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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Klosterherren in Thal und Gegend gehaust und geherrscht hatten; wie darauf Max Joseph, der erste König von Baiern, das aufgelöste Benedictinerstift Tegernsee lieb gewann und zu seinem ständigen Sommeraufenthalt wählte; wie er dann gar häufig mit der Königin und den Prinzen über die Kreuzalm von Tegernsee herübergekommen und nie versäumt hatte, bei der Fischer-Lisel, deren unverfälschte Natürlichkeit ihm gefiel, einzusprechen. Für diese gab es aber auch keinen Unterschied des Standes; sie hatte für jeden Gast das gleiche unbefangene Benehmen und das vertrauliche Du, gleichviel, ob es ein Prinz oder der König von Preußen oder gar der Selbstherrscher aller Reußen war, der sie besuchte, oder einer der Bauern aus dem benachbarten Westerhofen, der seinen Abendtrunk zu nehmen kam. Die vornehmen Herren mochten wohl mitunter etwas befremdet dastehen, wenn sie ihnen die Hand zum Einschlagen mit seinem lustigen „Grüß Dich Gott, Maxel“ oder „Karl“ entgegenstreckte, oder einem schon Bekannten Vorwürfe machte, daß er sich so lange nicht mehr habe sehen lassen, oder einen Fürsten, der sich veranlaßt gefunden, sein Land mit dem Rücken anzusehen, treuherzig versicherte, daß das, was es bei ihm daheim abgegeben habe, „uns da heraußen“ nichts angehe, und mit der Aufforderung schloß: „Sei jetzt nur lustig und fürcht’ Dich nit – bei uns da geschieht Dir nichts!“

Wenn sie so erzählte und sprach, dann war das alte, liebe Gesicht von einem so seltenen Ausdruck von Herzensgüte belebt, daß man ihr gut sein mußte trotz der Falten, und die braunen Augen in ihrer Lebhaftigkeit ließen erkennen, daß in ihnen einmal die Hauptschönheit des Mädchens geruht haben mochte, als es noch ihr Geschäft gewesen, die Chorherren von Schliers oder die Hofherren des Königs Max Joseph oder auch die Münchner Studenten und Maler über den See zu rudern. Einer der Letzteren, der geniale Monten, dessen „Abschied der Polen“ wohl überall hin gedrungen ist, hat sie auf einem hübschen Wirthsschilde verherrlicht, das viele Jahre über der gastlichen Eingangsthür hing. Es stellt ein paar Malgesellen vor, welche singend, Guitarre spielend und hutschwenkend von einem hübschen Mädchen im See gefahren werden. Jetzt ist das Bild verschwunden und hat eine minder auffallende Stelle im Hause erhalten, vermuthlich, weil man die jetzigen Reisenden nicht mehr für naiv genug hielt, sich daran gemüthlich zu erfreuen. Es mag wohl auch wahr sein, daß die Maler, Studenten und Bürger, welche zu Pfingsten oder einer andern heiligen Zeit einen Ausflug in’s bairische Gebirge machen, das Bild mit mehr Genuß und Pietät betrachteten, als ein mit Plaid und Sonnenschirm nach Merkwürdigkeiten suchender Engländer oder ein Land und Leute mit dem Bädeker unterm Arm controlirender Berliner Hofrath. Das Gemälde machte in der That seinem Schöpfer keine Unehre, und wollte man etwas daran aussetzen, so war es die ein wenig gezierte Umschrift „Alla donna del lago“ (zur Jungfrau vom See), eine italienische Reise-Erinnerung, statt deren ein schlicht-deutsches „Zur Fischer-Lisel“ wohl besser gestanden wäre.

Lisel war in dem Fischerhause am Ufer des Sees geboren, wo noch jetzt die Nachkommen ihrer Brüder hausen und jetzt ihre Bäschen das Amt übernommen haben, die fremden Besucher über den See zu fahren, kräftige, wohlgebaute, etwas schweigsame Mädchen, deren Anblick bezeugt, daß Schönheit der Gestalt und Anmuth der Züge noch jetzt zu den Erbgütern dieses Fischergeschlechts gehören, das mit seinem Privilegium, auf dem ganzen See allein Kähne halten, fahren und fischen zu dürfen, höher als mancher Adelsbrief in die Zeiten feudaler Vorrechte hinaufreicht. Von der Zeit, als das Ruder in Lisel’s Händen war, stammt ihre Berühmtheit, denn ihr heiteres, natürliches Geplauder und die Art und Weise, wie sie während derselben die heimischen „Schnaderhüpfeln“ zu singen wußte, waren die vorzüglichste Würze der Seefahrt. Zwei von den jungen Leuten des Orts bewarben sich gleichzeitig um die hübsche muntere Fischerin, der Wirth im Dorfe und der Sohn und Herr eines ganz nahegelegenen Bauerngutes – sie entschied sich für den Ersteren, wurde Frau Elgraßerin und wohlbestellte Wirthin zu Schliers – aber es ging ihr, wie dem kleinen Töffel in der Fabel. Wie sie als Frau die gerade Offenheit, die derbe Freundlichkeit und den immer heitern Sinn bewahrte, die das Mädchen zum allgemeinen Liebling gemacht hatten, so hieß sie nach wie vor die „Fischer-Lisel“ und war noch als Greisin nur unter diesem Namen in Dorf und Umgegend und überall bekannt, wohin der Ruf von den anmuthigen Gewässern gedrungen, welche versteckt liegen zwischen den bairischen Bergen.

