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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

denselben schon vor einem halben Jahrhundert verdient (und ehrlich dazu, Gott weiß!). Der Name steht an der Spitze unserer Skizze: „Der Panther des Südens![1]

Ob das neue Kaiserreich triumphiren würde oder nicht, war für ihn eine Lebensfrage. Der Staat, über den er seit beinahe vierzig Jahren mit unumschränkter Gewalt regiert, grenzt unmittelbar an das Valle de Mexico und der Kaiser Maximilian war sein nächster Nachbar. Seit einem Menschenalter gewöhnt, der Centralgewalt in der Hauptstadt zu trotzen, gleichviel in wessen Händen sie auch ruhte, sah er diesmal dennoch seine Unabhängigkeit mehr gefährdet denn je zuvor. Er verlachte zwar die kaiserliche Autorität, aber das Lachen war etwas erzwungener Art. Es blieb mehr als einmal zweifelhaft, wer von den Beiden zuletzt lachen werde, und der Panther des Südens hat manche schlaflose Nacht gehabt, bevor die letzte Krisis hereinbrach. Er kann dafür jetzt um so ruhiger schlafen. Die Gefahr, von dort her zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist vorüber. Wenn er überhaupt jemals irgendwo zur Rechenschaft gezogen werden sollte, so wird es nicht mehr in dieser Welt sein, und was die „andere“ betrifft, so ist der Panther des Südens der letzte Mensch unter der Sonne, der sich im allermindesten darum kümmert.

„Constitutioneller“ Gouverneur eines „freien“ und „unabhängigen“ Staates von mehr als zweimalhunderttausend Einwohnern fast seit der Dauer eines gewöhnlichen Menschenlebens genannt zu werden, ist jedenfalls in sich schon Grund genug, um ein gewisses Interesse seitens seiner Mitmenschen zu beanspruchen.

Dieses Interesse muß noch erhöht werden, wenn wir den Umstand berücksichtigen, daß die also gestellte Persönlichkeit im Stande war, jene Autorität zu behaupten, selbst unter den entgegengesetztesten Einflüssen von den allerverschiedensten Richtungen und unter fortwährender und nicht selten offener und bewaffneter Opposition gegen die Centralregierung der Republik von Mexico. Und dennoch hat er alles dies gethan, und zwar mit dem vollständigsten Erfolge, und hat noch viel mehr gethan, und so groß ist meine Vorliebe für den seltsamen Helden dieser Skizze, daß es mir fast leid thut, einige erläuternde Umstände erwähnen zu müssen, selbst auf die Gefahr hin, den Glanz des Phänomens dadurch in etwas zu verdunkeln.

Der Staat, von dem ich spreche, obgleich er, wie gesagt, an das Valle de Mexico grenzt, ist demungeachtet davon noch schroffer abgetrennt, als es die Sandwichs-Inseln sind von der californischen Küste. Eine ungeheure Gebirgskette, Verzweigungen und Ausläufer des mächtigen Cordilleren-Gebirges, legt sich wie eine Riesenmauer davor und bietet in den mannigfaltigsten Formen, bald als steile, unersteigliche Felsenwände, bald als tief eingeschnittene, unzugängliche Defileen, bald als schroffe Abgründe von entsetzlicher Tiefe, eine Reihe von Hindernissen dar, deren Ueberwindung selbst einem Hannibal zu schaffen machen würde. Es ist der Stil der Großartigkeit und Erhabenheit, den die Natur dort anlegte, und der Charakter von Wildheit und Größe, welcher über der ganzen Scene liegt, ist oftmals erschütternd. Eine Hand voll Menschen, wie hasenherzig sie auch sein mögen, hat immer Gelegenheit, hier den Lorbeer zu verdienen gegen irgend welche eindringende Macht, und wenn diese aus lauter Helden bestände, und wenn Skelete reden könnten (was glücklicherweise nicht der Fall ist), manche Geschichte könnten jene erzählen, die den ewigen Schlaf schlafen am Fuß jener Abgründe, deren Anblick das Blut starren macht.

Der alte „Panther des Südens“ hatte indeß noch einen anderen Bundesgenossen, der mächtiger ist, weil noch mehr gefürchtet, als die Abgründe und Schluchten der Andeskette. Wer jemals das Unglück hatte, von der Stadt Mexico querfeldein nach einem gewissen Hafen des stillen Oceans reisen zu müssen, wird sich gewiß jenes unheimlichen Flusses entsinnen, den er nothwendiger Weise passirt haben muß: ich meine den Papagayo. Derselbe wälzt seine schmutzigen und stinkenden Wässer, wie einer jener mythologischen Ströme der Unterwelt, bald langsam und verdrossen durch wüste, trostlose Ebenen, bald pfeilschnell und mit betäubendem Gebrüll durch tief eingeschnittene Thäler zwischen steilen Felsengruppen, deren dunkle Schatten die öde Wildniß umher noch finsterer und trauriger machen. Die ganze Gegend sieht aus, als ob Columbus sie damals zu entdecken vergessen hätte, und der alte Charon selbst würde nicht schlechter dabei wegkommen, wenn er sie mit dem Styx vertauschte. Den Fluß zu passiren ist gefährlich genug, namentlich bei hohem Wasserstande. Ein paar Bretter auf einige Dutzend Kürbißflaschen gelegt, bilden das einzige Uebersetzungsmittel. Aber so gewagt diese Passage auch sein mag, so ist dies doch nur ein Kinderspiel gegen die eigentliche und wahre Gefahr, die dem Reisenden droht bei seinem verwegenen Beginnen. Wenn es jemals irgendwo eine Gegend gab, auf welcher der Fluch des Herrn zu liegen scheint, so ist es jenes gemiedene Thal, zwischen welchem hindurch der Papagayo seine trüben Fluthen wälzt.

