächten fest gefroren und bietet eine je nach den Umständen breite oder schmale, spiegelglatte Eisbahn längs den Ufern dar.

Ganz besonders günstig tritt diese Erscheinung zu Tage, wo zum Zwecke von Flußcorrectionen sogenannte Buhnen oder Querdämme in den Fluß gebaut sind, weil diese die Bildung größerer glatter Flächen erleichtern. Manchmal hört allerdings auf dem einen Ufer die glatte Bahn auf, und man muß mit einiger Mühe das andere Ufer gewinnen, oder auch einmal die Schlittschuhe abschnallen, oft ist aber durch eine kleine Nachhülfe durch Schruppen und Begießen, was ein Verein ja leicht bewerkstelligen kann, die Verbindung herzustellen. Wir haben dies öfters in Frankfurt a. M. machen lassen, um eine ununterbrochene Bahn von mehreren Stunden zu gewinnen. In vielen Wintern ist schon von Natur eine ununterbrochene Spiegelbahn auf Meilen weit, einmal breiter, einmal schmäler, vorhanden. Die Ursache aber, warum dieser Umstand so wenig bekannt war und ist, rührt daher, daß meist, von Weitem betrachtet, nur die Hauptmasse des Flußbettes in die Augen fällt und man da nur Scholleneis sieht; daß die glatten Stellen nicht immer gerade in Nähe der Stadt und die in die Augen fallendsten sind; daß man in der Regel nur in dieser Nähe untersucht, und endlich, weil die meisten Schlittschuhläufer ein genügsames geselliges Völkchen sind, die sich mit einem schmalen Winkelchen zufrieden geben, wenn sie nur Gesellschaft haben. Deshalb bringt die Gründung von Eisclubs, wie in London, Glasgow, Frankfurt, New-York, Bern, stets reges Leben und Unternehmungslust hervor.

Es giebt wenig reinere und erheiterndere Vergnügungen, als Eisexpeditionen auf Flüssen, welche die Zurücklegung ganzer Tagereisen gestatten. Schon die Untersuchung der Haltbarkeit des Eises und der Gangbarkeit der Bahn, welche nothwendig ist bei einer jungfräulichen Decke, nimmt große Aufmerksamkeit und reges Interesse in Anspruch, so daß uns ein Gefühl beschleicht, fast wie bei einer Entdeckungsreise. Gutes Geschirr ist da die Hauptsache. Nachdem der Schlittschuh Jahrhunderte lang seine Form nicht geändert hatte und eigentlich nur zwei Sorten, der glatte friesische oder holländische mit langem Schnabel und der gewöhnliche geriefte, bekannt waren, haben die Nordamerikaner in neuerer Zeit eine Menge Erfindungen gemacht, aus denen sich nunmehr ein wirklicher Normalschlittschuh, der jetzt gewöhnlich ohne Schnabel fabricirt wird[1], herausentwickelt hat und aus dem besten Stahl von Parker und Thompson in Sheffield, sonst aber auch ganz gut und billiger von Remscheider Fabriken hergestellt wird.

Ich kann mich einiger Erfahrung in dieser Beziehung rühmen, da ich mir selbst schon über ein Dutzend Schlittschuhe nach selbst angegebener Form habe fertigen lassen, um alle möglichen Experimente zu machen, die zuweilen oft komisch ausgefallen sind, wenn ich über die mathematischen Linien zu wenig nachgedacht hatte. Auch die Anschnallmethode ist jetzt, nach allmählichem Abschaffen der dicken Ringe der Klappen, welche die Knöchel unsäglich zu martern pflegten und nicht wenig dazu beitrugen, das Schlittschuhfahren zur Qual und unpopulär zu machen, eine befriedigende geworden, so daß auch die Damen in allen größeren cisalpinischen Städten anfangen, am Eislaufe Theil zu nehmen und dazu beitragen, die köstliche Uebung zu einem wahren Volksfeste zu gestalten.

Für Damen, welche das Schlittschuhlaufen lernen wollen, hat man in New-York Gestelle auf Schlitten, ähnlich den auf kleinen Rädern befindlichen Gestellen, an denen bei uns die Kinder laufen lernen. In diesen Gestellen stehend, können sie sich auf beiden Seiten mit den Händen stützen und so das Fahren ohne weitere Beihülfe lernen. Einen ähnlichen Erleichterungsapparat für Lehrlinge der edlen Kunst hat unlängst ein englischer Freund und Prakticus des Eislaufs, ein Mr. Berney in der Grafschaft Norfolk, erfunden. Es ist dies das Gestelle, welches die eine der umstehenden Abbildungen darstellt und das sich vor den erwähnten amerikanischen Schlittschuhlaufgestellen durch die außerordentliche Sicherheit auszeichnet; das breite Querbret verhindert jedes Ausgleiten nach vorn und damit das sonst so häufige Fallen nach rückwärts, während die langen schräg nach außen gerichteten Seitenlattenstücke, die nicht etwa auf dem Eise schleifen, sondern etwa in Zollhöhe frei darüber schweben, das Ganze im nothwendigen Gleichgewichte halten.

