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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

auf dem Vorsaal war es todtenstill; Felicitas hätte meinen können, ein schrecklicher Traum habe sie gequält, wäre nicht das Wohnzimmer fest verschlossen gewesen. Sie sah durch das Schlüsselloch; ein heftiger Zugwind brauste ihr entgegen, die losen Epheuranken drin an den Wänden bewegten sich schaukelnd hin und her; man hatte die Fenster geöffnet – ja, es war Alles vorüber, vorüber! …

(Fortsetzung folgt.)




Charaktere aus der Thierwelt.
1. Der junge Hund.
Von Gebrüder Adolph und Karl Müller.


Ein moderiger Stall, eine morsche, dürftige Hütte oder gar ein verlassener, fast obdachloser Winkel, das ist nur zu oft die Wiege des Thieres, das vermöge seiner Intelligenz, seiner großen Charakterausprägung und seiner ganzen Lebensgeschichte dem Menschen in der großen Kette der lebenden Wesen am nächsten steht. Wahrlich! hier bewährt sich die Wahrheit der Erfahrung, daß aus Armuth und Niedrigkeit zumeist das Gute und Beste erwächst.

Nehmen wir den kleinen Thierweltbürger aus seinem Geniste hervor, erheben wir ihn mit Liebe – denn er hat gleich uns eine Seele! – zu der Stelle, die ihm gebührt, an unsere Seite, und begleiten wir ihn durch seine Jugendzeit.

Fürwahr, ein unbeholfener kleiner Bündel, dieses vielfach in Farbe, Gestalt und Größe ändernde Hundekind! Aber in dem einen Ausdruck bleibt es sich durch alle Racen gleich: in seinem runzeligen, hieroglyphendurchfurchten Gesichte, das eher die Runenschrift des Alters, als die glatten, hellen Züge glücklicher Jugend trägt. Alles an dem Kerlchen ist noch chaotisch: der Kopf mit der vom Nasenbein fast senkrecht herunter hängenden Nase, die unentfalteten Ohren, die in dicken, fleischigen Läppchen oder in schlaffer Formlosigkeit an den Seiten sitzen, das noch blinde Gesicht, die kurzen, schiefen Beine und der runde, noch formlose Körper, den larvenartig eine dehnsame Haut umgiebt. Gewiß nichts Einnehmendes bietet das junge Hündchen in seiner ersten Lebensepoche. Alles an ihm ist noch finster, verschlossen, wüst und unbestimmt. Aber schon in der zweiten Woche öffnen sich seine Augen, die das erste Fünkchen Licht auf des Thieres Seele fallen lassen. Ja, das ist der erste Abglanz aller der schönen Grundzüge unserer treuesten Lebensbegleiter, hier des muthigen, hochherzigen Jagdhundes und des geweckten Dächsels, dort des treuen, unbestechlichen Pommers, hier des spiellustigen, munteren Wachtelchens, dort des gelehrigen, heiteren Pudels. In dem Auge liegt die Seele – ein Seelenspiegel ist auch das Auge des jungen Hundes. Nun entwickelt sich ein Zug nach dem andern an unserem Lieblinge. Das sprechendste Glied unseres Thieres, gleichsam seine zweite Physiognomie, der Schwanz oder die Ruthe, beginnt zum ersten Male seine Zeichensprache zu reden. Wie die Indianer und andere Naturvölker sich in ihrer lebhaften Gesticulation kennzeichnen, wie sich ingleichen bei den Affen jene Beweglichkeit in ihren hervortretendsten Gliedmaßen, den Händen, entwickelt: so bildet sich die Ruthe des Hundes vor allen anderen Gliedmaßen zuerst aus. Kaum kann das Hündchen sehen, so drückt es schon sein Behagen an der Zitze durch ein Wedeln aus. Durch Wedeln begrüßt es seine Mutter und durch Wedeln giebt es sein Erkennen dem sich mit ihm Beschäftigenden kund. Nicht lange, so erhebt sich aus dem Gewimmer, dem Lallen seiner Kindheit, heraus plötzlich auch seine tönende, vernehmliche Sprache: es bellt. Nun steht es auch auf seinen vier Beinen gerade; es geht, es läuft, ja es galoppirt ebenso unbeholfen wie drollig, während es seither nur schwerfällig herumkroch. Mehr und mehr lernt es seine vier Läufe gebrauchen, von denen die hinteren bei der weichen, runden Knorpelform der Knochen und den zarten Sehnen besonders in ihren Knieen noch Schwäche und Schwanken zeigen. Die Ohren, sind sie stehend, haben sich jetzt gespitzt und beweglich geformt, sind sie hängend, so verdünnen und verbreitern sie sich allmählich immer mehr zu dem geschmeidigen, feindurchäderten und langen Behang, der eine Zierde des Hühnerhundes, des Pudels, und des Wachtelchens, oder der Fuchs- und englischen Jagdhunde, besonders aber der Stöber wird.

