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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

unseres Vaterlandes mit den Augen eines Verliebten. Hatte das ganze Buch „le Rhin“ den Zweck, Frankreichs Begehrlichkeit nach dem linken Rheinufer lebendiger zu entfachen, so schweifte Victor Hugo’s poetisches Auge auch, so Anziehendes lockte, auf das rechte Rheinufer hinüber und es hätte ihm kaum Bedenken gemacht, unter Berufung auf den Franken Charlemagne noch ein Stück Mainlinie zu annectiren. Glücklicherweise sind die Zeiten vorüber, wo uns solche Gelüste Verdruß bereiten konnten. Wenn Victor Hugo in jenem Buche den Franzosen „die Freiheit des Gedankens“ nachrühmte und uns mit „der Freiheit des Träumens“ abfand; wenn er prophetisch ausrief: „Frankreich wird die Königin der Welt sein, in seinen großen Schriftstellern wird die Welt künftig ihre Päpste erblicken“; wenn er endlich mit der Posaune schmetterte: „es giebt nur Eine Literatur, und das ist die französische“: so haben wir jetzt die Gemüthsruhe gewonnen, uns auch an solchen Capucinaden zu erlustigen, und brauchen uns nicht dadurch dasjenige verleiden zu lassen, was sein Genius in bessern Stunden zu Tage förderte.

Victor Hugo schreibt: „Ich wollte den Thurm besteigen. Der Glöckner, der mir in der Kirche als Führer gedient hatte, aber kein Wort Französisch versteht, hat mich bei den ersten Treppenstufen verlassen, und so bin ich allein hinaufgestiegen. Oben angelangt, habe ich die Treppe durch ein Eisengitter abgesperrt gefunden; ich bin also übergeklettert. Nachdem dies geschehen war, befand ich mich auf der Plattform des Pfarrthurms. Dort bot sich mir ein reizendes Schauspiel. Ueber meinem Kopfe die schönste Sonne; zu meinen Füßen die ganze Stadt; links der Römerplatz, rechts die Judengasse, gleichsam eine lange und unbiegsame schwarze Fischgräte zwischen den weißen Häusern; hier und da die Thürme einiger leidlich erhaltenen alten Kirchen; zwei oder drei hohe Warten mit kleinen Seitenthürmchen und dem steinernen Frankfurter Adler und wie ihr Echo drei oder vier alte Wachtthürme am fernen Horizont, ehemals die Grenzmarken des kleinen Freistaats; hinter mir der Main, ein silbernes Tuch, in welches das Furchenziehen der Schiffe goldene Streifen wob; die alte Brücke mit den Dächern von Sachsenhausen und den rothen Mauern des alten deutschen Hauses; rings um die Stadt ein dichter Gürtel von grünen Bäumen; über diese hinaus ein großes Rund von sanften Ebenen und Ackerfeldern, begrenzt durch die blauen Höhenzüge des Taunus.

„Während ich träumte, ich weiß selber nicht, was, gelehnt gegen den Stumpf des drei Jahrhunderte alten Kirchthurms, haben sich die Wolken, vom Winde aufgejagt, bald hierhin, bald dorthin über den Himmel treiben lassen, so daß jeden Augenblick große Stücke Himmelblau sichtbar wurden und wieder verschwanden und unten auf der Erde breite Licht- und Schattenmassen mit einander wechselten. Die Stadt und der ganze Gesichtskreis waren wirklich bewundernswürdig schön. Nie ist eine Landschaft reizvoller, als wenn sie ihr Tigerfell umgehängt hat.

Ich hatte mich auf dem Thurme allein gewähnt, und ich würde den ganzen Tag dort geblieben sein. Auf einmal höre ich neben mir ein Geräusch, ich wende den Kopf: ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren beobachtet mich lächelnd aus einem Mauerfensterchen. Ich wage mich also ein Stück weiter, klettere um eine Ecke des Pfarrthurmes und befinde mich plötzlich im Schooße der Thürmerfamilie, eines ganz artigen und glücklichen kleinen Völkchens. Das junge Mädchen strickt, eine Alte – ohne Zweifel ihre Mutter – sitzt beim Spinnrad; Tauben girren und gurren aus den Zacken des Thurmes, ein gastliches Aeffchen streckt mir aus seinem Hüttchen die Hand entgegen; die Gewichte der großen Thurmuhr steigen und fallen mit dumpfem Geräusch und vergnügen sich, die Marionetten unten tanzen zu lassen, unten in der Kirche, wo man die Kaiser krönte. Denke man sich dazu jenen tiefen Frieden, welcher hohen Punkten eigen ist – Windesmurmeln, Sonnenschein, schöner Anblick – kann es etwas reiner und reizender Zusammenklingendes geben? –

