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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

So die Voruntersuchung und Jaschinski alias Murowski kam vor das Schwurgericht. Er bestritt beharrlich, Jaschinski zu heißen und der Mann der Frau Jaschinska, die er nie gesehen habe, zu sein. Er gab an, daß er sein ganzes Leben vagabondirend in Rußland und Polen umhergezogen, bis er sich 1856 in A. niedergelassen und im Jahre 1859 dort geheirathet habe. Er sei vorher nie verheirathet gewesen.

Die Zeugenvernehmung beginnt. An der Spitze der Beweise steht die Aussage der Frau Jaschinska. Sie tritt ruhig und sicher in den Saal. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Sie wiederholt ihre frühern Angaben und auf die Frage des Präsidenten, ob sie sich in der Person des Angeklagten bestimmt nicht irre, bricht sie in Schluchzen aus und ruft: „Wie werde ich mich irren, habe ich doch eilf Jahre mit ihm gelebt und ist er doch der Vater meiner fünf Kinder.“

„Ihr irrt Euch, Frau,“ ruft ihr der Angeklagte von der Anklagebank zu, „ich bin nicht Euer Mann.“

„Ja, ja, Du bist mein Mann, Du bist mein Mann, Du schlechter Mensch, hast Dich sieben Jahre umhergetrieben und mich hungern lassen. Vor zehn geladenen Gewehren[1] will ich’s beschwören, Du bist mein Mann.“

Der Eindruck der Zeugin ist überwältigend. Schon steht bei den Geschwornen das Schuldig fest.

Die andern Zeugen treten nacheinander in den Saal. Der siebenzehnjährige Sohn schwankt auf näheres Befragen in seiner Aussage, er ist noch zu jung gewesen, als sein Vater sich entfernte. Dies kann nicht auffallen. Die übrigen Zeugen, Einwohner des Dorfes N., bestätigen ihre früheren Aussagen. Der Angeklagte steht stumm und gesenkten Hauptes auf der Anklagebank. Der Präsident legt die beiden Trauscheine vor und ist im Begriff, dem Staatsanwalt das Wort zu ertheilen, als eine Bewegung im Zeugenraume entsteht. Die Mutter spricht heftig polnisch mit dem Sohne und tritt an den Tisch der Richter.

„Was habt Ihr noch zu sagen, Frau?“

„Herr Präsident, mein Mann hat als ganz junger Mensch bei der Belagerung von Warschau einen schweren Säbelhieb in den Kopf bekommen. Er hat eine fingerbreite, tiefe Narbe auf dem Schädel.“

Alle Blicke richten sich auf den Angeklagten.

„Beugt Euren Kopf, Angeklagter, und Ihr, Frau, untersucht den Kopf, ob Ihr die Narbe findet.“

Die Frau tritt an den Angeklagten heran und untersucht und betastet mit dem Vertheidiger das Haupt des Angeklagten. Der Vertheidiger führt das Taschentuch zum Munde. Eine lautlose Stille herrscht im ganzen Saale. Die Zeugin tritt wieder vor:

„Nein, Herr Präsident, ich habe mich geirrt, er ist doch nicht mein Mann.“

Du kannst Dir, verehrter Leser, den Tumult denken, der sich auf den Bänken der Richter, der Geschworenen und des Publicums erhebt. Der Kopf wird ganz genau untersucht, die Schädelhaut ist weiß und glatt und nirgends auch nur die Spur einer Narbe zu finden. Der Angeklagte fängt an zu lachen.

„Hab’ ich’s Euch nicht gesagt, Frau, daß ich nicht Euer Mann bin, aber wie wird’s nun, sechs Monate gesessen – –?“

„Ja, aber ähnlich seht Ihr ihm sehr!“

Das Publicum fängt an zu lachen. Der Staatsanwalt erhebt sich und plaidirt auf Freisprechung. Sie erfolgt. Wer erhebt noch einen Einwurf gegen den hohen Werth des mündlichen Verfahrens?

