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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mit einer fast unglaublichen Schnelligkeit wird das Schlachtopfer entseelt und ausgeweidet, zerstückt und verpackt. Ein Rind ist in zwanzig Minuten, ein Schwein in sechs bis sieben Minuten, ein Schaf in fünf Minuten aufgeputzt (dressed) und zur Versendung bereit. Das Sterben wird den armen Thieren so leicht gemacht, daß es fast aussieht, als ob die Opfer ordentlich mit Vergnügen herzuträten, um dem elenden, sorgenvollen Leben Valet zu sagen. Der Augenblick des Hinscheidens ist so wenig schmerzlich, man hört so wenig einen Klagelaut, daß ein unbetheiligter Zuschauer an das Goethe’sche Wort erinnert wird: „Ich möchte zu dem Augenblicke sagen: o weile doch, du bist so schön!

Natürlich ist die Theilung der Arbeit unter Viele und die dadurch bewirkte Geschicklichkeit jedes Einzelnen die Hauptursache, wenn man kaum so geschwind sehen kann, wie die Verwandlung beseelter Wesen in Rohstoff für den Magen erfolgt. Bei einem Schweine sind es sechs Mann, welche sich in die Zerstückelung, und eben so viele, welche sich in die Schlachtung, Abbrühung und Verpackung theilen. Rinder und Schafe werden immer, Schweine wenigstens theilweise ganz gelassen, nachdem sie gehäutet, beziehentlich gebrüht und ausgeweidet sind. Eine längs der Fenster des Schlachthauses in jedem Stockwerke in doppelter Mannshöhe an den Deckbalken angebrachte Eisenbahn oder Eisenstange, an welcher Ringe hängen, von denen wieder Riemen mit Haken zur halben Mannshöhe herabreichen, erlaubt es, das schwerste Schlachtstück nach jedem Theile des Gebäudes fast ohne Kraftaufwand zu ziehen; eine von der Dampfmaschine getriebene eben so lange eiserne Welle, über welche Riemen laufen, gestattet diesen, als eben so viele Kloben zu wirken und den schwersten Ochsen mit Leichtigkeit hoch oder niedrig aufzuhängen.

Das Tödten der Rinder geschieht entweder durch den Spieß oder durch das lange Messer, je nach Belieben der Schlächter. Im erstern Falle wird das Thier in einen engen Anbau mit zwei Thüren getrieben. Sobald es durch die eine eintritt – und man muß sehen, mit welcher Gladiatorenwürde es geschieht, trotzdem so wenige Zuschauer dabei sind, die Beifall klatschen könnten – senkt sich von oben herab ein Spieß, den ein auf einer Planke stehender En-gros-Mörder mit unfehlbarer Sicherheit handhabt, ihm in’s Genick, an der Stelle, wo das Hinterhaupt an den obersten Halswirbel und das kleine Gehirn an das Rückenmark stößt, und lautlos und ohne Zuckung stürzt es in sich zusammen. Sofort öffnet sich die vordere Thür, und ein anderer Barbar bringt ein Ende des obenerwähnten Riemens herein mit einer Schlinge daran, die um ein Hinterbein geschlungen wird und den Stier in das eigentliche Schlachthaus hereinzieht, um „dressed“, aufgeputzt, zu werden. Sollte der Spieß ja einmal fehlgehen, so empfindet das Thier ebenfalls keinen Schmerz, weil er blos zwei Zoll tief eindringen, also die Fettschicht nicht durchbohren und Blut hervorlocken kann. Im andern Falle tritt der Stier beim Anlangen durch die Hinterpforte sogleich in die bereitliegende Schlinge und es „öffnet sich behend das zweite Thor“, und ehe er sich’s versieht, baumelt er in der Luft, den Kopf nach unten, und ein blutdürstiger Künstler hat ihm in dieser wehrlosen Haltung die ganze Kehle mit einem langen Messer durchschnitten. So leicht stirbt wohl keiner von Denen, die an seinem Tode schuld sind, keiner von Denen, in deren Mägen er spaziert und deren Tage er verlängern hilft. Man sieht, es giebt doch noch poetische Gerechtigkeit in der Welt!

Die Gesellschaft, welche dieses Schlachthaus sammt Zubehör errichtet hat, findet ihren Hauptgewinn nicht in den Reinüberschüssen derselben, sondern in dem besseren Preise, den ihre Hauptactionäre, die großen westlichen Viehtreiber, durch diese Einrichtung für ihr Vieh erzielen, welches gesünder und schwerer auf den Markt kommt, weil es sich nach der Eisenbahnfahrt erst erholen kann, sowie durch billigere Behausung für das Vieh, welches nicht sofort Käufer findet. Die Compagnie selbst hat mit dem Geschäft des Schlachtens nichts zu thun, sondern vermiethet blos ihre zeit- und kraftersparenden Einrichtungen dazu an die Schlächter. Diese sind denn wohl auch das in ihrer Art Vollkommenste in der Welt, und jede genauere Beschreibung der vortrefflichen mechanischen Vorrichtungen im Schlachthause würde vielfach mehr Raum füllen, als wir ihr widmen können. Das fleischessende und an der Gesundheit seiner Haupt- und Weltstadt interessirte New-Yorker Publicum empfindet im Genusse gesünderen Fleisches und in der Entfernung von Hunderten von Altären der Göttin Mephitis einen großen Fortschritt.

