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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 39.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Sixt wandte sich rasch und unwillig ab, Franzi stand einen Augenblick, die Hand an’s Herz gelegt, und ihre Lippen öffneten sich, wie zu einem Worte, das ihn begütigen und zurückrufen sollte, aber das Wort blieb ungesprochen, nicht einmal ein Seufzer entrang sich der beklemmten Brust; mit einer Geberde des Entschlusses wandte sie sich wieder dem Geschäfte zu und schritt bedienend zwischen den Gästen hin und her.

Der Aichbauer wurde indessen vom Lehrer mit treuherzigem Handschlag, von dem Metzger mit vertraulichem Nicken, von Bruder Waldhauser mit einem Schwall freundlicher Worte begrüßt, die er ziemlich unwirsch und kurz angebunden erwiderte. „Das ist schön von Euch, Aichbauer,“ sagte Staudinger, als er am Tische Platz nahm, „daß Ihr Euch um die Dirn’ so angenommen habt … sie bleibt doch immer Eure Ziehschwester, wenn sie’s auch nicht verdient, daß Ihr ihr geholfen habt, denn im Grund’ ist sie doch selber schuld.“

„Selber schuld? Wie wär’ das?“ fragte Sixt finster und der Meister ließ sich die willkommene Gelegenheit nicht entgehen, das Vorgefallene mit den entsprechenden Bemerkungen und Zuthaten zu erzählen.

„Ist das wahr, Franzi, was der Herr Staudinger erzählt?“ rief Sixt, nachdem er Alles gehört. „Hast Du das gethan? Und Du weißt, daß bei dem Nußbichler Haberfeld getrieben worden ist?“

Das Mädchen blieb hart am Tische vor ihm stehen und antwortete ein klares, festes Ja; aus Miene und Blick war jede Erregung entschwunden, die Augen Beider waren ruhig und entschlossen aufeinander gerichtet, es war, als ob ein paar von ihren Standplätzen losgerissene Felsstücke von Wildwassern gegen einander geführt würden, um im engen Rinnsale, wo kein Ausweichen möglich ist, zusammentreffend sich zu zerschmettern oder, durch den Gegendruck festgehalten, mitten im Wassergetose liegen zu bleiben und ein Inselchen zu bilden, auf dem allmählich Moos sich ansetzt und Erde sich ansammelt, bis daraus Gras und Blumen und lustige Erlenbüsche aufsprossen können, die Spuren des Kampfes und der Zerstörung mit friedlichem Grün überdeckend und mit neuem Leben.

„Und Du weißt auch,“ fuhr er fort, „was das sagen will, wenn bei Einem Haberfeld getrieben wird? Daß er ein veracht’ter und verlorner Mensch ist, der nirgends mehr eine Heimath hat, als wenn ihm, wie in der alten Zeit, ein Brandmal eingebrannt worden wär’ auf der Stirn? Weißt, was er gethan hat, der Nußbichler? Er hat abgewirthschaftet gehabt und hat Geld haben wollen von seine Befreund’ten, und weil ihm Niemand eins gegeben, hat er seinem eignen leiblichen Bruder das Haus über’m Kopf angezündet, daß es nieder’brennt ist bis auf die Grundmauern und ist alles Vieh mit verbrannt und hat an ein’ Haar gehangen, so wären auch die alten Austragsleut’ verloren gewesen, die droben unterm Dach g’schlafen haben …“

„Wie sollt’ ich das nit wissen?“ erwiderte Franzi. „Ist lang genug herum’zogen worden in der Untersuchung und in der Gefängniß, bis sein Gütel schier ganz drauf’gangen ist und bis sein Weib mit den paar Kinderln in’s Hüthaus hat einziehen müssen, aber ich weiß auch, daß ihn das Gericht freigesprochen hat als unschuldig, aber freilich, da war’s zu spät, wie er heraus’kommen ist aus der Frohnvest, da war das Gütl verkauft und Weib und Kind hat die Noth umgebracht gehabt und das Elend …“

„Unschuldig?“ rief Staudinger dazwischen. „Das wär’ mir die saubere Unschuld! Hinaus gelogen hat er sich, weil er’s so fein angestellt gehabt hat, daß ihm kein rechter Beweis hat gemacht werden können – da haben sie ihn freilich freisprechen müssen, die Herrn vom Gericht, aber deswegen weiß und glaubt doch kein Mensch anders, als daß er’s gethan hat …“

„Ja,“ sagte der Holzhändler, „das war die allgemeine Meinung, und eben deswegen ist ihm Recht geschehen, denn dafür ist das Haberfeldtreiben da, daß die heimlichen Sünder, denen man offen nichts anhaben kann, sich nicht in die Faust lachen und leer ausgehen. Ich hab’ es immer sagen hören, was das Volk sagt, das ist eine Stimme von Gott.“

„Und ich sag’,“ rief Franzi mit leuchtenden Augen, „wenn das Gericht, das eingesetzt ist über Leben und Tod, Einen freigesprochen hat, der in bösem Argwohn gestanden ist, das ist auch eine Stimm’ von Gott, das ist ein Zeichen vom Himmel, daß unser Herrgott es sich vorbehalten will, mit ihm einmal selber abzurechnen in der Ewigkeit, und wenn ich ein Mannenleut wär’, ich möcht’ ihm nit in den aufg’hobnen Arm fallen! Ich thät’s für eine Schand’ halten, an einer solchen Sünd’ und einem solchen Frevel Theil zu haben, wie das Haberfeldtreiben ist …“

„Das Haberfeld,“ sagte der Aichbauer, der Franzi’s Eifer mit Verwunderung betrachtete, „ist kein Frevel und keine Sünd’; wir Bauern da herinnen in den Bergen, wir haben das Recht, daß wir selber auf diese Weis’ Gericht halten, und das Recht ist so alt wie unsere Berg’.“

„Wenn’s ein so gutes Recht ist,“ fragte Franzi, „warum übt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_609.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)