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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blätter und Blüthen.


Vater und Kind. Wie ein Vaterherz gemartert werden kann, hat Menschenerfahrung und Menschendichtung in tausendfältiger Weise bis jetzt gezeigt. Sollte aber wohl je grausamer das Schicksal Herz und Seele eines Vaters zerdrückt haben, als wie es vor Kurzem bei folgendem Schiffsunglück auf der Elbe geschehen ist? Ein Jollenführer aus einer hannöverschen Elbmarsch nimmt auf seine Fahrt von einer Elbstation zu einer einige Meilen entfernten andern seinen siebenjährigen Knaben, an dem er seine Freude hat, mit sich auf’s Schiff. „Nu will ik em wegbringen,“ sagt er scherzend zu einigen ihm auf dem Wege von seinem Hause zum Ufer der Elbe Begegnenden. Das Kind muß indeß, da widriger Wind weht und lavirt werden muß, auf der Fahrt meistens in der kleinen Cajüte der Jolle sitzen. Ein solch’ kleines Flußschiff hat in der niedrigen Diminutivcajüte nach der Hinterseite allerdings zwei Fenster, jedes ist aber kaum einen Quadratfuß groß. Dem Kinde dauert die Zeit in diesem engen Raume lang, doch ist bald die Fahrt vollendet. „Eenmol leggt wi noch üm,“ sagt der Schiffer zum Söhnchen in die Cajüte hinein, „dann kummst Du mit an’t Land.“ Dieses „Umlegen“ beim Laviren besteht darin, daß plötzlich eine fast entgegengesetzte Richtung beim Quersegeln angenommen wird. Die größte Genauigkeit im Handhaben des Segels und des Steuerruders ist dabei erforderlich. Also noch einmal „umlegen“, aber ein Windstoß oder sonst ein Zufall wirft die Jolle um, so daß sie Wasser faßt, und der Schiffer nebst seinem Knechte in die Elbe geschleudert wird. Ersterer sinkt unter das Schiff, kommt aber nach einiger Zeit wieder hervor; der Knecht hat indeß glücklicher Weise das kleine mitgeführte Boot erhascht und bestiegen und nimmt seinen Herrn auf. Die Jolle liegt zur Seite und füllt sich immer mehr mit Wasser. Und das Kind? – Es ist in der Cajüte dem Tode verfallen; denn die niedrig im Schiffe liegende Cajütenthür ist wie der daran stoßende Schiffsraum schon mit Wasser gefüllt. Von dieser Seite aus also keine Rettung.

Jetzt beginnt nun der schaudererregende, erschütternde letzte Act. Das Kind hält seinen Kopf und Oberkörper, irgendwie in der schiefliegenden Cajüte noch sich fest klammernd, über Wasser. „Vatter, help’ mi!“ hört der Unselige in seinem Boote sein Kind rufen. Er legt sich mit dem Boote hinter das Schiff unmittelbar vor die kleinen Cajütenfenster. Das Wasser steigt, er sieht ein Kind, er streckt durch ein Fenster den Arm zu ihm hinein – vergebens, das Fenster ist viel zu eng schon für den Kopf des Kindes. Die Oeffnung erweitert, und das Kind wäre gerettet. Eine Axt, eine Axt! oder ein Hammer noch so schwer! Die Angst hätte Kraft zur Zertrümmerung des festen Holzes beim Fenster gegeben. Aber nichts ist da als die unbewehrte Faust. Der Vater schlägt sich die Fäuste blutig, er fühlt es nicht, aber es hilft auch nicht – immer wieder ruft das Kind, ohnmächtig fallen von außen die Fauststreiche gegen die eichenen Schiffsbohlen. Keine Hülfe vom Ufer oder von einem andern Schiffe! Dem letzten Angstschrei des sterbenden Kindes folgt die geistige und körperliche Erschöpfung des unglücklichen Vaters.

