Seite:Die Gartenlaube (1867) 510.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

französischen und englischen Namens niedergelassen. Was wir hier sehen, sind gleichsam die schönen, malerisch angeordneten und prächtig gezeichneten, reich verzierten Initialen des großen Prachtwerks, das vor uns, einem Bilderbuch der Erde gleich, zu beiden Seiten ausgebreitet liegt. Auf französischer Seite bilden die ersten Modisten des zweiten Kaiserreiches, Deplaigne, die Louvregesellschaft, die Compagnie Lyonnaise, einige Luxusmöbelfabrikanten und die Verlagsbuchhändler Hachette und Marne diese glänzenden Initialen. Was sie geben, ist nur ein Extract gleichsam jener Industrie, die sie vertreten, aber welch’ ein Extract! Fragt nur die jüngeren und älteren Damen, die da vor den Schaukästen der ersten Modisten sich ansammeln und mit einer Zähigkeit vor ihnen verharren, als gäbe es nichts auf der lieben, weiten Welt Sehenswerthes mehr als Seide, Sammet und Goldbrokate, und ihr werdet eine Sprache vernehmen, aus der eitel heißes Sehnen nach diesen Dingen spricht, die da so unschuldig unter Glas stehen und doch vielleicht das verderblichste Zeug, d. h. frauenverderblichste Zeug, der Erde sind. Seht nun, wie ihre Augen an diesen reichen, schönen Stoffen hängen, wie sie alle die körperlosen Taillen der buntfarbigen Seiden- und Sammetroben mit ihrem eigenen Fleisch und Blut in Gedanken ausfüllen, und Farbe für Farbe mit dem eigenen Geschmack, dem eigenen Teint, der eigenen Haarfarbe vergleichen! Wie süß solche Toilettenträume sein mögen, das wissen die geehrten Leserinnen gewiß besser als ich. Nur wenige von den Ausstellungsbesucherinnen raffen sich rasch genug aus diesen üppigen Phantasien auf und stecken als Erinnerung eine von den Massen Adreßkarten der Firmen, die zu freiem Gebrauch herumhängen, ein. Wohl ihnen, wenn sie Geld genug haben, ihren Traum zu verwirklichen! Aber eines muß ich zur Entschuldigung der Frauen aller Welt, die da vor den Schaukästen der Lyoner Compagnie und der anderen Fabrikanten staunend stehen bleiben, denn doch sagen: es geschieht viel, um sie zu reizen, viel zu viel. Giebt ja Deplaigne sogar jeder Dame auch noch einen „Code de la Mode“ mit nach Hause! Und wahrlich, theuere Roben entbehren zu lernen, stellt dieser „Code Deplaigne“ gewiß nicht als §. 1 seines Gesetzbüchleins auf. Und nun, denke man sich, kommen diese Frauen aus der Weltausstellung wieder in ihr liebes französisches, englisches, deutsches, russisches oder auch türkisches Nest zurück und wollen dann den honorablen Mann zur Heilighaltung dieses „Code de la Mode“ anhalten! Sind das nicht Feuerbrände für toilettenempfindsame Gemüther, welche da in alle Welt hineingeschleudert werden?

Wie weit weniger corrumpirend wirken dagegen die schöngebundenen Bücher von Hachette und Marne, die nebenan paradiren, auf die Ausstellungsmasse! So oft ich mir auch das Vergnügen gönne, diese französischen Verlagswerke zu mustern, ich bleibe ungestört, nicht eine Seele gesellt sich zu mir hin, um mit Theil zu haben an diesen andersartigen Werken französischen Geschmackes. Mich erfaßte darum ein Staunen sonder Gleichen, als ich vor diesen eleganten Bücherauslagen des Vestibules vor einigen Tagen ein immer anwachsendes Menschengedränge sah. Ich traute meinen Augen nicht und doch standen wirklich Männer, Frauen, Mädchen, und elegante waren unter ihnen, um Hachette’s Bücher geschaart, aber sie standen da, nicht um die Bücher zu sehen, die französische Classiker und Romantiker geschrieben, sondern um den – Taikun, den jungen Bruder des japanesischen Herrschers, zu begucken. Der stand da und gaffte die prächtigen Einbände alle nach einander an, öffnete die großen und kleinen Bücher, befühlte den Druck, die Buchstaben, und frug, wenn ihm ein oder der andere Buchstabe gar so possirlich vorkam, seinen Interpreten und Dolmetsch nach seinem Namen, etwas, was ihn dann immer in große Heiterkeit versetzte, bei welcher Gelegenheit der rabenschwarze Zopf hinten auf dem Rücken ganz ergötzlich hin und her baumelte.

