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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Nur herein!“ rief er ihm, plötzlich leicht aufathmend, zu und faßte nochmals Franzi’s Arm. „Das hab’ ich Dir zu verdanken!“ zwängte er zwischen den Zähnen hervor. „Und ich sollt’ thun, was Du von mir begehrst? Soll Dich unterstützen und gewähren lassen in Deinem versteckten Wesen? Nein, ich will Allem ein End’ machen, was heimlich ist, wo ich’s nur kann! Ich will’s nit leiden, wenn ich ein Unrecht seh’, und will nit rasten, bis es an’s Sonnenlicht kommt und sein Recht erhalten hat und sein Straf! … Kommt nur herein, Ihr Alten! Gebt mir den Stab … jetzt hab’ ich mich besonnen – jetzt will ich Habermeister sein!“


3.

Es dämmerte schon stark; aus dem tiefen Bergeinschnitt, in welchem die Mühle am Baum sich an den brausenden Mangfall hinschmiegt, leuchtete bereits der Lichtschein des Heerdfeuers gegen die Straße hin, die zu beiden Seiten in starker Senkung niedersteigt. In der Thür stand der Müller und sah mit kundigen besorgten Blicken in das dunkle treibende Gewölk empor; neben ihm, den Lumpensack über’m Rücken, in der Hand ein kleines Glas Kirschgeist, womit der gastliche Müller ihn bewirthet hatte, stand der Nußbichler, bereit, seine Wanderung noch fortzusetzen.

„Sei gescheidt, Alisi,“ sagte der Müller „und bleib’ da! Der Wind geht so schneidig kalt, daß es mich gar nit wundern sollt’, wenn’s zu schneien anfangt… Du thust mir leid, wenn Du in dem Wetter noch so herumlaufen sollst; kannst Dich in’ Stall hinaus legen, jetzt kriegst Du doch keine Hadern mehr und hebst nirgens eine Ehr’ auf, wo Du auch hinkommst!“

Der Nußbichler schlürfte mit zurückgebeugtem Kopfe, daß ja kein Tropfen des köstlichen Getränks in dem Gläschen zurückbleiben solle; sein Gesicht war stark geröthet, vor innerer Erregung und wohl auch, weil er das Gläschen schon öfter geleert haben mochte; es hatte fast den Anschein, als ob er wieder nicht fest auf den Beinen stände.

„Mag nit im Stall schlafen,“ sagte er lallend, „in den Stall g’hört das Vieh … der Aicher hat’s gesagt, aber ich werd’s ihm schon ’denken, und werd’ ihm zeigen, daß ich auch eine Heimath hab’ und ein Bett, wenn ich auch kein reicher Bauer bin! Thut mir nit noth, daß ich im Stall’ schlaf’, Müller … da über’n Berg hinauf, noch ein Stündl … nachher bin ich daheim …“

„Wie? Sei doch nit thörisch, Alisi,“ sagte der gutherzige Müller und faßte ihn am Arme, um ihn in’s Haus zu ziehen. „Komm herein, der Sturm wird immer ärger, es wirft wahrhaftig schon Flocken, ich muß die Hausthür zumachen. Komm herein, sag’ ich … weißt es schon wieder nimmer, daß Dein’ Heimath verkauft ist und Dir nimmer gehört; willst wieder hingehen und Dich von dem, der jetzt darauf haust, hinauswerfen lassen, wie das letzte Mal?“

„Wer kann mir das nehmen, was mein gehört?“ schrie der Nußbichler, sich losreißend. „Ich will’s dem Schelmen zeigen, ich will’s ihnen zeigen, Allen miteinander, daß sie mir mein Eigenthum nit nehmen können! Ich werd’ den Stiel umkehren, ich werd’ ihn hinausjagen aus meiner Heimath … es ist gerade recht bei dem kalten Wetter, da kann man das Einheizen vertragen…“

„Na, wenn Du’s nit anders haben willst, so geh’ zu,“ entgegnete der Müller, trat in’s Haus und schlug die Thür fest in’s Schloß. „Er ist und bleibt halt doch ein Lump,“ fuhr er, mit sich selber redend, fort, „aber es ist schier, als wenn ihm das Concept ein bissel verrückt wär’ im Kopf; man sollt’ ihn fast nimmer so allein herumziehen lassen, sonst giebt’s noch einmal, ein Unglück…“

Alisi stand noch eine Weile nach Art solcher Leute vor dem Hause und schrie und polterte gegen die verschlossene Thür hin; dann machte er sich unsicheren Schrittes gegen die ansteigende Straße auf. Der Müller hatte seinen Zustand nicht ganz unrichtig erkannt; der Lumpensammler wußte in der Regel recht wohl, was er sagte und that, aber ein einziges Wort genügte, in ihm einen Gedanken, eine Vorstellung hervorzurufen, welche sich dann ganz seiner bemächtigte und ihm alle Fähigkeit nahm, klar zu denken und ruhig zu handeln. Der Gedanke an die ihm widerfahrene Schmach, die Vorstellung von dem Verluste seines Gütchens waren es, die ihn nicht losließen und die Verbitterung und Verbissenheit seines Gemüths fortwährend steigerten. Er hatte kein anderes Mittel, sich aus diesem qualvollen Zustande zu befreien, als die völlige Betäubung durch vieles und starkes geistiges Getränk; allein in den letzten Tagen wollte auch das nicht mehr verfangen, der Branntwein wirkte nicht mehr so dauernd wie früher, die abgestumpfte Natur schien sich daran gewöhnt zu haben.

