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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

große Reisen im geographischen Interesse in das tiefe Innere Afrika’s unternommen und ist aus den gefahrvollen Gebieten des Gazellenflusses allein mit dem Herrn von Heuglin zurückgekehrt, während ihre andere Begleitung, Dr. Steudner, die Mutter, die Tante, der Arzt und zwei Kammermädchen der Reisenden, die Beute des mörderischen Klimas geworden sind. Fräulein Alexine Tinne ward auf ihren Expeditionen im tiefen Sudan – wegen ihres imponirenden und glanzvollen Auftretens – für eine Tochter des Sultans gehalten und hatte eben deshalb Gelegenheit gehabt, viele Anschauungen zu gewinnen, die Männern nicht leicht geboten werden; ihre freundlichen und geistreichen Mittheilungen erstreckten sich vornehmlich auf die Lebensverhältnisse der muhammedanischen Frauenwelt, die wegen ihrer Abgeschlossenheit, wie jedes Mysterium, stets einen so außerordentlichen Reiz auf die Phantasie der Menschen ausgeübt hat und Dichtern und Malern zum beliebten Vorwurf geworden ist.

In Alt-Kairo, etwa eine halbe Meile von der neuen Stadt, bewohnt die junge Dame, in der die phantasiereiche Bevölkerung wegen ihres Reichthums und der reichlich gespendeten Almosen wohl eine Sultanstochter vermuthen konnte, ein labyrinthisches, ruinenartiges Haus, in welches sich leicht eine märchenhafte Geschichte aus Harun al Raschid’s Tagen hineinphantasiren ließe. In den ersten Vorhof gelangt man durch dunkle, kellerartige Gänge, in denen sich zugleich Esel- und Pferdeställe befinden; von dem Hof, welchen drei mächtige Palmenbäume schmücken, führen freistehende, steinerne, sehr defecte Treppen auf die Plattform der Hinterhäuser. In den zerbrochenen Fenstern springen allerhand Affen herum, nubische, zur Gazellenjagd abgerichtete Windhunde kommen uns kläffend entgegen, kleine Sclavenknaben und -Mädchen, die wenig bekannten sudanischen Racen angehören, lagern auf dem Boden und sonnen sich. Ein alter, weißbärtiger arabischer Diener führt uns durch einen zweiten Hof in ein großes, parterre gelegenes Zimmer, welches in seinen Einrichtungen vollständig einem Bivouac gleicht.

Seltsame Waffen und Sättel liegen in den Winkeln umher, überall sieht man aufgebrochene Kisten und Koffer; ausgestopfte Vogelbälge, Geweihe aller Arten Antilopen hängen an den Wänden. Fräulein Tinne, von unserm Besuch benachrichtigt, erscheint; ein dunkles Tuch umschließt ihre schönen blonden Haare; über einem schwarzen Unterkleide trägt sie ein grau-seidenes schillerndes Uebergewand arabischen Schnittes; ihre Füße stecken in gelb-ledernen arabischen Stiefeln. Ihre große schöne Gestalt mit den prononcirten Zügen, dem milden Ausdruck, dem freien und feinen Benehmen macht einen imposanten und zugleich gewinnenden Eindruck, aber die Anstrengungen ihrer Reisen, die Trauer über liebe Anverwandte und Freunde, die ein herbes Geschick von ihrer Seite dahin gerafft, haben ihrem Antlitz den Charakter des Leidens aufgeprägt. Sie führt uns in ihren Salon, das Hauptlocal eines alten Harem. Von drei Seiten fällt das Licht durch die großen Fenster, wird aber in seiner Wirkung durch das feine in Holz geschnitzte Gitterwerk gedämpft, welches den Frauen wohl erlaubt, hinauszublicken, aber nicht gestattet, von außen gesehen zu werden. Von Mobilien enthält das Gemach nur Divans, die von Dattelholzstäben verfertigt an den Wänden herumlaufen, während in der Mitte ein paar sehr originell geformte sudanische Sessel stehen. So stellt sich das Innere eines Harems in seinem Hauptlocal dar.