H. E.




Der böse Dawison. Sie ist eine Nähterin und wohnt dicht neben mir im vierten Stock. Ich bin ein Wiener Schriftsteller und wohne auch neben ihr im vierten Stock. Näh- und Uebersetzungsmaschinen haben uns neben einander bis zur letzten Station vor dem Himmel hinaufgetrieben. Sie ist eine Waise und bezieht einen klein-winzigen Gnadengehalt, weil ihr Vater auch nur ein klein-winziger Beamter war, der trotz seiner langen Dienstjahre nicht dumm und geschmeidig genug werden wollte, um vorwärts zu kommen. Indeß reichte der Gnadengehalt doch auf Zündhölzchen und Stecknadeln hin, immerhin ein bedeutender Unterstützungsbeitrag. Sie ist zwar ganz allerliebst, aber brav, häuslich, bescheiden und nicht ein Bischen kokett, wird also auch kein großes Glück machen in der Welt. „Sie heißt Johanna,“ sagt der Hausmeister. „Ich heiße Nichts,“ sagen die Recensenten. Man glaube ja nicht, daß ich und Johanna zwei Seelen und ein Gedanke sind, denn erstens hat mich der Eheteufel schon längst mit dem Hauskreuz decorirt, und zweitens bin ich schon so alt, daß ich Johanna’s Vater sein könnte, und es blieben noch ein paar Jahre für den Großvater übrig. Nein, wir sind nur ganz harmlose Nachbarn, die hin und wieder auf einander hinüber blinzeln, nichts weiter. Aber ich spreche da von einer Gegenwart, die schon Vergangenheit geworden ist, und aus dieser will ich ja dem Leser eine alte Geschichte erzählen, die, nach Heine, ewig neu bleiben soll.

Vor einigen Jahren war es noch eine wahre Herzensfreude, das blühend schöne Mädchen zu sehen, wenn es am frühen Morgen trällernd seinen Canarienvogel fütterte, mit ihm scherzte und kos’te, sich dann zum Nähtischchen setzte und flink die Nadel zwischen die Finger gleiten ließ, bis der Beleuchter dort oben im großen blauen Hause seine große Laterne und alle Millionen Lampen angezündet hatte. Die kleine Johanna war mit ihrem noch kleinern Vogel immer allein, und doch fehlte es ihnen nie an Stoff zur Unterhaltung, denn sie sangen, zankten, scherzten und plauderten den ganzen lieben Tag mit einander. Außer dem Hause gab es für die kleine Nähterin nur ein Vergnügen, das Vergnügen nämlich, einer Theatervorstellung beizuwohnen. Einmal wöchentlich mußte sie in’s Theater, zwar nur auf die letzte Galerie, aber sie glaubte wirklich im Paradiese zu sein, wenn sie da oben im Paradiese saß.

Da kam Dawison nach Wien, um dem kindischen Publicum des Theaters an der Wien zu erzählen, daß es Dinge unter dem Monde giebt, von welchen sich die Philosophie des Director Strampfer nichts träumen läßt. Der berühmte Künstler enthusiasmirte alle Wiener. Alle Welt sprach von ihm, nur die kleine Nähterin nicht, die träumte nur von ihm. Sie wurde stiller und stiller, sang und plauderte mit ihrem Canarienvogel nicht mehr, arbeitete aber noch viel fleißiger als früher und nähte sich die Fingerchen blutig, denn ihr Budget war ja um zwanzig Kreuzer täglich gewachsen, seitdem Dawison in Wien war. Sie sah ihn als Franz Moor – ach, wie abscheulich war er da! „Der böse Dawison,“ seufzte sie, als sie das Theater verließ. Aber sie arbeitete dennoch die ganze Nacht hindurch, um dem bösen Dawison eine recht große Freude zu machen.

In der nächsten Vorstellung warf man ihm Blumen und Kränze zu, sie auch, ein recht duftendes Blumensträußchen, zwar nur klein und bescheiden, aber sie konnte ihm ja kein größeres bieten, weil sie gar zu arm war. Aber welch’ ein Glück! Ihr Sträußchen fiel ihm dicht vor die Füße, sie hätte laut aufjubeln können vor Entzücken. Sie jubelte jedoch nicht, denn der Barbar hob nur die größern Bouquets auf, das kleine ließ er unbeachtet liegen. „Der böse Dawison!“ dachte sie traurig.

Sie wurde unternehmender, wollte ihn sehen, ganz in der Nähe sehen, und leerte ihre ganze Casse, um den Maskenball im Theater an der Wien zu besuchen, denn sie wußte, daß sie ihn dort ganz sicher finden würde.

Sie ließ sich ein ganz kleines, niedliche Lorbeerkränzchen flechten, schob es sorgfältig in ein feines Couvert und betrat, als Ophelia maskirt, den glänzenden Saal. Man denke sich das Glück, der erste Mann, der sie ansprach, war – Dawison. Wie ihr das Herz schlug! Sie hatte Mühe, es zurückzuhalten, denn es wollte mit Gewalt hinaus aus der Brust.

„Wen suchst Du, schöne Ophelia?“ frug der große Künstler.

„Meinen Hamlet“ stammelte sie, indem sie ihm mit zitternder Hand das Papier hinreichte.