Aus dem Behälter der alten Glocke hat das junge Mädchen ihr Kämmerchen gemacht. Dort im Schatten steht ihr Lager und sie singt dort wie weiland die alten Glocken, nur sanftern Tons und einzig Gott und sich selber zum Vergnügen. Aus einem der nicht vollendeten Seitenräume hat die Mutter ihren Wittwenheerd gebaut, wo der bescheidene Suppentopf brodelt. So sieht’s auf dem Frankfurter Pfarrthurme aus. Wozu diese kleine Colonie da oben existirt und was sie eigentlich treibt, ich weiß es nicht. Aber bewundert hab’ ich sie dennoch. Diese stolze Reichsstadt, welche so vielen Kriegen trotzte, so vielmal beschossen wurde, so viele Kaiser krönte, sie, deren Adler in seinen beiden Fängen die beiden Diademe hielt, welche der Adler Oesterreichs auf seine beiden Köpfe setzte, – heute beherrscht und krönt sie der schlichte Feuerheerd eines Mütterchens und Alles, was darüber in die Luft emporsteigt, ist ein bischen Rauch.“




Ein Abenteuer Rothschild’s. Der Baron Rothschild in Paris, welcher gern zu Fuß ausgeht wie ein gewöhnlicher Sterblicher, hatte kürzlich einen weiten Gang unternommen und gerieth schließlich in das Stadtviertel hinter dem Pantheon, das ihm gänzlich unbekannt war, so daß er sich bald völlig verirrte. Anfangs sah er sich einigermaßen unruhig um, er erblickte aber weder eine Droschke noch einen Omnibus, ja kaum einige wenige Fußgänger; sein Mißmuth über diesen Zufall schwand, als er überlegte, welche amüsante Zerstreuung ihm dies kleine Abenteuer bieten könne, und er begann ganz vergnügt weiter zu schweifen und gleichsam auf Entdeckungsreisen auszugehen, denn dieses Stadtviertel von Paris war für ihn eine ebenso unbekannte Gegend wie Amerika vor der Landung des Columbus für die Europäer. Plötzlich bemerkt er den Laden eines Trödlers, tritt hinzu, beschaut sich das bunte Gewirr von den verschiedenartigsten Gegenständen und entdeckt mitten unter diesem Wust einen alterthümlichen Barometer aus der Zeit Ludwigs des Sechszehnten, der zwar keine Spur mehr von seiner ursprünglichen Vergoldung zeigte, aber trotzdem im Schnitzwerk noch vollkommen wohl erhalten war. Der Baron ist ein eifriger Liebhaber und Kenner von dergleichen Curiositäten, und so beschloß er sofort, den Barometer zu kaufen. Der Preis dafür betrug zehn Francs, und ganz erfreut über eine so wohlfeile Acquisition, greift Rothschild in die Tasche, um zu bezahlen – aber o weh! in der Eile und Zerstreuung hat er zu Hause seine Börse liegen lassen.

„Nun, das schadet nichts, ich nehme auf alle Fälle diesen Barometer,“ sagt er zu der Trödlerin; „schicken Sie ihn mir zu, ich bin Baron Rothschild, man wird Ihnen das Geld in meinem Hotel einhändigen.“

„Den Namen und die Adresse kenne ich nicht, mein Herr,“ entgegnete die Trödlerin, „und überdies schicke ich niemals den Leuten Sachen zu, die nicht vorher bezahlt worden sind.“

Jetzt stand der Baron völlig verblüfft da, denn er hatte sich’s nicht träumen lassen, daß Jemand seinen Namen nicht einmal kenne, aber da er einmal bei guter Laune war, so amüsirte ihn dies nur um so mehr, und er stand eben im Begriff, der Frau einige Aufklärungen über seine Stellung zu geben, als er auf der andern Seite der Straße einen Dienstmann vorübergehen sah. Er winkte denselben herbei und frug ihn lächelnd: „Weißt Du vielleicht etwas von dem Baron Rothschild?“

„Na, das ist aber eine komische Frage, das ist ja unser Geldkönig. Warum fragen Sie mich aber danach?“ setzte der Mensch etwas patzig hinzu, da er glaubte, man wolle ihn vielleicht mystificiren.

„Weil Madame hier ihm soeben einen Credit von zehn Francs versagt hat,“ sagte Rothschild, auf die Trödlerin zeigend.