Zu den Personen des Harems zählen außer der Herrin oder den Herrinnen auch die Sclavinnen und Dienerinnen, deren Anzahl bald größer, bald geringer nach dem Reichthum des Herrn bemessen ist; sie gehören den verschiedensten Nationen an und mögen daher dem socialen Leben einen recht bunten Charakter verleihen. Eine ganz seltsame Menschenmenagerie, wie sie wohl zuweilen, doch gewiß nur selten in ägyptischen Harems gefunden werden mag, lernte ich in den weiblichen Personen kennen, mit denen Fräulein Tinne sich wie eine orientalische Dame umgeben hatte. Diese Wesen sind nicht von Fräulein Tinne gekauft, sondern ihr freiwillig gefolgt, besonders aus denjenigen Gegenden, wo die Dame auf ihren Reisen am längsten ihr Lager aufgeschlagen hatte, also auch am längsten durch ihre Wohlthaten die Herzen gewinnen und an sich fesseln konnte. Eines dieser Lager ist auf der Karte von Baker angegeben, dem berühmten Entdecker des Albert Nyanza, des zweiten großen Beckens, aus dem der Nil neben dem von Speke entdeckten Victoria Nyanza seine Wassermassen über so unermeßliche Flächen ausgießt. Die naiven jugendlichen Schönheiten entblößten mir Arm und Brust, um mich die auf ihnen tättowirten Scorpionen, Schlangen und Krokodile bewundern zu lassen, und enthüllten mir dadurch den primitivesten Zustand der schmückenden bildenden Kunst. Ein zartes Galla-Mädchen, der schönsten Race des Sudans angehörig, trug ihr Köpfchen so stolz, wie eine Bronzestatue der Königin Candace. Das arme Kind war in Suez todtkrank geworden, weil das Klima Aegyptens dem exotischen Gewächs schon zu kalt geworden war. – Diese Personen, welche Fräulein Tinne um sich gesammelt hatte, boten mir eine herrliche Gelegenheit für Bereicherung meiner ethnographischen Studienmappe. Sie präsentirten sich mir zum Zeichnen in allen gewünschten Positionen, ohne sich zu rühren, ohne zu wanken. Einst hatte ich die kleine Kammerzofe von Fräulein Tinne gezeichnet, war dann aber auf ein Viertelstündchen hinausgegangen; da traf ich bei meiner Rückkehr das kleine niedliche Kind geduldig noch in derselben Position ausharren, in der ich es verlassen; ich hatte vergessen, ihm das„chalass“, „es ist fertig“ zuzurufen.

Es ist gewiß schwer, den Schleier der orientalischen Schönheiten zu heben, gleichwohl habe ich eine ganze Mappe voll orientalischer weiblicher Studienköpfe gesammelt; wie überall thut ja auch hier das Geld Wunderdinge. Die Vermittelung übernehmen ältere Frauen, die in die Harems gehen, dort kaufen und verkaufen und Gelegenheit zu Intriguen suchen und finden. Die Durchführung derselben ist leichter, als man wohl wähnt. Wenn die Eunuchen die Damen in’s Bad führen, so bleiben sie selbst bis zur Rückkehr derselben vor der Thür sitzen und rauchen eine Pfeife nach der andern. Die Rückkehr verzögert sich indeß oft sehr lange; denn im Bade wird geschwatzt, geraucht, Kaffee getrunken, Toilette gemacht. Zieht nun eine der Damen im Bade ein anderes Costüm, etwa das eines Fellahweibes, an, so kann sie ruhig an ihrem bewachenden Cerberus vorübergehen; er erkennt sie nicht. Sie kehrt dann zurück, schlüpft in die eigenen Kleider und läßt sich von dem getreuen Wächter nach Hause zurückbegleiten.

Es ist auch Fräulein Tinne’s Meinung, daß die orientalischen Frauen weit davon entfernt sind, vor ihren Herren und Gebietern zu zittern. Vergleicht man unbefangen den Zustand der Frauen im Morgenland mit denen des Abendlandes, so werden sich unzweifelhaft auf beiden Seiten verschieden vertheilt Licht und Schatten finden, aber es ist nicht unmöglich, daß die Bilanz – Alles in Allem gerechnet – keine erhebliche Differenz aufweist. Die orientalischen Damen theilen ganz die ehrenvolle Stellung ihrer Männer; ihr Leben, ihr Vermögen, ihre Wohnung sind heilig und sicher, selbst wenn der Ehemann politischen Gefahren unterliegt; sie genießen dieselbe Erziehung und Bildung wie die Männer und werden verheirathet ebenso selbstständig oder selbstständiger als die occidentalischen Frauen. Ihr Vermögen wird nicht Eigenthum des Mannes; im Gegentheil geht ein Theil des Vermögens ihrer Männer als Aussteuer, welche nicht die Eltern geben, in ihren Besitz über, und so wird die Frau materiell in eine vollständig unabhängige Lage gebracht. Sie disponirt durchaus frei über ihr Vermögen, haftet auch nicht für die Schulden ihres Mannes. Nach dem Tode desselben bleibt sie in ihrem Besitz, ja erhält selbst noch einen bedeutenden Theil seiner Hinterlassenschaft und genießt auch als Wittwe eine höchst achtungsvolle Behandlung. Das Alles sind Thatsachen, welche die Frauen des Orients in vielen Punkten ebenso gut oder vielleicht besser situirt erscheinen lassen, als die des Occidents. Aus eigenen Beobachtungen und zuverlässigen Mittheilungen weiß ich, daß sie sich entschieden nicht für unglücklich halten und keinen Neid wegen der freieren Stellung ihrer abendländischen Schwestern hegen.

Von der Terrasse des Fräulein Tinne genießt man eine herrliche Aussicht auf die Nilinsel Rhoda, die mit ihren herrlichen Gärten voll tropischer Vegetation sich wie ein kleines Paradies darstellt. Dort befindet sich das Harem Mustapha Pascha’s, und das bewaffnete Auge erblickt hin und wieder prächtig gekleidete Damen, die unter den herrlichen Cypressen dahinwandeln, gefolgt von Dienerinnen und Kindern und geführt von dem dickwangigen Führer, dessen ungeschlachte Formen die Anmuth der Frauen und die Liebenswürdigkeit der Kindesnatur nur um so reizender hervortreten lassen. Auch ich war mehrmals Zeuge solcher Damenpromenaden, und die meine Schilderung begleitende Zeichnung verdankt einer dieser interessanten Scenen ihre Entstehung.

W. Gentz.



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