Das war heute um so mehr der Fall, da der eisige Wind, je höher der Nußbichler den Berg hinan kam, ihn desto wilder umsauste und ihm den nassen, erkältenden Schnee in’s Gesicht warf. „Es thät mich fast frieren,“ fing er weinerlich mit sich selbst redend an und suchte die von der Kälte erstarrenden gerötheten Hände durch kreuzweises Anschlagen am Körper zu erwärmen. „Keinen Hund jagt man hinaus bei einem solchen Wetter … warum muß ich draußen sein? Bin ich schlechter als ein Hund? Und ich bin doch unschuldig! Ich hab’ kein’ Menschenkind was zu Leid’ gethan … sie haben gelogen, ich hab’ das Haus nit an’zünd’t, ich bin nit schuld, daß der Ahnl schier verbrunnen ist. Sie haben mir mein Gütl nit nehmen dürfen … sie müssen mir’s wiedergeben und mein’ ehrlichen Namen dazu, und sie müssen! … Und wenn ich’s hab’,“ fuhr er nach einer Weile leiser und mit innerlichem Behagen fort, „dann will ich schinden und scharren, bis ich auch reich bin … der Reichste von Allen muß ich werden und dann will ich’s ihnen gedenken … Allen, die mich wie ein Vieh in den Stall g’schafft haben und die mich hinaus jagen in das Wetter, wie einen Hund! Dann müssen sie arm werden und schlecht und müssen zum Alisi kommen – vor dem nichtsnutzigen Alisi sein Haus müssen sie kommen und müssen betteln… Hahaha, da will ich’s mir gut sein lassen und will’s ihnen eintränken, den Haberern und dem übermüthigen Bauern, dem Aicher-Sixt, zum Dank für den Fußtritt, den er mir ’geben hat … und ihr, der hoffärtigen Dirn’, die vor mir einen Scheu und ein Grausen g’habt hat, als wenn ich eine Krott’ wär’ oder ein giftiger Wurm …“

Während des Selbstgesprächs hatte er den letzten Abhang erreicht und von dem Sträßchen abweichend den Seitenweg betreten, der zu den zerstreuten einzelnen Berghöfen führt. Weit dahinter, etwa eine Stunde, gegen den Wald zu, lag das Gütchen, das einst sein Eigenthum gewesen.

Das Unwetter ward immer ärger; wie rasend stürmte der Wind um eine Hügelschneide und wirbelte die immer dichter fallenden Schneeflocken durcheinander, daß es unmöglich war, weiter als ein paar Schritte vor sich zu sehen. Der Schnee war schon reichlich gefallen, er fing an, auf dem Grasboden liegen zu bleiben und die Laubbüschel der Bäume mit weißen Ueberzügen zu bedecken. Ein noch weit stärkerer Windstoß sauste heran, riß Alisi den Hut vom Kopfe und wirbelte denselben den Berg hinunter. „Oho,“ rief er und schlug wieder ein gellendes Gelächter auf, „flieg’ davon, du alter Deckel, ich mach’ mir nichts aus dir! Jetzt kann mir der Wind gar nichts mehr anhaben, das bissel Haar muß er mir wohl stehen lassen! Wenn ich nur erst in meinem Haus bin, dann lach’ ich drüber … dann zieh’ ich die nasse Joppen aus und setz’ mich an den warmen Ofen und trocken’ mich und mein Weib bringt mir die Suppen und giebt mir meinen Buben her, daß er mit mir spielt… Oho, mein Alisel, mei’ Bub’, das ist ein ganzer Kerl…“

Ein ferner, wimmernder Ton drang leise und doch vernehmbar durch das Sturmgetöse; der Nußbichler stand still und horchte hoch auf.

„Das ist aber g’spaßig,“ sagte er, „jetzt ist mir gerad’ gewesen, als wenn ich seine Stimm’ gehört hätt’… Ich weiß nit, wie das ist, aber manchmal ist es gerad’, als wenn in meinem Kopf nicht mehr Alles recht aufeinander ging… Es wird wohl der Wind gewesen sein, der so besonders in den Bäumen saust und pfeift!“

Er ging ein paar Schritte weiter, dann hielt er wieder an. Wahn und Rausch begannen allgemach vollständig von ihm zu weichen – das war keine Täuschung, das Wimmern ließ sich wieder hören, bestimmter, näher, deutlicher als zuvor…

„Das kann der Wind nit sein,“ fuhr der Lumpensammler fort, „das ist eine wirkliche, leibhaftige Kinderstimm’ … es ist doch auf eine halbe Stund’ Wegs kein Hof und kein Haus, da giebt’s heilig ein Unglück ab… Es ist fast schon ganz finster, aber ich mein’, dort am Zaun in den Stauden, rührt sich was…“

Mit thierischer Schlauheit duckte er sich, hart an einen Baumstamm gedrängt, auf den Boden nieder und lauschte mit geschärften

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