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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

kosten. Es wird ihr schwer sein, mich, halb genesen, wie sie ist, ziehen zu lassen, nachdem uns eine seltsame, trauliche Zeit wieder an einander gewöhnt hat. Ihre hastige Röthe, wenn ich komme, ihre liebliche, sanfte Beruhigung, wenn ich ihr vorlese, und wenn ich gehe, ihr letzter stummer bittender Blick, daß ich nicht anders kann, als bald wieder da sein – das Alles merke ich wohl. Nun hört sie mich auch gern und ruhig an, wenn ich ihr von Italien, von Rom, von meinen heiligsten Erbauungsstunden im Pantheon, auf dem Forum, in der Campagna erzähle. Ihre ganze Seele fliegt mit hinaus, ihr alter Reisetrieb, der sie als Kind zur Schwärmerin machen konnte, ist wieder erwacht, und zuweilen, wenn die Fülle der Erinnerungen mich zu warmer Beredsamkeit dahinreißt, wird sie wie die Birke im Frühling: der frische Lebenssaft drängt unaufhaltsam nach oben und quillt in Thränen hervor.

Ja, Julie, ich mußte heute in lächelnder Rührung an sie denken – so, wunderlich der Vergleich Dir klingen mag – als ich in meiner Wirthin Gärtchen stand und an einem ihrer grün angestrichenen Blumenstöcke, an dem einzigen Pünktchen, wo der Pinsel des Anstreichers nicht gehaftet hatte, ein Harzthränchen hervorgequollen sah. Ich wischte es neugierig ab, es duftete so kräftig wie das Harz im Walde. Gutes Holz, dachte ich, man hat dir nun schon so lange Luft und Leben genommen, dich zu gemeiner Nützlichkeit verschnitten, dir mit dem künstlichen Firniß alle Poren verstopft; nur eine einzige hat man aus Zufall offen gelassen, – und der Mai kommt und aus dieser einzigen Pore bricht der Saft des Lebens wieder hervor! Konnte mich das nicht nachdenklich machen, Julie? Und ist es so ein einfacher, leichter Entschluß, den armen Baum, den ich meine, seinem mörderischen Schicksal zu überlassen?

Doch – mir fällt dabei ein, was Du am Schluß Deines Briefes schreibst: daß unsere Freundin, Frau Amanda, nach Italien reisen will und sich nach einer angenehmen Gesellschafterin umsieht. Glaubst Du nicht, liebe Julie, daß sie an Anna finden könnte, was sie wünscht? und daß es ihr nicht eine beständige Freude und Erquickung sein würde, der armen Gefangenen für eine Weile zur Freiheit zu verhelfen und ihre gute Seele sich in guter Luft entfalten zu sehen? Was meinst Du? Mir, das bekenn’ ich Dir, würde es einen großen, harten Stein vom Herzen wälzen.

Doch nun zum Scheiden, zum Scheiden! Leb’ auch Du wohl, meine geliebte Schwester. Mich ruft mein Glück, das ich schon so lange versäumt und verzögert habe; ach, wir Menschen, wir Menschen!




Sechster Brief.

Wünsche mir glückliche Reise, Julie! Nun endlich geh’ ich, man hat es mir leichter gemacht, als ich armseliger Hasenfuß gedacht hatte! – Seltsame, unglaubliche Erlebnisse liegen hinter mir, fast möcht’ ich mich in die Finger beißen, um mich sicher zu machen, daß ich nicht aus dem Traum rede. Traum! O, ein zu lange fortgesponnener Jugendtraum ist nun ausgeträumt; ich reibe mir noch die Augen, und nur an der juckenden Narbe fühl’ ich noch, daß ich Gefahr lief, mehr davon zu tragen als eine heilbare Wunde.

Ja, es ist mir wundersam ergangen, Schwester! Ich habe Dir ein beschämendes Bekenntniß abzulegen, und Du bist der einzige Mensch, gegen den ich es ablegen könnte… Doch wozu die Vorreden? Ich hatte schon gestern Abend abfahren wollen. Alles war vorbereitet, den Nachmittag hatte ich der Tante versprechen müssen bei ihr zu verbringen. Als ich hinkam, fand ich noch einen zweiten Gast, den schwarzen Walter, von dem ich Dir geschrieben, den langweiligen Menschen. Ich gestehe, daß seine Gegenwart in dieser Abschiedsstunde mir vom ersten Augenblick an zuwider war, wie wenn ich den Ausgang geahnt hätte! Die gute Tante hatte am hellen Nachmittag eine duftende Bowle auf den Tisch gestellt, fuhr noch mit dem großen Löffel darin herum, kostete ein Mal über das andere und ließ dann ihrer Zunge keine Ruhe, uns zum Trinken zu spornen. Das Mädchen saß in der Ecke, mit stillem Lächeln, aber bleich und stumm; Walter starrte in sichtbarer Aufregung auf die Tischecke, und mir, das muß ich bekennen, war recht erbärmlich zu Muthe. Ich hätte diesen Menschen so gern noch etwas Warmes, Liebes, Herzliches gesagt, und doch fühlte ich fort und fort, wie sehr ich dabei Gefahr lief, über die Grenze zu gehen, und so ward ich nur immer stiller und stiller und erlahmte bald, unsere gedämpfte, schwere Stimmung durch mühsame Scherze zu erleichtern. Dazu der Wein zu so ungewohnter Zeit, und nach dem warmen Regen die heiße Schwüle, die von draußen hereindrang. Ich mußte mich endlich in’s offene Fenster legen und rang nach Luft.