Mit dem Recken seiner Gliedmaßen tritt der junge Hund in das erste Stadium der Kinderspieles. Von der Täppigkeit und Ungeschlachtheit bis zur graciösen Beweglichkeit stufen sich nun alle die Eigenthümlichkeiten der besonderen Racen bei diesen Spielen ab. Durchgängig sind die schwereren, fleischigeren Arten auch die unbehülflichsten in ihren Bewegungen, während die leichtgebauten, hochbeinigen Pinscher, Fuchshunde, Bracken, Windhunde u. a. m. schon frühe die Behendigkeit, Flüchtigkeit und Ausdauer zeigen, worin sie sich später als so bedeutende Meister bewähren. Was flüchtig werden will, rührt sich frühe, und was ein Dörnchen werden soll, spitzt sich bei Zeiten. Der Körper mit seinen Gliedern ist die Phase, in welcher die Fertigkeiten der verschiedenen Hunderacen sich dem beobachtenden Blicke schon frühe andeuten. Alle gestreckten, flüchtigen Arten, ingleichen lebhafte Temperamente entwickeln ihre Formen eher und für das Auge viel sichtbarer, als derbe, plumpe und große Racen mit trägem Temperamente. Aber die rasche körperliche Entwickelung führt nicht immer in gleichem Grade die geistige Befähigung mit sich. Das zeigt uns z. B. unser trefflicher deutscher Hühnerhund, das in hohem Grade unser deutscher Urhund, der Pommer, und nicht weniger der Schäferhund und der Dächsel, die sich alle vier nur langsam aus ihrer körperlichen Unbeholfenheit entwickeln und denen die Natur – wie es scheint – diesen kräftigen, dauerhaften Körper zur soliden Grundlage ihrer vorzüglichen Sinne und ihrer hervorragenden Charakterausprägungen erst bauen muß. Die edleren Früchte zeitigen am spätesten.

Bald wird Winkel, Hütte und Stall dem kleinen Volk der Hunde zu enge: es betritt zuerst schüchtern und bei ungewohnten Erscheinungen in’s Dunkel zurückflüchtend die helle, bewegte Bühne der Außenwelt. Der Hof wird die neue Welt der Entdeckungen und Erkenntniß, der Tummelplatz der Spiele. Mit lebhaftem Rufe begrüßt die jungen Bürger des Hofes der Haushahn und mit neugierigem Gackern beäugen sie die Hühner. Nicht minder zeigt sie der trompetende Gänserich und die zischende Frau Gänsin an, und die erregte Entenmutter, auf den Eiern in der Remise oder unter dem Wachholderbusche einer Mauernische brütend, pfaucht den munter Bellenden zornig entgegen. Immer lebhafter setzen sich die Jugendlichen mit der Außenwelt in Verbindung, und ihr Vertrautsein mit den Erscheinungen in Haus, Hof und Garten geht allmählich in Selbstbewußtsein und Keckheit über. Unter Spiel und muthwilliger Kurzweil aller Art geht so Woche um Woche herum; unsere hoffnungsvollen Hündchen sind längst aus der Epoche der Säuglinge getreten, da sie die Mutter nicht mehr zu der ersten Quelle ihrer Nahrung zuläßt. Jetzt ist’s hohe Zeit, daß wir uns unter der Schaar oder dem „Wurf“ den Meistversprechenden oder auch Einige dieses Schlags für die Zucht heraussuchen. Es herrscht unter den Hundezüchtern die bis jetzt noch unbegründete Annahme, daß die Jungen, welche der Mutter gleichen, die Eigenschaften des Vaters ererbten und umgekehrt. Auch verlassen sich Leute von der alten Schule hin und wieder noch auf die Probe, daß sie sämmtliche Junge eines Wurfs vor den Stall bringen und nun diejenigen für die Besten halten, welche die Mutter zuerst wieder zum Neste schaffe. Man kann sich vernunftgemäß nur an allgemeine Anhaltspunkte bei der Auswahl unserer Lieblinge halten. Vor Allem entscheidet der Körperbau. Eine breite Brust mit tiefen Einschnitten beiderseits des Brustbeins, gewölbte Rippen, gerade, starke Läufe, ein gerader, nach hinten etwas abschüssiger Rücken und eine dünne Ruthe, sowie überhaupt kräftiger Knochen- und Lendenbau sind die allgemeinen Kennzeichen für Gesundheit, Kraft und Ausdauer, sowie für Reinheit der meisten Racen. – In gleicher Linie maßgebend sind die Sinne und das Temperament. Hier ist der Zweck, für welchen man das Thier gebrauchen will, von besonderem Einfluß. Bei allen Jagdhunden sind, neben einer guten Nase, Muth und Ausdauer versprechende Kraft besonders vonnöthen. Herzhaftigkeit wird sich schon frühe zeigen, ebenso eine gewisse Unempfindlichkeit.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_455.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)