A. Douai.




Ein Herrenhaus der Wissenschaft im hohen Jura.
Von Stephan Born.


Weit über die Grenzen des Cantons Neuchatel und der Schweiz hinaus ist in den letzten Jahren der Name eines Landgutes bekannt geworden, welches weniger durch prunkvolle Anlagen als durch den Reiz seiner Zurückgezogenheit, vor Allem aber durch die edle Gastfreundschaft seines in der wissenschaftlichen Welt rühmlich bekannten Eigenthümers allsommerlich eine größere Anzahl hervorragender Persönlichkeiten zu längerem Aufenthalte versammelt.

Seiner Abstammung nach ein Franzose, denn er ist in der Hugenottencolonie zu Friedrichsdorf bei Frankfurt geboren, seiner Erziehung nach ein Deutscher, doch durch langjährigen Aufenthalt auf republikanischem Boden von Herzen ein Schweizer, hat Professor Eduard Desor, der Eigenthümer von Combe-Varin – so heißt jenes Landgut – die Wurzeln seiner Existenz in drei verschiedenen Ländern befestigt, während er durch seine weiten Reisen nach nordischen Regionen wie nach dem Wüstensand Afrikas und durch seine mehrjährige Thätigkeit auf dem amerikanischen Continent mit seinen Zweigen weit hinüberragt über die begrenzte Lebenssphäre eines Stubengelehrten und überall einen reichen Kranz von blühenden Freunden und wissenschaftlichen Genossen sein eigen nennt. Was Wunder, daß sich von Zeit zu Zeit auf Combe-Varin die bedeutenderen Männer verschiedenster Nationalität zusammenfinden, um sich hier als alte Bekannte die Hände zu drücken; denn die Wissenschaft hat seit lange schon die morschen Tempelwände ihrer ersten Heimath niedergerissen, von Tag zu Tage vermehrt sie ihre friedlichen Annexionen, und was sie dem Reiche der Unwissenheit und des Vorurtheils abgerungen, das hat sie der Menschheit gewonnen.

Den bequemsten Weg von Neuchatel nach Combe-Varin bietet die interessante Eisenbahn Franco-Suisse, welche in zahlreichen Tunnels den Jura durchschneidet, um bei Pontarlier die französische Grenze zu erreichen. Bei der Station Noiraigue entsteigen wir dem Waggon und wandern in einer kleinen Stunde nach dem Pontsthal, in welchem Desor’s Landhaus steht.

Ganz eigenthümlich ist der Reiz, welchen dieses Hochthal, dessen Haupterwerbszweig Uhrenindustrie und Viehzucht bilden, auf den Besucher ausübt. So wie er die hohe Gebirgskette überschritten, von deren kahlen Kuppen er noch einen Abschiedsblick auf den heitern See und die weißen Firnen der Alpen geworfen, tritt er hinab in eine von waldigen Anhöhen eingeschlossene grüne Mulde, an deren Rändern weißschimmernd ihn die sonnenbeschienenen Dörfer und Weiler als der Aufenthalt stiller, glücklicher Menschen begrüßen. Es weht ihn an wie festliche Sonntagsruhe nach wogendem Alltagstreiben, und wer sich müde gekämpft daheim in den Mühen des Lebens, dem sind urplötzlich die Sorgen weggewischt von der glühenden Stirn, das Herz fühlt sich selig beruhigt, es fühlt sich berührt von dem milden Hauche des Friedens.

Unendlich wohl namentlich thut die ungeheure Wiesenfläche des Thales, die nur hier und da durch einzelne Häuser und Bäume unterbrochen wird und mit den zahlreichen läutenden Viehheerden uns an ein patriarchalisches Leben der Thalbewohner gemahnen möchte, wenn nicht die Fenster an den rothbedachten Häusern, welche sich an den Berglehnen zu größeren Dörfern zusammendrängen, uns an moderne Cultur und einen Gewerbfleiß erinnerten, der aus diesem stillen Thale alljährlich Tausende und Tausende von Taschenuhren über alle Welt versendet. Die Abwesenheit eines rauschenden Baches wie überhaupt jedes nennenswerthen Wassers trägt wesentlich zu dem besondern Charakter der Landschaft bei und erhöht den Eindruck der in sich abgeschlossenen Ruhe, mit welchem sie uns so wunderbar überrascht. Ja, diese Welt für sich birgt zwischen ihren umgipfelten Wänden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_761.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)