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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

an Raum in der Kirche mag ersten Anlaß zu ihrer Erweiterung gegeben haben. Frankfurt am Main hat die meisten Königs- und Kaiserwahlen aufzuweisen, und selbst die des erwählten Gegenkönigs, Günther von Schwarzburg, fand da statt. Er verglich sich, wie bekannt, mit seinem Gegner Karl von Böhmen und starb der Sage nach an Gift am 14. Juni 1349 im Johanniterhofe zu Frankfurt am Main. Günther wurde mit großem Gepränge im Dome beigesetzt, denn zwanzig Reichsgrafen trugen seinen Sarg und Karl, sein Gegner, folgte mit im Zuge. Drei Jahre später setzten ihm die Reichsministerialen Frankfurts und der Umgegend ein Denkmal, welches auch durch vier Jahrhunderte seinen Platz, inmitten des hohen Chors vor dem Hochaltare des Doms, behauptete und erst durch Karl den Siebenten von da entfernt und neben der Eingangsthür der Wahlcapelle aufgerichtet wurde. Leider sieht das alte Denkmal, erneuert wie es ist, bunt wie ein Tuschkasten aus und man begreift kaum, wer an einem Monument, das mehr denn fünf Jahrhunderte an sich vorüberziehen sah, solchen Aufwand an grellen Farben verschwenden mochte und ihm jene Zier der grauen Verwitterung nahm, die dem alten Gestein so wohl ansteht.

Die kleine interessante Wahlcapelle, die leider seit lange mit zur Sacristei dient, wurde auch vom Flammenmeer verschont und in nichts beschädigt. In dem Raume, wo die engere Wahl der Könige und Kaiser stattfand, sind noch in schwarzen Tafeln von Medaillenform die Namen der acht wahlberechtigten Kurfürstenthümer aufgezeichnet und hängen zur Seite des Altars neben einer Magdalena und Maria mit dem Leichname Christi: Mainz, Trier, Köln, Böhmen, die Tafeln zur Linken des Bildes der Magdalena, die Pfalz, Sachsen, Brandenburg, Braunschweig zwischen den beiden Gemälden. Das letztere, die Maria, wird Albrecht Dürer zugeschrieben, die Magdalena ist von Prante aus Prag.

In dieser kleinen alten Wahlcapelle zu weilen, ist für mich seit Jahren von großem Reiz gewesen; möglich auch, daß der Gang über das schöne hohe Chor den Magnet bildete. Wer den Weg öfter gemacht, dem wird die seltsame Beleuchtung dort aufgefallen sein, dies eigenartig gebrochene Licht, sowohl im Sonnenglanz des Tages, wie Abends, wenn die Schatten tiefer wurden. Nie fand ich das hohe Chor schöner, als eben im Dämmerlicht der Abende. Da umwob die ganze durch Kaiserwahl und Krönung so erinnerungsreiche Stätte ein gewisser magischer Schein von zauberhafter Wirkung, und wie es oft entzückend war, das Gold des Abendlichts an den Außenwänden des Domes zu betrachten, so noch hübscher und eigenartiger, die in die Kirche selbst einfallenden letzten Sonnenstrahlen zu sehen. Aus Schatten und Licht formten sich da nicht selten Gestalten und Figuren, bei denen es nur des Aberglaubens einer guten alten Zeit bedurft hätte, um den Wahn vollständig zu machen, daß hier noch einmal in lichten Gebilden phantastischen Spukes auftauche, was sich einst in Wahrheit und Wirklichkeit an der Stätte zugetragen und begeben hat.

Wie märchenhaft und phantastisch nun oft Abends die Stätte des Hochaltars sich ausnahm, so reizend die Kirche im hellen sonnigen Morgenlicht. Prächtig traten da die hochaufstrebenden Pfeiler, die geschmückten Seitenaltäre und Sacramentshäuschen mit der Jungfrau, die Orgel aus ihrem Schatten hervor; die scharf beleuchtete Kanzel und selbst das düstere Glockenhaus mit seinem schmalen Fenster erschienen freundlicher denn je.

In dem ganzen Zauber seiner eigenthümlichen und alterthümlichen Schönheit sah ich noch den Dom am 14. August, am Tage vor dem Brande, wo man in der Kirche Alles zum Marienfest herrichtete. Als sich an dem Abend des herrlichen Sommertages der Pfarrthurm dunkel aus der goldenen Fluth des Maines abhob, das Geläute seiner Glocken den stillen Abend durchtönte, wer hätte da gedacht, daß so zum letzten Male die Wellen ihn zurückspiegelten, daß dies Abendläuten das Sterbelied der Domes sei! –

Man dachte in und um Frankfurt in diesen Augusttagen wohl um so weniger an eine dunkle Zukunft, als sie zu solchen Tagen zählen, in denen eine lichte, glänzende Vergangenheit ihr Recht des Rückerinnerns beansprucht. Vier Jahre zuvor prangte um diese Zeit die alte freie Reichsstadt im reichen Festesschmuck des wie aus Wolken über sie herabgefallenen Fürstentages. Ueber den Glanz dieses Fürstentages zu Frankfurt hat der Sommer 1866 einen dunklen Schleier geworfen und die neuen Erinnerungen waren schmerzliche für die einstmalige freie Reichsstadt. Ihr Adler sank und über keine freie Stadt, kein freies Land tönte seit Jahresfrist mehr die Glocke Karls des Großen.