Ja, er hat das Kind nun weggebracht auf Nimmerwiederkehr! Das Bild aber des Todes seines Kindes vor seinen Augen, seiner Ohnmacht zu helfen steht ihm für immer fest im Sinn. Der würdige Geistliche, dem diese Mittheilung verdankt wird, erzählte, er sei hingegangen nach dem Hause des Schmerzes, um zu trösten. Eine schwere Aufgabe! Die Mutter hatte nicht einmal die schreckliche Weise des Todes ihres Kindes erfahren, aber sie weinte, weinte viel Thränen – der Vater saß thränenlos, meistens stumm vor sich hinbrütend, nur dann und wann preßte es sich aus seiner Brust in den weichen Lauten der hiesigen plattdeutschen Mundart: „Ik kunn di jo nich helpen, mien lütt Hannes, ik kunn jo nich!“




Aufopfernde Freundschaft eines Hundes. Das Michigan Journal enthält folgende ansprechende Mittheilung: In der vorigen Woche ereignete sich in der Nähe von Fort Wayne ein Vorfall, der seiner Seltenheit wegen wohl verdient, veröffentlicht zu werden. An der River Road, dem Fort gegenüber, wohnt der Musicus John Müller, ein ehemaliges Mitglied der Bande des vierten Infanterie-Regiments. Derselbe besitzt eine kleine Pinscher-Hündin, die er im Hintertheile des Hauses angebunden hatte. Das Thierchen riß sich los, sprang mit seinem Strick durch’s Fenster und lief davon. Da jedoch das Hündchen des Abends nicht zurückkam, so dachte Müller, es sei aufgefangen und getödtet worden. Zwei Häuser von Müller entfernt wohnt ein Schmied, Namens Wilhelm Bohne; dieser besitzt ebenfalls einen Hund von derselben Race. Man bemerkte mehrere Tage, daß dieser Hund Alles, was er von Eßwaaren bekam, statt es zu verzehren, nach dem Walde trug. Der Hund lief sogar in ein Nachbarhaus und gab durch übertriebenes Wedeln zu verstehen, daß er etwas wünschte. Die Bewohnerin des Hauses sagte zu dem Hunde: „Jack, ich habe nichts für dich wie trockenes Brod,“ und indem sie es dem Hunde hinreichte, fuhr dieser in der größten Hast darnach, lief aus dem Hause und dem Walde zu. Dies sonderbare Benehmen erregte Aufmerksamkeit, und man besprach sich, das nächste Mal dem Hund zu folgen. Am nächsten Tage, als der Hund seine Ration bekam, lief er wieder dem Walde zu, und Frau Bohne, sowie Müller’s Knaben folgten ihm, und zwar eine große Strecke. Da sie in den Wald kamen, fanden sie Müller’s kleine Hündin mit dem Strick im Gebüsch dermaßen verwickelt, daß sie nicht loskommen konnte, und der treue Jack hatte sie vier Tage lang mit Aufopferung seiner eigenen Rationen gefüttert, denn als Müller’s Hündchen gefunden wurde, war es dick und fett, der arme Jack jedoch war so abgemagert, daß man die Rippen sehen konnte.




Zwei Erfinder. Es ist eine ziemlich gewöhnliche Erscheinung, daß schon die Väter großer Männer sich in ihren Kreisen durch eine hervorragende Thatkraft und Geistesklarheit auszeichneten. Der Vater des berühmten Erfinders der Monitoren und calorischen Maschinen, Ericson, war ein gewöhnlicher Grubenarbeiter in den vermländischen Eisenbergwerken. Seine Mitarbeiter schätzten ihn nicht nur als einen biedern Collegen, sondern er behauptete auch, vermöge seines gesunden Menschenverstandes, eine gewisse Suprematie unter ihnen. In der Grube, worin er beschäftigt war, hatten sich im Laufe der Zeit derartige Eismassen angehäuft, daß die weitere Förderung von Erzen ernstlich in Frage gestellt wurde. Lange hatten schon die Bergbeamten über die Hebung dieser Calamität gesonnen und stets vergeblich experimentirt. Angemachte Feuer, deren Unterhaltung wegen der engen Tagesöffnungen schwierig war, vermochten nichts gegen die fortschreitende Vereisung. Eines Tages (es war in der heißesten Sommerzeit) meldet sich unser Ericson auf dem Comptoir und macht sich anheischig, gegen Ueberlassung eines Haufens todter Erze die Grube in wenigen Wochen vom Eise zu reinigen. Zwar schüttelte man zu diesem Anerbieten ungläubig den Kopf; indessen die Bedingung betraf ein anscheinend so werthloses Object, daß man ihm keine weiteren Hindernisse in den Weg legen mochte. Ericson construirte jetzt mehrere Blasebälge, setzte sie durch Pferdekraft in Bewegung und ließ unaufhörlich von der warmen Tagesluft in die Grube strömen. In Zeit von wenigen Wochen war dieselbe eisfrei. Das Ei des Columbus lag vor den beschämten Beamten und jeder betrachtete die Sache so naheliegend, daß man dem einfachen Arbeiter nicht nur die gebührende Anerkennung versagte, sondern ihm sogar den Preis seiner Mühewaltungen streitig machte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß die anscheinend werthlosen Steinmassen noch einen bedeutenden Procentgehalt an Metallen enthielten. Da Ericson nichts schriftlich abgemacht hatte, negirte man, auf echt schwedische Weise, einfach das gegebene Versprechen, und das Verdienst ging, wie so oft, auch hier leer aus.

