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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 37.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
1.

„Kruzitürken, was ist denn das für ein Wirthshaus, wo man die Leut’ verdursten laßt? Eingeschenkt oder die Kellnerin aufgehängt!“ so schrie, ungeduldig mit dem Zinndeckel eines Steinkruges klappernd, ein dickleibiger Mann in halber Bauerntracht, der eben vor dem Wirthshause an der Kreuzstraße angekommen war und neben den zum Eingange hinaufführenden Stufen Platz genommen hatte. Das Gasthaus mit den blanken, weißgetünchten Wänden, den vielen hellen Fenstern und den grünen Läden dran, mit dem stattlich verzierten hohen Giebel stand recht einladend in Mitte einer großen Waldblöße, gerade da, wo zwei bedeutende Straßen senkrecht einander kreuzten. Der Wald war nach allen Seiten ziemlich weit zurück gelichtet, bis an seine Ränder hin wechselten grüne Wiesenstreifen mit braunen Ackerbreiten und leeren Saatfeldern, auf denen die Stoppeln mit weißen, lang hin wehenden Spinnenfäden wie mit geschwenkten Fahnen verkündeten, daß der Herbst bereits ernstlich seinen Einzug gehalten. Es war hohe Mittagszeit, der Sonnenschein legte sich hell und heiß auf Wald und Blöße und wenn manchmal ein leiser Lufthauch vorüberstrich, brachte er den Harzduft der Tannen mit, den die Schwüle ausgebrütet unter dem dunklen, grünen Gezweig.

Nirgends war Schatten zu erspähen; nicht einmal an den schmalen Sitzreihen und den noch schmäleren Tischen vor dem Wirthshause, nur über den Heckenzaun des grasigen Baumgartens sahen die Kronen einiger Obstbäume herüber – der Bauer verschmäht es, für die Bequemlichkeit eines schattigen Sitzes zu sorgen, und wenn er zur Schenke geht, hockt er am liebsten enggedrängt in niedriger Stube, fast als wollte er sich flüchten und abschließen vor der freien Natur, der er sonst tagüber angehören muß.

Der Stufenvorsprung des Eingangs mit seinem Dachgebälke und dem schräg davon abfallenden Schatten bildete das einzige kühle Plätzchen und war deshalb gleich den andern Tischen und Bänken bereits vollauf mit Gästen besetzt; dennoch war der ankommende dicke Mann in Hemdärmeln, den Rock über die Achsel geworfen, einen derben Stock in der Hand und einen noch derberen Fanghund hinter sich, unbekümmert und fest geradezu auf den kühlen Winkel losgesteuert, gleich als verstände es sich von selbst, daß da und nirgends anderswo ein Platz für ihn vorhanden sein müsse. Er täuschte sich auch nicht in dieser Erwartung, denn die bereits seßhaft gewordenen Bauern hatten bei seinem Erscheinen nichts Eiligeres zu thun, als recht nahe aneinander zu rücken, damit er ja in der innersten Ecke, wo es am bequemsten und kühlsten war, seine Stelle finde: unverkennbar, weil er sich selbst das Ansehen gab und weil er reich war; das verrieth nicht nur die schwere Reihe von Silbermünzen, welche als Knöpfe über den stattlichen Bauch spannten, sondern noch mehr der breite, wohlgefüllte lederne Geldgürtel um seine Hüften. Während er sich mit aller Wucht auf den Brettersitz niedergleiten ließ, löste er den Gurt und warf ihn wie achtlos neben sich, trocknete sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von dem fetten, rothen Gesicht und erwiderte mit gnädigem Nicken die Grüße der Anwesenden, welche ihn willkommen hießen.

Zur andern Seite des Stufenaufgangs, in der gegenüberliegenden Ecke, fast unmittelbar neben der Thür des Pferdestalls, war ebenfalls eine Bank mit einem gebrechlichen Tische davor angebracht; an diesem saß, völlig abgeschieden von den übrigen Anwesenden, ein einzelner Gast, ein Bauer von hagerer Gestalt und mit magerem, verkümmertem Angesicht, das durch die graugemischten Stoppeln des nicht abgenommenen Bartes einen Ausdruck von Verwilderung und Verkommenheit erhielt, welcher durch den schadhaften und unsaubern Anzug nur erhöht wurde. Ein schmieriger, großer Sack, der neben ihm unterm Tische lag und durch dessen Löcher allerlei bunte Lappen hervorsahen, ließ erkennen, daß es das Wandergewerbe des Lumpensammlers war, was er betrieb. Niemand kümmerte sich um den Abgesonderten, er aber schien wohl wahrzunehmen und zu hören, was an den andern Tischen geschah, denn auch er versäumte nicht, dem Angekommenen seinen Gruß zuzurufen.

Dieser wendete sich halb nach der Richtung, von welcher der Ruf kam, und blickte den Mann, als wollte er sich überzeugen, daß er recht gesehen und gehört, mit einem kurzen Blicke höhnischer Verwunderung an, dann wandte er sich, ohne einen Laut zu erwidern, geringschätzig ab und rief den Uebrigen mit lauter Stimme zu: „Wie kommt denn der Lump daher? Darf der sich noch in einem Wirthshaus blicken lassen unter ehrlichen Leuten?“

Ueber die Wangen des Ausgestoßenen flog eine rasche Röthe, er drehte sich ab und stützte Kopf und Gesicht, wie um sie zu verbergen, in die aufgestemmten Hände, dann erhob er sich halb, es war, als kämpfte er mit sich selbst, ob er schweigend sich entfernen und der Unbill weichen, oder ob er derselben zur Abwehr entgegentreten solle.

Die Bauern hatten vorher auch nicht mit einem Blicke auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_577.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)