Wer das Weh, dies verspottete und mitempfundene Weh Frankfurts im vorigen Sommer mit erlebte, der wurde durch den Jammer daran mächtig gemahnt, als die Sonne des 15. August dieses Jahres über den alten Kaiserdom aufging, den Nachts die Flammen verwüstet hatten. Wie man im vorigen Sommer weinende Männer, schluchzende Frauen auf dem Domplatz zusammengeschaart fand, die sich zuflüsterten: „Heut’ steht zum ersten Mal nicht mehr ‚freie‘ Stadt Frankfurt auf unsern Zeitungen,“ so bestürzt, gleichsam vernichtet, umstand jetzt nach dem Brande die Menschenmasse den alten Dom, um den sich stets bei wichtigen Anlässen Frankfurts Kinder wie um einen alten treuen Freund schaaren. An diesem Augustmorgen weinten auch Viele, beweinten die gesunkene Größe des Domes, seine verhallten Glocken, und leise flüsternd ging’s von Mund zu Mund: „Heut’ kommt der König von Preußen nach Frankfurt und findet den alten Dom der deutschen Kaiser – als Ruine.“

Bald nachdem die erste Tagesstunde des 15. August geschlagen, weckte Feuerlärm die schlafende, vom Mondlicht hell überglänzte Stadt. In einer Bierbrauerei nahe dem Dome war Feuer ausgebrochen und kurze Zeit darauf stand auch schon der Dachstuhl der Kirche in Flammen, in Flammen standen auch viele der umliegenden Häuser. An siebenzehn verschiedene Stellen der Stadt trug der Morgenwind feurige Funken, glühendes Erz der brennenden Glocken und überall zündete schnell und hell dieser entsetzliche Gruß der alten Kaiserglocke, diese weithin getragnen lodernden Stücke der Dachsparren. Wandte sich der Wind nicht günstig und ließ er nicht nach beim vorrückenden Tage, der Frankfurter Brand hätte leicht ein Hamburger Brand werden können. Wie furchtbar der brennende Dom mit seinem flammenden Thurme, so wunderbar schön diese Gluthen, im matten Grau des dämmernden Morgens, im magischen Gegenlicht des sanft erglänzenden Mondes! Unvergessen, sagt ein Jeder, werden ihm Eindruck und Erinnerung bleiben.

Nicht minder ergreifend war ein andrer Act des nächtlichen Dramas: das letzte Schlagen, das Sinken der Domglocken. Die glühende, die gewaltige Wucht brach das Deckengewölbe des Glockenhauses und nun lagen die erznen Haufen im Dome selbst, dem Hochaltar gegenüber, am äußersten Ende der Kirche. Wer dies Grab der Glocken, diese letzten formlosen Reste weithin tönenden Geläutes, zusammengeballt in schwarzen Klumpen, liegen sah, fürwahr, unvergessen wird der Anblick auch Jedem sein, ihm eine der traurigsten Erinnerungen des Dombrandes bleiben.

Der Dom war früh Morgens wegen Lebensgefahr abgesperrt, und ich wüßte nicht anzugeben, was mir den Eintritt verschaffte. Darin aber war ich, und ebenso seltsamer Weise ließ man mich weit über zwei Stunden dort. Wohl fragte man mich, wie ich hineingekommen, und warnte auch gut gemeint, allein hinaus trieb mich Keiner, weder die Männer der Feuerwehr, noch jener wachthabende preußische Officier, dessen Machtspruch ich anfangs am meisten fürchtete, bis ich ihn, bis ich Alles über das Bild grausamer Zerstörung vergaß. Wie trostlos hatten wenige Stunden die stille, friedliche Stätte des Domes verändert! Wo war geblieben jenes poetisch-schöne Bild, das diese Kirche mir noch Tags zuvor im Abendschein geboten? Hin all der Zauber von einst, der erste Ueberblick und Anblick ein entsetzlicher! Ausgeräumt die ganze Kirche, kein Betstuhl, kein Beichtstuhl darin, die Altäre kahl und leer, zerrissene Blumen, zertretene Kränze auf ihren Stufen, die Orgel abgebrannt. Feuerwehr dort, die Balken um Balken hinabwarf, verkohltes Holz, geschmolznes Zinn; das ganze hohe Chor bedeckt mit den Trümmern und Splittern des mächtigen Kronleuchters, der weite übrige Kirchenboden, der hier und da schwamm und den Spritzenschläuche durchzogen, wie übersät mit halbverbrannten Notenblättern, verkohlten Gebetbüchern und Papieren. Das erste Blatt, das ich aufnahm, enthielt die Worte: „Amen, Amen, Alleluja!“ den Schluß eines Meßgesanges.

War kein Brand entstanden, so sang man wohl um diese Stunde jenes Alleluja – jenes Amen. Statt dessen Trompetensignale, die Wasser forderten, ein wahrer Höllenlärm, der die Kirche durchtönte und mahnte, daß das Feuer, trotz aller Mühe, aller Arbeit, immer noch nicht ganz überwältigt war.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_646.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)