Er sprach vom Nonnenkloster und der Gallmeier, von König Lear und Schafhaxl, von seinem engen Stiefel und unserer Censur und während er sprach, zerdrückte und zerknitterte er das kostbare Papier in der Hand, bis er, von einer Gruppe Masken fortgerissen, es endlich ganz fallen ließ, um es von den plumpen Füßen eines Pierrot zertreten zu lassen. Es war der armen Johanna, als ob ihr der Pierrot zugleich das Herz zerträte. „Der böse Dawison!“ hauchte sie, wie zu Tode getroffen, und wankte weinend nach Hause. Sehen mußte sie den bösen Dawison fortan täglich. Nach jeder Vorstellung stand sie unter dem Theaterthor, bis er, in seinen blauen Mantel gehüllt, das Haus verließ. Wenn er dann an ihr vorüberhuschte, und nicht einen einzigen Blick für sie hatte, seufzte sie wehmüthig: „Der böse Dawison!“ und stieg wie eine Träumende in ihr Dachkämmerchen hinauf.

Mit Ruhm und Glück gekrönt, verließ der gefeierte Künstler die Kaiserstadt und dachte wahrlich nicht daran, daß er hier in aller Unschuld ein liebendes Mädchenherz gebrochen. Ohne ein Wörtchen an ihn zu schreiben, sandte sie ihm auch nach Dresden ein zierliches Lorbeerkränzchen nach. Er mußte den Empfang bestätigen und seine Unterschrift war es, die die arme Johanna besitzen wollte. Die theuern Namenszüge liegen neben der Locke ihres Vaters, die sie auf dem Herzen trägt.

Wie bleich ist das früher so blühende Mädchen geworden! Stumm und traurig blickt sie stundenlang vor sich hin. Auch ihr Canarienvogel trillert nicht mehr. Er ist stumm geworden wie sie. Sie hat ihn sterben lassen, wie ihr Frohsinn starb. „Der böse Dawison!“ sind die einzigen Worte, welche über ihre Lippen kommen. Die Einen glauben, sie sei gemüths-, die Andern geisteskrank, es scheint, sie irren Beide nicht.

Einem traurigen Gerücht zufolge, leidet der vortreffliche Künstler an einer ähnlichen Krankheit; der Himmel verhüte, daß der entweihte Tempel der Kunst eine seiner letzten und festesten Säulen verliert. Sollte es aber klar sein oder klar werden nach einer kurzen Nacht, so möge Dawison erfahren: das Kränzchen, das man ihm vor drei Jahren von Wien nach Dresden zugesandt, habe ihm ein armes Mädchen geflochten, das sich gegenwärtig mit dem Strohkranz der Ophelia schmückt.

„Der böse, böse Dawison!“




Wein-, Bier- und Trinkgelage. Wasser ist das eigentliche Getränk aller Thiergattungen, die nur trinken, um den Durst zu löschen; ein Geschöpf allein, der Mensch, trinkt auch aus andern Gründen und nicht nur aus und ohne Durst, sondern sogar über denselben. Wir preisen es aber als ein Glück, daß es eine Kunst giebt, den Weinstock und den Saft seiner Beeren zu cultiviren und andere Getränke zu bereiten. Der Trank ist immer ein Stärkungs-, Reiz- und Anfeuerungsmittel gewesen, und bei den Germanen hingen ihre Grundeigenschaften Muth, Offenheit, Gastfreundschaft, ihre unüberwindliche Tapferkeit im Kriege eng mit ihrer Trankliebe zusammen.

Auch der Psalmist singt: „Der Herr erwachte, wie ein vom Wein gestärkter Held.“

Die alten Griechen und Römer in ihrer Sinnlichkeit suchten bei den Gelagen nicht nur den Gaumen, sondern alle Sinne gleichzeitig zu ergötzen. Sie streuten schuhhoch Rosen auf den Fußboden und reichten Myrthen- und Epheukränze mit Rosen und Veilchen durchflochten, auch wohlriechende Salben und Oele umher. Sie tranken zu Trinksprüchen mit Vorliebe für die Zahl der Musen neun Becher; wer aber mäßig sein wollte, beschränkte sich auf die Grazien und trank nur drei. Den Römern verdankt Deutschland die ersten Weinbergsanlagen am Rhein und an der Mosel im dritten Jahrhundert. Das flüssige Gold blieb bis über das Mittelalter hinaus eine kostbare Gabe, womit Städte und Corporationen ihre Fürsten beschenken und ehren konnten. Der Segen des Weinstocks verbreitete sich durch viele Gauen und es kamen Jahre, die den Rebensaft im Ueberfluß brachten. Die Schwaben riefen den Weinheiligen nicht vergebens an: „O heil’ger Urban, schaff’ uns Trost, gieb heuer uns viel edlen Most“, denn im Jahre 1426 kostete ein Eimer alter Wein in Würtemberg dreizehn Kreuzer, und 1484 konnte man ein Maß für ein Ei kaufen. „Tausend fünfhundert und dreißig und neun galten die Faß mehr als der Wein“ und man mußte zweimal


  1. Eine beliebte Betheuerungsformel in den Grenzdistricten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_735.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)