Eine abscheuliche, ekelhafte Krankheit wird in diesem tief eingesenkten Thale geboren. In dem dicken grauen Nebel, der wie ein boshafter Elf über dem Wasser schwebt, lauert ihr Keim verborgen und kriecht von dort aus langsam, aber sicher in die südlich ausmündenden Thäler. Der ganze Staat steht zu ihrer Verfügung, da noch zu keiner Zeit und in keiner Weise irgend welche sanitarische Maßregeln getroffen wurden, um ihren Fortschritt zu hemmen. Da die Krankheit eine ganz außerordentliche Ansteckungsfähigkeit besitzt, so kann es nicht Wunder nehmen, wenn zwei Dritttheile der Bewohner des Staates ihre Opfer sind. Man nennt die letzteren „Pintos“ (Gemalte), und unter ihnen, im ersten Gliede natürlich, steht Se. Excellenz der „constitutionelle“ Gouverneur selbst. Die Krankheit ist in wissenschaftlicher Beziehung eine höchst interessante Erscheinung und schon öfters Gegenstand ärztlicher Studien gewesen. Sie nimmt den ersten Rang unter den sogenannten „Hautkrankheiten“ ein und kann gewiß mit allen an Ekelhaftigkeit wetteifern. Sie fängt mit Zerstörung der Haare am ganzen Körper (den Kopf ausgenommen) an und beginnt dann allmählich die Haut zu färben. Die Färbung ist reich und mannigfaltig wie die Natur selbst. Alle denkbaren Nüancen aller nur möglichen Farbenmischungen stellen hierzu ihr Contingent. Es giebt Pintos, die ursprünglich Neger waren und von deren schwarzer Hautfarbe auch keine Spur mehr zu sehen ist, die aber zum Ersatz für diesen Verlust in allen Regenbogenfarben schillern. Der Ekel und Abscheu, den mir der Anblick dieser Krankheit einflößte, welche dort, Dank dem Beispiel, welches das Staatsoberhaupt selbst giebt, mit der vollständigsten Gleichgültigkeit betrachtet wird, ist unbeschreiblich. Ich vermochte nicht einzuschlagen in die Hand, die mir ein Landsmann mit einem deutschen Gruße bot (dem ersten, den ich seit Jahren hörte); der Mann lebte seit beinahe zwanzig Jahren in jenem Thale und sah aus wie ein Zebra, so gestreift und gefleckt war er über und über. Er lachte nur und meinte: „O, das ist weiter nichts, wenn man es einmal gewöhnt ist!“

Es war im Februar, ein paar Jahre zurück, als ich den „Panther“ zum ersten und zum – letzten Male sah. Ich hatte den Papagayo glücklich überschritten und war im Begriff meinen Weg weiter fortzusetzen, als ich mich unerwartet von einer bewaffneten „liberalen“ Abtheilung von einigen hundert Pintos umringt sah. Der weitsichtige Scharfblick des Commandanten jener gescheckten Schaar hatte etwas Staatsgefährliches in mir gewittert und ließ es sich nicht ausreden, daß ich ein Franzose sein müsse, trotz meines germanischen Gesichtes und amerikanischen Reisepasses. Er überlegte geraume Zeit, was er mit mir thun solle; einfach todtschießen auf ächt „liberale“ Weise oder zum Gouverneur schicken, mochte ohngefähr der Inhalt seines Selbstgespräches sein. Zum Glück


  1. Der „Panther des Südens“, mit seinem eigentlichen Namen Juan Alvarez, ist ein Vollblut-Indianer und 1780, vielleicht noch einige Jahre früher, im Staate Guerrero geboren. Seine wilde Tapferkeit, mit der sich höhere Eigenschaften verbanden, verschaffte ihm unter seinem Volke schon früh einen bedeutenden Einfluß. An dem Aufstande Hidalgo’s, des Pfarrers von Dolores, nahm er Antheil und behauptete, als diese erste Schilderhebung in Blutströmen erstickt wurde, die Unabhängigkeit seines höchst unwegsamen und für Weiße ungesunden Gebiets. Er ist weder von den Spaniern, noch von den einheimischen Parteiführern, die seine Autorität gegen ihn geltend machen wollten, jemals unterworfen worden. Wegen seiner Grausamkeit, der er den Beinamen Panther des Südens verdankt, gefürchtet, wurde er von seinen Stammgenossen wegen seiner List und seines unternehmenden Geistes, wie wegen seines Festhaltens an ihren Sitten, ihrer Tracht und ihrer ganzen Lebensweise, so geachtet und geliebt, daß er eine Art von Monarchie gründen konnte. Nur einmal verließ er den Süden und gewann für ganz Mexico eine Bedeutung. Als Santa Anna 1854 gestürzt werden sollte, stellten die Puros (Radicalen) den Panther des Südens an ihre Spitze und vermochten ihn dazu, daß er die Präsidentenstelle annahm, er hielt auch seinen Einzug in Mexico und bezeichnete seine Regierung durch die Aufhebung der Vorrechte des Militärs und der Geistlichkeit. Schon nach drei Wochen (7. December 1855) erklärte er aber, daß er es in der Hauptstadt nicht länger aushalte, nahm Waffen und Munition aus den Magazinen, ließ sich für seine Präsidentenwürde von Commonfort zweimalhunderttausend Piaster bezahlen und ging wieder nach dem Süden, wo er seitdem, für die Franzosen ebenso unbesiegbar, wie für die Spanier, als eine Art Gouverneur in seiner alten Weise gelebt hat.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_728.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)