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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Feuer starrte, verrieth, daß der Wahn sich immer stärker und völliger seiner bemächtigte. Mit toller Geschäftigkeit schleppte er immer mehr Reisig herbei, jauchzte über das immer wachsende Lodern und Prasseln und gewahrte darüber nicht, daß der lange nicht benutzte Kamin im obern Stocke geborsten und Funken in den Dachraum immer reichlicher auszusprühen begann. Schon loderte es hell auf unterm Gebälke, als er noch in unsinniger Freude am Tische stand, die Silberstücke aus seinem Beutel darauf hin rollen ließ und sich ergötzte, wie sie im Lichtschein glitzerten und funkelten, und welche Freude sein Weib haben werde und vor Allem sein Bub’, wenn sie heim kämen und die warme heimathliche Stube wiederfänden und in ihr den unvermutheten blinkenden Reichthum. Als der von oben herabgedrückte Qualm und Rauch bereits in die Stube zu dringen begannen und in ihm die erste Ahnung einer ihn umgebenden Gefahr aufdämmern ließen, war es zum Entrinnen bereits zu spät; er riß die Thür auf, aber die Dampfwolke drang unwiderstehlich erstickend herein und schleuderte den Betäubten zu Boden.

Jetzt, mit dem Hinzutreten der Luft, mit dem Beginn einer ziehenden Strömung, fing die Wolke an zu weichen und auch dem in der Nähe des Ofens Hingestreckten kehrte die Fähigkeit des Athmens und mit ihr ein dämmerndes Bewußtsein wieder; unsicher schlug er die Augen auf, aber der erste Blick fiel in den grellen Schein der oben hereinbrechenden Gluthen und mit einem Schrei des Entsetzens sprang er jählings vom Boden auf, plötzlich vollkommen klar und deutlich der ganzen Gefahr seiner Lage sich bewußt werdend. Wie ein wildes, feuerscheues Thier, das im Käfig eingeschlossen das brennende Haus über sich gewahrt, mit einem Gebrüll der Angst und Wuth an die Eisenstäbe springt und sie durchbrechen will, so stürzte der Nußbichler in einem Satze an die äußere Thür, prallte aber taumelnd zurück, denn er selber hatte sie auf das Sorgfältigste verrammelt, und war in der Hast und Angst des Augenblicks ohne Kraft und Sinn, die Spreizen und Stangen, die er selber angebracht, schnell genug zu beseitigen; ein wüthendes Geheul drang wie unwillkürlich aus seiner Kehle, denn er hörte und sah, wie draußen die Retter Alles aufboten, zu ihm hereinzudringen, er sah über sich das glimmende und lodernde Dachgebälk, sah es sich senken und hörte es knistern und krachen und dachte der Möglichkeit, daß es einstürzen könne, ehe ihnen ihr Vorhaben gelungen war.

„Das ist schrecklich anzuhören,“ sagte draußen der Finkenzeller, „das vergess’ ich nit und wenn ich hundert Jahr’ alt werden thät’. … Frisch, Nachbarn, greift noch besser zu, daß wir den armen Menschen aus seiner Pein erlösen. … Ich mein’, dem könnt’ die Narrheit vergangen sein für alle Zeit und die Bosheit dazu …“

„Richtet den Schlauch besser auf das Gebälk’!“ rief mit mächtiger Stimme Sixt dazwischen, „vielleicht können wir’s löschen, eh’ es einstürzt. … Aber nehmt es nit geradezu, laßt den Wasserstrahl von der Seiten hinstreichen, damit die Gewalt nit erst beitragt, es umzuwerfen …“

„Geht nit, Vorsteher,“ rief eine Stimme von der Spritze herüber, „der Brunnen ist gebrochen – wir haben kein Wasser mehr …“

Darüber hinaus erscholl das Wehgeschrei des Unglücklichen aus dem brennenden Hause. „Ich muß verbrennen!“ rief er. „Ich muß ersticken! Helft, helft, Nachbarn, um Gottes Barmherzigkeit helft! Warum muß ich so ein schreckliches Schicksal haben … ich bin unschuldig … laßt mich nit verbrennen! … Jesus, die Balken da droben fangen schon zu fallen an … helft mir! Laßt mich hinaus! Wenn’s denn sein muß, so will ich es eingestehen! … Ja, ich hab’s gethan! Ich hab’ meinem Bruder das Haus über’m Kopf angezünd’t … ich bin schuld, daß er arm ’worden ist, ich bin schuld, daß der alte Ahnl schier mit verbrunnen ist … Laßt mich hinaus, ich will’s Alles bekennen … ich will die Straf’ aushalten, die mir gehört … nur verbrennen … Jesus Maria und Joseph, nur verbrennen laßt mich nit …“

„Hört Ihr?“ riefen die arbeitenden Bauern durcheinander. „Er besteht’s ein … also ist er vom Gericht doch ohne Grund freigesprochen worden und das Haberfeld hat Recht gethan …“

„D’rauf!“ tönte der gewaltige Ruf des Aichbauern. „Die Thür bricht – noch einen Stoß und wir dringen hinein …“

