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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

in dem gewöhnlichen italienischen Palaststil nahmen uns auf. Gemalter Marmor, Zitzvorhänge und napoleonisches Meublement umgab uns in dem Hotel Conradi, welches neben jener ausgedehnten Burgruine liegt, an welche sich die Erinnerungen an den Rothbart und Heinrich den Löwen knüpfen.

In Chiavenna war großer Feiertag, denn es war der 15. August, Mariä Himmelfahrt. Die Straßen waren ziemlich still, einzelne Köpfe lugten hinter den Vorhängen des kleinen Cafés hervor und hier und da huschte eine verspätete Gläubige, tief verschleiert, nach der Hauptkirche San Lorenzo. Auch wir folgten dem Drange des Herzens, fanden dort die feiernden Chiavennesen im Kreuzgang versammelt und die Capellchen geöffnet, welche uns mit den Tausenden von Knochen, den bunt geschnitzten Schädeln und zahlreichen Gerippen, denen oft noch die irdischen Namen ihrer Nutznießer angeklebt sind, eine treffliche Mahnung an die Vergänglichkeit wurden. Dies auch im höchsten Grade begreifend bestellten wir die Pferde. Um zehn Uhr enteilten wir dem romantischen Gebirgskessel, dessen fortlaufende Wände, großartig in historischer Zeichnung wie Färbung, die Straße nach Colico bilden. Maulbeer- und Weidenplantagen haben die Maronen verdrängt. Einsam, verlassen ist der Weg. Nur einzelne verfallene Bauten, die in dem von Riva an sumpfigen Terrain liegen, lassen argwöhnen, daß es sich hier nicht immer ganz sorglos reisen lasse. Unweit Colico, in weiter Fläche auf einem Hügel, zeigen sich Trümmer der einst von den Spaniern erbauten Zwingburg Fuentes. Auch wieder ein Memento mori! – Colico ist der Landungsplatz für den nordöstlichen Theil des Comer Sees.

Durch wüste, übelriechende Bogengänge stiegen wir die Steintreppe in einem der beiden Gasthäuser hinauf und gelangten in den geräumigen Speisesaal mit Estrichfußboden, Strohmatte und dem ewigen italienischen Zugwinde. Fenster oder Thüren zu schließen, scheint oft nur eine unangenehme Angewohnheit der Fremden zu sein, die dem Eingebornen unnöthige Mühe verursacht. Zwei ungezogene Engländer nahmen mit allen vier Füßen das einzige Sopha ein und zeigten, wie jeder reisende Schuster dieser Nation sich der Herr der Welt zu sein dünkt und dies den anderen Staubgeborenen in nur allzu bekannter Weise kund zu geben vermag.

Welche unendliche Poesie umgab uns wenige Zeit darauf, als wir jenseits des herrlichen Sees unter dem schattigen Grün der Terrasse des Hotel Genazzini in Bellaggio den wunderbaren Abend genossen! Es war ein tief zur innersten Seele sprechendes Schauspiel und der Himmel hatte alle Requisiten herausgegeben, um dasselbe so glänzend als möglich in Scene zu setzen. Ueber den duftigen Bergen, an denen sich die ununterbrochene, erleuchtete Häuserreihe entlang zieht, wurde der Untergang des ersten Mondviertels trefflich executirt und Myriaden von Sternen angesteckt. Geheimnißvolle Gondeln mit heimlichen Pärchen huschten geräuschlos vorüber und nur einzelne silberne Funken verriethen die Bewegung der sonst so stillen Wasserfläche. Alles war dazu angethan, nichts zu sprechen, nichts zu denken, sondern nur in überschwenglichem Gefühl hinzustarren in das verwirklichte Traumbild. Bellaggio als Stadt ist einfach die kleine, italienische Bergstadt. Steinerne Arcaden ziehen sich den See entlang. In ihnen liegen die Cafés und Hauptgeschäfte, die den Buden eines Badeortes gleichen. Zwischen denselben führen treppenartig gepflasterte, gewundene Straßen steil hinauf in das Innere des Ortes. Noch engere Wege leiten nach den verschiedenen Richtungen. Einzelne hübsche Weibergestalten hocken vor den abschüssigen Gebäuden, die nach Willkür in Feldstein und Mörtel aufgeführt und mit Hohlziegeln gedeckt sind und die aus so vielen Bogen und Dächerchen, Winkeln, dunklen Eingängen und Weingeländen bestehen, daß man vor Begierde, Alles in seinem Skizzenbuche zu haben, zu Nichts kommt. Unmittelbar über der Stadt liegt die Villa Serbelloni, ein kleines Paradies, zu dem der Engel mit dem Schlüssel durch Erlegung der so allgemein gebräuchlichen Abgabe gewonnen wird. Der Park, welcher sich bis zur Spitze des bewaldeten Vorgebirges hinaufzieht, ist reich ausgestattet mit Riesen-Aloen, Tuja, Oleander, Cypressen, Magnolien etc. und bietet die entzückendste Aussicht. Unter uns breitete sich der Comer See mit seinem Wasserbruder, dem Lago di Lecco aus. Die Städtchen, Villen und Häuschen lagen theils im Glanze der untergehenden Sonne, theils in dem tiefen violetten Abendschatten und heraus tönten die Glöckchen des Ave Maria in melodischem Chore. Ein Gefühl unendlichen Friedens wurde von dort angeregt, wo doch überall so viel Haß, Zwietracht, Neid und Eifersucht ihr Wesen treiben. Als die Mondsichel dann hell und klar am Himmel stand und wir in das märchenhafte Dunkel hinabgestiegen und die Lichterchen angezündet waren und das sonst so durchsichtige hellgrüne Wasser als schwarze stille Masse vor uns lag, aus der nur das Plätschern der Ruder und hin und wieder heiteres Lachen und Gesang tönte – da schwammen auch wir in einer jener malerischen Gondeln über den See. Hier machte auch der Berliner Bankier, unser momentaner Genosse, seinem Herzen Luft. Er, der ewig Erheiternde – der sogenannte „Tausendsappermenter“ – er, welcher die preußische Intelligenz für den Süden verarbeitete, brach in die leidenschaftlichen Worte aus: „Die Nacht ist auch nicht von schlechten Eltern!“