Das zweite Erforderniß, außer guten Schlittschuhen, ist bei ununtersuchtem Eis ein Stock mit einfacher Zwinge ohne Stachel, so schwer, daß man sich darauf stützen kann. Um die Festigkeit des Eises zu erproben, stößt man den Stock mit aller Kraft auf das Eis. Hält dieses den Stoß aus, ohne daß es ein Loch giebt, so trägt es auch den Mann, denn dem schmalen Durchmesser des Stockes kann die Eisrinde weniger Widerstand leisten. Bricht der Stab durch, so soll man das Eis nicht betreten. Diese Methode ist probat. Ehe ich sie anwendete, brach ich in jedem Winter mehrmals, oft sehr lebensgefährlich, ein, mit dem Stock nie mehr. Alle Eltern und Lehrer sollten deshalb den Kindern einschärfen, für den Eisgang starke Stöcke zum Erproben der Dicke der Eisdecke mitzunehmen; es würde dadurch manches Menschenleben geschont. Hat man bei einer größeren Expedition das Eis einmal an verschiedenen Stellen in dieser Weise erprobt, dann kann man in der Regel sich auch auf das Auge verlassen, weil dieses bei einiger Uebung leicht unterscheiden kann, ob das übrige Eis von gleichem Alter ist. Einnächtiges Eis betrete man nie, weil es, sollte es auch mehrere Personen und Kinder tragen, für eine größere Menge nicht hält. Je größer die zu erwartende Menschenmasse und je geringer die Kälte, desto länger muß man natürlich warten, bis man die Eisdecke betritt.

Mir wird für mein ganzes Leben eine Fahrt auf dem Main bei Frankfurt in Erinnerung bleiben, so erfrischend, wie die hehren Eindrücke der gelungensten Hochalpenbesteigung. Es war im günstigen Winter von 1863 zu 64. Wir hatten Tags vorher recognoscirt und Wetter und Eis waren angethan zu einer großen Expedition. Das Stelldichein war im Hafen gegeben, von wo aus zuerst ein schmaler Saumpfad dem rechten Ufer entlang mainabwärts leitete, allmählich aber immer breiter werdend bald unübersehbare, spiegelglatt gefrorene Bahnen vor unserem Blicke eröffnete. Der Himmel war günstig, die Sonne lächelte. Wind im Rücken, kümmerten wir uns wenig um die Rückkehr, hatten wir ja dazu die Wahl zwischen zwei Eisenbahnen auf beiden Ufern des Flusses. Zuerst wurde noch da und dort das Eis mit dem Stocke sondirt, allein bald überzeugten wir uns, daß die Decke über den ganzen Fluß capitalfest


  1. Ich zähle mich in dem philosophischen Streite unserer trefflichen Schlittschuhmäcene Goethe und Klopstock, ob „Schlittschuh“ oder „Schrittschuh“ richtiger sei, unter die Gegner Klopstock’s; denn der Eisschuh ist einmal dem Schlitten nachgemacht, und wer geübt ist, schreitet nicht, sondern hebt den Fuß nur unmerklich und fährt oder gleitet. Ein eigentlicher Schrittschuh sind nur Schusters Rappen. Das wesentliche Erforderniß eines guten Schlittschuhes ist: an der Fläche so wenig wie möglich Reibung zu machen und auch nicht einzuschneiden. Er darf also nicht zu breit und muß unten glatt sein, unbeschadet der Schärfe der Kanten, wie bei einem Lineal, niemals convex, weil man sonst den Halt im Stehen verliert. Um aber bei möglichster Schmalheit nicht einzuschneiden, darf die Schweifung oder der Bogen der Stahlsohle der Länge nach nicht zu stark, beziehentlich zu gekrümmt sein, doch wieder nicht ganz gerade, weil man sonst keine Bogen fahren kann. Will man aber nicht Bogen fahren und wünscht einen Schlittschuh, der die möglichste Schnelligkeit erlaubt, dann lasse man ihn unten glatt, schmal und ganz gerade machen. So sind die der Reichenauer, welche größere Schnelligkeit erlauben, als die holländischen und friesischen. Wer schwache Gelenke hat, nehme sich niedrige Eisen, weil man so leichter steht, obwohl die Schnelligkeit etwas vermindert wird. Man wähle lange Eisen, welches der Vorzug vieler neuerer Schlittschuhe ist, die eben durch die neue Befestigung des Eisens gestatten, daß die Stahlsohle bis hinter den Absatz geht, während sie bei den ältern Schlittschuhen vor dem Absatz aufhörte und dadurch bedeutend an Schnelligkeit verlor, weil das Eisen mehr einschnitt. Also die Normalform ist die richtige Mitte. Diese ist von dem neuen Fabrikate von Parker und Thompson, so wie von den denselben nachgemachten Remscheider Schlittschuhen vollkommen getroffen. In Bezug auf die Art der Befestigung halte ich die Schrauben sehr zweckmäßig, doch genügen auch sehr lange Stacheln oder metallene Kappen, in denen der Absatz steht. Zum Anschnallen führen die Schlittschuhe am besten vier Löcher in den Hölzern, in welchen vorn und hinten lange Riemen kreuzweise geschnallt werden, der eine vorn über den Fuß, der andere über den Reihen (die Spanne). Indeß sind neben einer Schraube auch zwei Löcher mit nur kurzen Riemen hinreichend.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_827.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)