Uebrigens hat der junge „himmlische“ Prinz auch sein Pech hier und ist ihm schon manch Ergötzliches passirt. Was stieß ihm nur jüngst auf einem Ambassadeurballe zu? Ich kann’s Ihnen erzählen, denn es ist bis heute noch unerzählt. Der Prinz kam in gebotener Gala auf den Ball, aber in japanesischer Gala. Er hatte eine Art von reichgesticktem Schleppkleid, wie es bei uns Damen tragen, auf dem japanesischen Leibe; das schwarze Haar trug er, wie er es immer trägt, mädchenartig über den Hinterkopf hinabgeschlichtet und in dem schönen langen Zopf auslaufend. In der Hand hielt er ein wahres Bijoustück von einem kostbaren Fächer, reizende Filigranarbeit in Gold und Silber, den er auch manchmal, wenn er sich besonders langweilte (was ihm unter uns Barbaren nicht schwer wird), zum Munde führte, um ihn dann mit hochfeiner Zunge zu bearbeiten oder was sonst einem kaiserlich japanesischen Prinzen Freude macht. Eine von den geladenen Ausstellungscelebritäten mochte durch Aussehen und Betragen des Prinzen Min-Bon-Tayun in der That zu dem Glauben verleitet worden sein, der hohe exotische Gast sei eine junge, schwarze Dame; Kurzsichtigkeit kam hinzu, kurz, unsere Ausstellungscelebrität – sie ist, unter Anderem gesagt, deutscher Herkunft – ging auf die vermeintliche Dame zu und forderte sie zum Tanze auf. Der Prinz verstand kein Wort von der französischen Phrase, welche die Celebrität in Anwendung brachte; der Dolmetsch war gerade nicht zugegen, was sollte er also thun? Er lächelte verbindlichst, so viel hat er in der Kaiserstadt an der Seine schon gelernt, um sich aus der Verlegenheit zu reißen. Unsere Celebrität aber nahm unglücklicherweise das Lächeln für eine Tanzzusage und faßte die vermeintliche Dame unterm Arm bei der schönen Taille. Wer schildert aber sein Entsetzen, als die, wie er glaubt, schon gewonnene Tänzerin – der Prinz – bei diesem Vorhaben fürchterlich und in unverständlichen Lauten zu schreien anfängt! Hausherr-Gesandter und Hausfrau-Gesandtin laufen herbei, eine Masse andere Gäste mit und da klärt sich’s auf – der Prinz sollte als Dame von einem deutschen Industriellen zum Tanz geführt werden. Er wußte nicht, was man mit ihm vorhatte, und glaubte wahrscheinlich, man wolle ihm an seinen himmlischen Leib rücken. Das Gelächter, das sich bei Auflösung des japanesischen Räthsels im Ballsaale erhob, war nicht weniger himmlisch, als das Reich, dem der Prinz angehört. Als der Prinz Min-Bon-Tayun die Bedeutung des Angriffs später erfuhr, schien es ihm zu gefallen und von der Zeit an datirt auch seine Liebe zum Tanze, dem er sich nun im Bal Mabille als Zuschauer mit Vergnügen hingiebt. Aber die Gesellschaft des * Gesandten ist durch das Angstsignal des japanesischen Thronfolgers um den seltenen Genuß gekommen, einen Kronprinzen des himmlischen Reiches am Arme eines deutschen Industriellen walzen zu sehen – und es hätte dies das Schauspiel der Schauspiele der Weltausstellung sein können! Wie schade! –

Der Halbmond wehte in den letzten Tagen von allen Boulevardfenstern der schönen Lutetia. Er hatte das russische Kreuz verdrängt und sich allüberall aufgepflanzt, wo ein gutes Plätzchen war, um von den Hunderttausenden Fremder, die jetzt das Pariser Pflaster treten, gesehen zu werden. Paris ist orientalisch geworden, mochte man fast sagen. Was galt ein ehrlicher Vorname aus dem Kalender? Nichts. Um ein wenig beachtet zu werden, mußte man „Abdullah“, „Ali“ oder „Mustapha“ heißen. Das waren auch die Tage des Glanzes für das Stück Orient, das sie da in den Park der Weltausstellung auf dem Marsfelde hingezaubert haben. Die Moschee und der Kiosk vom rechten Bosporus-Ufer und die türkischen Bäder waren auf einmal Helden der Weltausstellungs-Tage geworden und mit ihnen rangen da die Orientalen „zweiten Grades“ (ich borge mir diese Eintheilung von Preußen), der Tempel von den Ufern des Nil, das ägyptische Wohnhaus und der herrliche Bardo von Tunis, um die Palme der Bewunderung.