Was seinen genialen Sohn anbetrifft, hier nur noch die Bemerkung, daß nicht nur England, sondern auch Schweden in seinem Ericson das Prioritätsrecht der Propellerschraube für sich in Anspruch nimmt. Gewiß sind die Schweden hier in größerem Rechte, als die stolzen Insulaner. Die J. Ressel’sche Erfindung war durch die Engherzigkeit der obscuren Bureaukratie nicht zur allgemeinen praktischen Einführung gelangt und daher in weiteren Kreisen unbekannt geblieben, und wir haben allen Grund, anzunehmen, daß Ericson dieselbe Entdeckung, wenn auch später, so doch rein selbstständig und unabhängig von den Ressel’schen Arbeiten, machte. Es scheint sich hier derselbe Prioritätsstreit erheben zu wollen, wie zwischen den beiden größten Denkern Newton und Leibnitz in Betreff der Infinitesimalrechnung.

A. T.




Nicht zu übersehen!


Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.




Wir halten es für überflüssig, abermals die Namen unserer Mitarbeiter aufzuführen; es sind nach wie vor die bewährten und unsern Lesern liebgewordenen, viele der ersten Schriftsteller und Schriftstellerinnen Deutschlands. Auch aus der reichen Zahl von Beiträgen, die uns wiederum eingingen, seien nur einige genannt, welche im Laufe der nächsten Monate zur Veröffentlichung gelangen werden:

Ein Wort. Novelle von Levin Schücking. – Das Mädchen von Liebenstein. Eine wahre Geschichte von Friedrich Bodenstedt. – In sengender Gluth. Erzählung von F. L. Reimar. – Das Glockengrab im Kaiserdom. Mit Illustration. – Ein Besuch bei Justus Liebig. Von Erwin Forster. – Damenpromenade in Kairo. Mit Illustration von W. Gentz. – In den Spandauer Geschützwerkstätten. Von einem preußischen Officier. – Pius der Neunte auf der Spazierfahrt. Mit Illustration. – Neue Enthüllungen über die eiserne Maske. – Das Londoner Unterrocksgäßchen. Mit Abbildung. – Ein Naturforscher des deutschen Rumpfparlaments. Mit Portrait. – Die Wunder der Coulissenwelt. – Eine Locke des Königs von Rom. Von George Hiltl. – Die Erziehung des Hundes. Von Karl und Adolph Müller. – Ein Schutzengel der Damen. – Erinnerungen an Heinrich Heine. Von Arnold Ruge. – Europa’s natürliche Heizung. Von Professor Dr. H. E. Richter. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege: Vier Stunden in Reserve bei Königgrätz. – Zur Physiognomik der Nase. Mit vielen Abbildungen. – Die Enthüllung des Davenport’schen Wunderschrankes. Mit Illustration. – Außerdem werden die Schlußartikel von „Bei dem Locomotivenkönig“ und „Die Wartburg“ von Ludwig Storch, beide mit großen Abbildungen, erfolgen.

Leipzig, im September 1867.

Redaction und Verlagshandlung der Gartenlaube.




Inhalt: Der Habermeister. Ein Volksbild aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung,) – Elfenwirthschaft. Von Rudolph Löwenstein, illustrirt von Theodor Hosemann. – Luther auf der Wartburg. Nach ungedruckten Aufzeichnungen über Luther’s Gefangennehmung. Von Dr. Pollack in Waltershausen. – Ein gräflicher Methusalem. Von Ludwig Kalisch. – Die Wartburg. Ein Beglückwünschungsblatt zu ihrer achten Säcularfeier. Von Ludwig Storch. I. – Blätter und Blüthen: Vater und Kind. – Aufopfernde Freundschaft eines Hundes. – Zwei Erfinder.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_624.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2021)