Was die Villen des Lago di Como betrifft, d. h. die Gebäude selbst, so sind die berühmteren, Villa Carlotta und Villa Melzi, in dem widerwärtigen napoleonischen Stile, dem Stile der mißverstandenen Antike, gehalten. Erstere enthält an Schätzen die bewundertste Schöpfung Thorwaldsen’s, den „Alexanderzug“ und eines der reizendsten Gebilde des anmuthigeren Canova – seinen Amor und Psyche, eine Gruppe voll ästhetischer Sinnlichkeit. Die Villa Melzi dagegen liefert in dieser Richtung nicht solche Perlen, sondern sie ist ausgezeichnet durch ihren Ueberfluß an exotischen Gewächsen, die hier, wie in einem botanischen Garten, zur Geltung gebracht werden. Die ganze Erde liefert dem jetzigen geistvollen Garten-Intendanten Louis Villain, einem geborenen Erfurter, ihre Bodenerzeugnisse.




Blätter und Blüthen.


Robert Blum und der arme Poet. „Wenn sich aus meinem Parlament im Dorfe hin und wieder eine Brandrakete statt einer humoristischen Leuchtkugel erhebt, wird man mir verzeihen müssen, denn ich habe gegenwärtig keinen andern Humor, als den Humor, den einst der Henker in der Folterkammer der heiligen Inquisition belächelt haben mag. Damit sei den Königen gesagt, daß sie auf meinem Leibe nicht das Hemd des Glücklichen finden werden. Das Glück hat mich zwar in den sechs Jahren meiner Ehe jährlich regelmäßig mit einem jungen Weltbürger beschenkt, – das ist aber auch Alles, was ich dem Glück verdanke, alle andern Gaben hat mir sehr freigebig das Unglück zugemessen, das mein treuester Gefährte und Hausfreund war, seitdem mir der Bart gewachsen ist.“

Diesen Monolog murmelte ein Mann in seinen besten Jahren, der in seiner bescheidenen Dachwohnung in Wien an seinem Schreibtisch saß, in dem Manuscript eines Bühnenwerkes blätterte und die vielen Fragezeichen bitter belächelte, die ein blödsinniger Dramaturg mit dickem Rothstift hineingezeichnet hatte.

Der Mann nannte fast nichts mehr sein, als einen Goethe ohne Ohren, einen Schiller ohne Nase, einen Lessing ohne Kopf, und neben diesen Fragmenten deutscher Classiker einen artigen Stoß Papier, wenn auch keine Staatspapiere; zudem besaß er noch ein hübsches junges Weib und vier kleine Kinder, die mit Quecksilber in den Adern um den Vater herumsprangen, lustig und lebendig, wenn auch im Normal-Costüme, das ihnen die Natur nach den neun Monden ihrer Entwickelungsperiode mit auf die Welt gegeben hatte.

Man wird ohne Zweifel errathen, daß der Meister dieser vier lustigen und lebendigen Werke – ein deutscher Schriftsteller, so ein armer Lorenz Kindlein war.

Während die Kinderchen sangen und sprangen, die hübsche Mutter lachte und zankte und der grollende Vater brummte und murmelte, war unbemerkt ein Fremder eingetreten.

Dieser Gast, ein untersetzter kräftiger Mann, in der Uniform der akademischen Legion, mit vollem Bart, ernsten Gesichtszügen und Augen, in welchen sich der kühne und trotzige Geist des tollen Jahres spiegelte, der Mann mit eisernem Willen und markiger Rede war der Leipziger Bürger und deutsche Abgeordnete – Robert Blum.

„Man muß hoch steigen, um zu Euch zu gelangen, Camerad!“ rief er lachend, „Schiller hat Recht, daß er bei seiner Theilung der Erde dem Poeten den Himmel zugewiesen hat, wenn man auch ein wenig müde auf Eurer Jakobsleiter wird.“

„Willkommen, Herr Blum!“ begrüßte der überraschte Dichter achtungsvoll den wackern Patrioten, indem er ihm einen Stuhl bot und die hübsche Frau ihren Knix machte und ihre vier Kinderchen in die Küche hinausdrängte.

„Ohne Umstände, Freund,“ sprach Blum, nachdem er neben dem armen Poeten am Schreibtisch Platz genommen, „Wir brauchen ein artiges Gedichtchen zu einer Fahnenweihe – wollt Ihr uns das Ding liefern? Es sind einige Holländer dabei zu verdienen.“

„Und darum suchen Sie mich, mich in meiner bescheidenen Dachkammer auf?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_398.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)