Betreten wir zuerst die „grüne Moschee“, Yachmil Dzami, von Brussa. Majestätisch liegt ihre schöne Kuppel vor uns da und die Sonne spielt in der vergoldeten Spitze des schlanken, hohen Minaretes. Fragt sie nur, die grüne Moschee, und sie erzählt euch von herrlichen Tagen des Islams aus der Zeit, da noch Brussa die Residenz der Osmanen und der Sitz jenes ersten Mohammed gewesen, der sie bauen ließ. Damals freilich ließ sie sich nicht träumen, die Moschee von Brussa, daß man ihrem Bilde gemäß eine ähnliche in der berühmtesten Stadt der Christenheit folgender Jahrhunderte bauen werde und daß schlechtgläubige Menschenkinder in Massen zu ihr wallfahren werden. Und da kommen sie nun Alle mit uns und strömen durch das einfache Thor in das göttliche Haus Allahs und seines Propheten hinein. Mystische Lichter dringen durch die kleinen, buntfarbigen, von vergoldeten Gitterstäben umgebenen Fenster der Moschee, Farbenspiele geheimnißvoller Art und geheimnißvollen Tones weben unser Auge in fromme Träume ein, ein „Allah ist groß“ gleitet durch unsere Seele und ehrfurchtsvoll schreiten wir über den dicken, reichen Fußteppich hin. Wir sind im schönsten der Räume einer Moschee. Unser Blick fällt gleichzeitig auf den „Mehrab“ und den „Mimber“. Von dem einen aus wird der Blick der Rechtgläubigen nach jenem Mekka dirigirt, wohin sie bei jedesmaligem Gebet sich zu wenden haben, von dem andern aus, vom „Mimber“ nämlich, ertönt das goldene Wort des Korans in die Reihen der Betenden. Auf beiden Seiten des „Mehrab“ stehen dann die Namen der höchsten Wesen, die der orientalische Cultus kennt, die Namen Allahs und Mohammeds, einfach angeschrieben. Rechts vom Mimber geht es hinauf zum Minaret, das der Muezzin alltäglich fünf Mal besteigt, um von oben aus die Frommen zum Gebete zu laden. Um die Ausstellung zu vervollständigen, hätte man freilich noch für die Moschee von Brussa und ihr Minaret zugleich einen Muezzin engagiren sollen. Zeichen fremdartiger Natur, Farbe, Licht, Alles muthet uns hier geheimnißvoll an, der Mysticimus hat hier seine eigentliche Stätte und das „fragt mich nicht, warum ich glaube“ spricht hier aus der ganzen Umgebung recht deutlich zu uns. Der türkische Gott hat es sich bequem eingerichtet; er gestattet den Gläubigen nicht die geringste Nachfrage nach der Wesenheit der Dinge. Er bettet ihnen so üppig auf Erden, daß ihnen ein Nachdenken über sein „Sein und Nichtsein“ gar nicht beifällt. Das Sinnbestrickende alles orientalischen Lebens hat auch der orientalische Glaube. In den Räumen einer Moschee klärt sich das Auge nicht auf zu einer idealen Stimmung, es wird von Farben und Lichtern betäubt. Der Cultus des Mohammed ist fast auch nur eine Art von Opium; es ist ein künstlicher Schlaf, den der Islam seit Jahrtausenden schläft, und wer weiß, ob und wann er daraus erwachen wird.

Beim Ausgange aus der Moschee fallen uns die rechts und links an ihre Façade angebauten, zierlichen, von kleinen Säulen getragenen Pavillons auf. Hinter dem künstlich durchbrochenen von Goldflitter strotzenden Gitter des einen Pavillons ist der Platz für die Fontaine (Lébil), hinter dem andern der für die Uhren der Moschee von Brussa, welche die fünf Gebetszeiten des Tages angeben. Einige Schritte weiter, der Moschee zu Rechten, liegt der Kiosk. Er ward nach dem Muster eines Kiosks errichtet, den der Vorgänger des jetzigen Türkenbeherrschers am rechten Ufer des Bosporus angelegt, und verschafft uns eigentlich nicht die rechten Begriffe von der Pracht orientalischer Decoration. Der Salon, den wir da zu Gesicht bekommen, macht bei all’ seinen Malereien auf Goldgrund, seinen um die Wände laufenden Sophas, seinen goldfarbigen Fenstergittern doch keinen pompösen Eindruck. Natürlich hielt unsere Ansicht von dem Kiosk den Sultan Abdul-Aziz-Khan nicht ab, in ihm seine Weltausstellungssiesta zu halten, so oft ihm da draußen auf dem Marsfelde nach den Wanderungen auf dem Gebiete der Culturen jedes Mal im Kopfe ward „so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopf herum“. Und wie glücklich war er gerade in diesen Stunden seines Pariser Aufenthaltes! Man muß die Leute reden hören, die Zeugen seiner Qual gewesen, welche ihm Pariser Sitte überhaupt und Pariser Hofsitte insbesondere verschafften. Mit Wollust warf er sich auf die niedrigen Divane des Kioskes nieder und vergaß erst da all’ der Unbequemlichkeiten, die ihm die schönen und noblen Möbeln des Palais Elysée bereiteten.

Freilich, wenn man den Schilderungen der Pariser Hofblätter glauben wollte, so hat die Cultur der eleganten abendländischen Welt in all’ ihrer raffinirtesten Verfeinerung, wie sie in den Tuilerienkreisen auftritt, den tiefsten Eindruck auf den Sultan gemacht und er wird nichts Besseres zu thun haben, als den Hof am Bosporus, sobald er nach Hause kommt, gleich auf den Fuß des Hofes des dritten Napoleoniden zu setzen. Diese Stimmen geben den Sultan auch noch für verschiedenes Andere aus, was er nicht ist, für geistreich, intelligent, gebildet; sie lügen, wie competentere Stimmen behaupten, seinem Bilde mit großer Virtuosität an, was sie nur immer wollen. Sie lassen denselben in der französischen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_510.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)