„Ist das wirklich wahr, Madame Duclos?“ rief der Dienstmann im höchsten Grad erstaunt.

„Ja, sehen Sie, Monsieur Pierre, man kann doch eben nicht alle Welt kennen,“ erwiderte die Trödlerin ganz verlegen. „Sie kenne ich aber, und wenn Sie mir dafür garantiren wollen …“

Bei diesen Worten unterbrach der Baron die Frau durch ein so herzliches Gelächter, daß er sich eine ganze Weile kaum beruhigen konnte.

„Nun gut, Monsieur Pierre,“ sagte er dann noch immer lachend, „wenn Sie denn die Bürgschaft für mich übernehmen wollen, so gehen Sie einmal vor allen Dingen mir einen Wagen zu holen, und dann tragen Sie diesen Barometer in meine Wohnung.“

Der Packträger ließ sich dies nicht zwei Mal sagen; er grüßte den Baron sehr respectvoll, schaffte ihm rasch den anständigsten Wagen, den er nur auftreiben konnte, und eilte dann mit dem Barometer in das Hotel des Geldfürsten, wo er für das „übernommene Risico“, wie Rothschild sagte, reich belohnt wurde.




Für den Weihnachtstisch nach Johann-Georgenstadt


gingen ferner ein: Von einem Brautpaar in Erlangen 10 fl.; aus Mutzschen 1 Thlr.; im heitern Freundeskreise in Bautzen gesammelt 5 Thlr; E. M. in Berlin 4 Thlr.; A. Weinert in Stettin 3 Thlr.; Ertrag einer Vorstellung des Liebhabertheaters in Aken, durch H. Ascher 15 Thlr.; gesammelt in der Schule in Krumbeck (Lübeck’sche) 1 Thlr. 18 Sgr.; Gesellschaft Cerevisia in Neugersdorf 12 Thlr. 2½ Sgr.; Sammlung der Stadt Carlshafen, durch Bürgermeister Rieße 21 Thlr. 3 Sgr.; Dr. Ziegler in Guben 1 Thlr.; durch Concert des Gesangvereins in Herwigsdorf bei Zittau 6 Thlr.; Ueberschuß-Antheil aus der Einnahme des Burschenfestes auf der Wartburg 32 Thlr.; am Kneipabend des Burschenfestes in Eisenach gesammelt 7 Thlr. 17 Sgr.; Kegelverein „Alle Neun“ in Spandow 6 Thlr; H. Gyring in Genthin 1 Thlr.; zweite Sammlung durch Jul. Neusser in Isny (Würtemberg) 4 Thlr. 10 Sgr. und eine wollene Jacke; eine Barmerin 1 Thlr.; N. N. (Postzeichen Borna) 10 Thlr.; Sammlung der Arbeiter Kensington’s in Philadelphia 71 Thlr.

Die Redaction.




Inhalt: Der Habermeister. Ein Volksbild aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Wild-, Wald- und Waidmannsbilder. Nr. 25. Eine Wolfs-Geschichte. Von Guido Hammer. Mit Abbildung. – Der Panther des Südens. Von G. v. Gößnitz. (Schluß.) – Curir-Schwindeleien. Geheimmittel, sympathetische Curen, homöopathische Heilkünstelei. 1. Mund- und Zahnmittel. Von Bock. – Auf den Gräbern von Sadowa. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Bauernjustiz in Rußland vor Aufhebung der Leibeigenschaft. – Victor Hugo in Deutschland. – Ein Abenteuer Rothschild’s. – Für den Weihnachtstisch nach Johann-Georgenstadt.




Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Vorlesungen

über nützliche und schädliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Von Karl Voigt.

Mit 64 Holzschnitten. Eleg. br. Preis 1 Thlr.

Die in den Jahren 1861–64 in der „Gartenlaube“ veröffentlichten und gern gelesenen Arbeiten des berühmten Naturforschers erscheinen hier, mit vierundzwanzig Holzschnitten versehen, als besonderes Werkchen. Karl Vogt hat darin das für die Allgemeinheit nothwendigste und unmittelbaren Nutzen bringende Wissen aus dem Bereiche der Thierkunde in seiner bekannten anziehenden Schreibweise zusammengefaßt, sein Buch ist ein Buch für Jedermann. Einer besonderen Empfehlung bedarf dasselbe bei unseren Lesern nicht, wir würden uns freuen, wenn es, in weitester Verbreitung, seine Wirkungen in vollstem Maße ausüben könnte.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_752.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)