Als ich mich wieder zurückwandte, waren Walter und die Tante verschwunden und schienen im Nebenzimmer leise mit einander zu sprechen, und ich war mit Anna allein. Sie saß noch in ihrer Ecke und hatte die Hände vor die Augen gelegt. Um uns her war es so still, daß man fast das leise Lüftchen hören konnte, das durch’s Fenster hereinkam und durch’s Schlüsselloch hinausglitt. Meine Beklemmung wuchs. Aus reiner Herzensangst war ich drauf und dran, neben sie hin zu treten und den Arm um ihren Hals zu legen und sie zu fragen: „willst Du mein sein?“ Aber unwillkürlich, Julie, schüttelte ich den Kopf; eine tiefe Stimme im Innersten flüsterte mir lebhaft und immer lebhafter zu: „Deine Freiheit, Deine Freiheit! Diese enge Welt! Verkaufe Dein Leben nicht!“ Ich war so erregt, so aufgewühlt, daß bei diesem Gedanken meine Stimme plötzlich zu tönen anfing. Ich erschrak vor mir selbst, Anna aber fuhr auf, warf ihre verwirrten Augen umher und sah mich an. Das Gefühl brannte mich, daß ich nun um jeden Preis etwas sagen müsse. Ich fing an, wie schön diese Zeit gewesen, wie ungern ich sie abbräche. „Anna,“ sagte ich endlich, „willst Du mir gut bleiben?“

„Warum sollt’ ich nicht?“ gab sie kurz zur Antwort.

„Du mußt meine liebe Schwester bleiben.“

Sie sah zur Seite und nickte.

„Wirst Du mir nicht zuweilen schreiben?“ fragte ich, um die Stille zu unterbrechen.

Sie suchte nach einem Wort, dann antwortete sie: „Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich ehrlich sein will,“ brachte sie mühsam hervor, „und das kann ich nur, wenn ich schweige.“

„Ich verstehe Dich nicht, Anna!“

„Wär’ es das erste Mal?“

„Wie,“ fragte ich, „wirst Du wieder bitter gegen mich, in der letzten Stunde?“

Sie antwortete herb: „Ich? bitter gegen Dich? Wie sollt’ ich – wie käme mir das in den Sinn?“ Auf einmal trat sie auf mich zu, sah mir in die Augen und fragte: „Wann kommst Du wieder?“

„Ich weiß nicht,“ sagte ich stockend. „Ich habe noch nicht daran gedacht. Es werden wohl Jahre darüber hingehen, Anna.“

Sie wiederholte langsam: „Du hast noch nicht daran gedacht!“ Und nach einer Pause setzte sie hinzu: „Ich weiß genug.“ Und damit starrte sie zum Fenster hinaus.

– Liebe Julie, ich erzähle Dir das Alles wörtlich und ehrlich, so bitter schwer es mir wird! Mir war sehr unheimlich zu Muthe. Immer drängte es mich, sie anzurufen, aber was konnte dann noch folgen, als das eine Wort, das ich nicht sagen wollte! Endlich trat die Tante aus dem Nebenzimmer herein, aber mit einem unerhört ernsten Gesicht; sie sah die beiden Schweigenden traurig an und schwieg. Um etwas zu thun, stellte ich mich an den Tisch und leerte mein Glas. Die Tante gab dem Mädchen einen Wink, den ich nicht verstand, machte sich am Clavier zu schaffen und fuhr dann an mir vorbei, in die Küche hinaus. Nun endlich bewegte sich auch Anna von der Stelle, wo sie wie eine Bildsäule gestanden hatte, und schwebte leise in das andere Zimmer, und ich war allein.

Das Unerträgliche meiner Lage brachte mich fast von Sinnen. Soll ich so gehen? dachte ich und fühlte den bangen Schweiß an den Schläfen heruntertröpfeln; soll das mein Lebewohl sein? Und so könnte es enden? Ich hörte, wie Walter nebenan mit gedämpfter, aber eindringlicher, erregter Stimme zu Anna sprach; ein unaussprechliches Gefühl packte mich an, ich konnte diese Stimme, dieses Geflüster nicht länger aushalten und schlich hinaus, die Treppe hinunter und halb taumelnd am Fluß entlang meinem Hause zu.

So konnt’ ich nicht abreisen, das war das Einzige, was ich klar empfand. Ich schlenderte so dahin und ließ mich willenlos von meinen wechselnden Gefühlen, wie von warmen und kalten Quellen, überströmen. Es fing eben an zu dämmern, die Luft war so weich, so schmeichelnd, meine kleine Madame Winter saß mit einer Nachbarin auf der Sommerbank vor unserer Thür und lachte so herzlich, vor allen Häusern waren die grünen und weißen

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