Neben der Geradheit und Offenheit war es ihre Uneigennützigkeit, was sie kennzeichnete. Wer zu ihr kam, ward nicht wie ein Gast des Wirthes, sondern wie ein Freund des Hauses gehalten, der allenfalls auf Besuch kommt und mit dem man eben deshalb wie mit seines Gleichen ohne viele Umstände und Höflichkeiten verkehrt. Sie fragte nicht viel, wer der Gast sein mochte, es genügte, wenn er ein gemüthlicher Mensch war, der sich ein paar Wochen oder Tage vergnügen wollte, und desfalls fand sie auch nichts Besonderes darin, anstatt lange um Namen und Stand zu fragen, ihre Gäste nach andern Dingen zu unterscheiden und zu benennen, was allerdings mitunter, zumal bei Damen, nicht besonders günstig aufgenommen wurde. Den Wohlbeleibten nannte sie in aller Gemüthsruhe den „Wampeten“, Einen, dessen Haarwuchs nicht eben wucherisch stark war, „die Platten“, oder ein Fräulein, dessen Oberlippe einen etwas männlichen Charakter trug, schlechtweg „die Bartet’“, ja sie zauderte nicht, zur Unterstützung des Gedächtnisses das Alles auch an der schwarzen Zechtafel anzuschreiben. Wenn es an’s Scheiden ging, kam sie nicht etwa mit einer geschriebenen Rechnung, sondern einfach mit der Kreide angerückt und in freundschaftlicher Verhandlung wurde alles Genossene recapitulirt, taxirt und summirt; die Tischplatte diente, die Rechnung aufzuschreiben, über die sie dann, wenn gezahlt war, statt des Schwammes mit dem Aermel hinfuhr, um sie wieder auszulöschen. Als freundliche Wirthin ließ sie sich auch nicht lange bitten, Abends durch ihren Gesang zur allgemeinen Fröhlichkeit beizutragen, dann setzte sie sich an den Tisch, nahm einen Bergstock zur Hand und sah zur Decke hinauf, als ob sie die Schnaderhüpfeln von dort herunter lesen müßte. Sie sang sie aber mit so vieler Munterkeit und naturwüchsiger Schalkheit und dabei so zierlich und sauber, daß nur ein eingefleischter Griesgram sich des Frohsinns und Lachens hätte erwehren können, wenn es hieß:

„Jetzt hab’ i zwoa Schatzerln, ein alt’s und ein neu’s,
Und jetzt brauch’ i zwoa Herzeln, a falsch’s und a treu’s!“

oder auch:

„Die Finken hab’n Kröpfeln, da singen s’ damit,
Mei’ Wei’ hat an Kropf – aber singen kann s’ nit!“

Die laute Fröhlichkeit nahm aber bald ein Ende, denn als schon nach wenigen Jahren der Mann starb, da wandte ihr das Leben die ernsthafte Seite seines Doppelangesichts in vollster Herbheit und Strenge zu – über der Sorge für Erhaltung der großen Wirthschaft, über den Arbeitsmühen des Geschäfts, über dem Pflegen und Heranziehen der ihr verbliebenen beiden Waisen verblich ihre rosige Laune in etwas – der gesungenen Abende wurden immer weniger, bis der Bergstock und die begleitende Zither hinter der Thür auf dem Wandkästchen einen ständigen Ruheplatz gefunden hatten. So sehr aber das Haus manchmal eines „Regierers“ bedurft haben mochte, so Viele auch kamen, um bei der Wirthin um Hand und Herz oder Haus und Hof zu werben – sie brachte es nicht über sich, dem Andenken an den Erstgewählten untreu zu werden. Sie rang sich auch tüchtig und ehrenhaft durch, brachte das Geschäft in die Höhe und erhielt seinen alten Ruf, denn sie war die alte freundliche, billige, immer muntere Wirthin. Alles war ihr gut und vielleicht der Einzige, der es nicht that, war der verschmähte Mitbewerber um ihre Hand, der auch in späten Jahren, als er längst auch Haus- und Familienvater geworden, und noch im hohen Alter es nicht verwinden konnte und sie anfeindete, weil er einen Korb bekommen. Man sieht dabei wieder, daß die Dorfgeschichtenschreiber doch nicht so sehr Unrecht haben, wenn sie die Romantik der Liebe auch unter Joppe und Spitzhut als vorhanden betrachten und davon erzählen.

Als Lisel auf dem Freudenberg, ihrem Ruhesitz und Buen Retiro saß, waren die Zeiten des Gesangs lang hinter ihr – sie hörte höchstens zu, wenn draußen die Bursche sangen, und flüsterte mir dann eine Bemerkung zu, daß es ihr manchmal vorkomme, als ob unter den jungen Leuten nicht mehr dieselbe Frische und Lustigkeit walte, wie in den Tagen der eigenen Jugend. „Ich weiß nit,“ sagte sie, „macht’s das, weil ich alt bin, oder ist es wirklich so … sie singen alleweil dieselben G’sangeln, wie vor vierzig Jahren; es müssen ihnen keine neuen mehr einfallen … es ist die alte Schneid’ und Reschen (Raschheit) nimmer in die Bub’n!“ – In ihrer Schlafkammer, wohin sie sich schon sehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_602.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)