Zerschmettert krachte in der nächste Secunde die Thür hinein, aber zugleich, mit der Schnelligkeit des Augenblicks, vielleicht erschüttert durch die Heftigkeit des letzten Anpralls, neigten die wankenden Balken und Sparren des Daches sich gegen einander und stürzten herab – eine Funken stäubende Gluthmasse, welche Alles unter sich begrub und in welcher das Geschrei des Lumpensammlers erlosch …

Alle Arbeit hielt inne, der Gewalt des Moments gegenüber, vor welchem jede menschliche Thätigkeit in schauerlicher Nichtigkeit erlahmte. Einige begleiteten den Einsturz mit einem Ausruf des Schreckens. Andere zogen die Hüte und Mützen, falteten die Hände und sprachen ein Stoßgebet für den Unseligen, der ein schweres Verschulden in so furchtbar schwerer Weise gebüßt. Bald wich die augenblickliche Erstarrung, wie sie gekommen war, und Alle stürzten nach dem Gluthhaufen, ihn auseinander zu reißen und zu retten, wenn durch ein Wunder noch etwas zu retten sein sollte; nach Verlauf einer halben Stunde war es den vereinten Bemühungen gelungen, auf den Grund zu dringen: man fand einen fast unkenntlichen schwarzgekohlten Körper – unweit davon lagen Stücke geschmolzenen Silbers.


Am Tage darauf hielt ein Schlitten vor dem an der Landstraße weit vom Dorfe vorgeschobenen und ziemlich einsam gelegenen Wirthshause zu Haching, dem letzten Dorfe, ehe man auf der nun verwaisten Hauptstraße von Tegernsee her aus den Bergen gegen München herankommt. Es war frisch-helles Wetter mit blauem, klarem Himmel und tausend und tausend Sternen und Funken, die auf dem unabsehbar hingedehnten ebenen Schneegefilde glitzerten und schimmerten. Unbekümmert um das schöne Schauspiel, den Windzug nicht achtend, der, von Zeit zu Zeit eine kleine Partie lockern Schnees vor sich her wehend, ziemlich empfindlich von Norden her über die Fläche strich, ging der junge Aichbauer mächtigen Schritts vor dem Hause hin und wider; wer ihn lange nicht gesehen, mochte zweifeln, ob das gesunde Roth seines Angesichts etwas bleicher geworden, oder ob nur das Schneelicht es um einen Ton heller scheinen machte; nicht zu verkennen aber war, daß die Stirn, auf welche die Pelzmütze tief hereingezogen war, nicht so wolkenlos aussah, nicht so offen, wie damals, als er Franzi an der Kreuzstraße entgegengetreten war. Es mußten ernste Gedanken sein, die ihn beschäftigten, denn manchmal hielt er in seinem Wandeln wie unwillkürlich an, als besorge er sich selbst in der Bilderreihe zu unterbrechen, die an seinem Gemüthe vorüberzog; dann beschleunigte er den Schritt wieder, wie wenn es gälte, ein Entfliehendes zu halten oder sich zu rasch entschlossenem Handeln aufzuraffen. Mehrmals eilte er dann dem Stalle zu, wo das Gespann gefüttert wurde, und schien unzufrieden, wenn er zurückkehrte, daß die Weiterfahrt sich noch immer verzögerte.

Der Lehrer von Osterbrunn, der, in einen tüchtigen Bauernmantel gewickelt, von der Straße herankam, unterbrach ihn in seinen Betrachtungen.

„Nun, wie steht es?“ fragte er, näher tretend. „Ist der Braune wieder im Stande? Können wir bald wieder fort?“

„Es geht,“ antwortete der Bauer, „der Gaul ist gestern Nacht bei dem Brand etwas angestrengt worden und hat sich ein Bissel verschlagen, scheint’s … aber der warme Trunk, den ich ihm eingeschüttet habe, thut seine Schuldigkeit und in einer Viertelstunde können wir uns wieder auf den Weg machen…“

Der Lehrer that, als habe er die Rede des Bauern gar nicht vernommen; er gab sich den Schein, als sei er selbst mit dringenden andern Gedanken beschäftigt, die seine ganze Besinnung in Anspruch nähmen: ein Blick auf Sixtens erregtes Aussehen und die Unruhe seines Gebahrens mochte ihn dazu veranlaßt haben. Er hatte die Muße des unfreiwilligen Aufenthalts in dem kleinen einsamen Dorfe zu einem Rundgange durch dasselbe benützt und schien vollauf mit dem Gesehenen beschäftigt. „Man kann doch überall und immer etwas beobachten,“ sagte er hinzutretend, „wenn man nur die Augen aufmachen will! Da bin ich vor ein paar Jahren hier vorüber gereist, es war im Spätsommer, gerade zum Beginn der Erntezeit, aber mit der Ernte sah es trübselig aus, ein Hagelwetter war Tags zuvor über die Gegend gezogen und so weit man sah, war das Getreide geknickt und die Halme in den Boden hineingeschlagen, daß man nichts erblickte, als schwarze Erde und Stoppeln drinnen… Da war auch ein Apfelbaum, im Wirthsgarten über der Straße, an dem ich schon manches Jahr meine Freude hatte, ein schöner kräftiger Stamm mit einer Rinde so glatt wie Sammet und so glänzend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_755.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)