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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

ferner Stickereien (Hietel, Schneider) und weibliche Arbeiten, unter welchen ein großes geklöppeltes Spitzentuch von den Klöppelschülerinnen des Erzgebirges uns anzieht. Auch zu den künstlichen Blumen, an denen wir jetzt vorbeieilen, müssen wir, eines wunderbaren Meisterwerkes wegen, später zurückkehren.

Es war ein Augenblick des Ausruhens, als ich hier wieder in der Haupthalle angekommen war und von der Galerie hinabblickte auf die Perlen in diesem Theile der Ausstellung, den prachtvollen Waffenschrank von Friedrich in Dresden, und des Leipziger Franz Schneider kunstreich aus Eichenholz geschnitzte Kanzel mit ihrer gothisch gen Himmel strebenden Schalldecke. Der alte Gellert kehrte mir hier den Rücken zu; er sah offenbar freudig auf den plätschernden Springbrunnen zwischen seinen lieben Blumen, und eine ferne Drehorgel leierte „Wer hat dich, du schöner Wald“ etc. dazu. – Der Blick in die Haupthalle von diesem Standpunkt aus ist es auch, welchen wir unseren Lesern in einer Holzschnitt-Illustration bieten werden.

Aber wir müssen weiter, um unseren Wegrest um die Galerie der Haupthalle zu vollenden. Die Damastweberei und farbenreiche Tapeten liefern hier ihren Tisch- und Wandschmuck, eine Meßmaschine für Schnittwaren, mit Zählzifferblatt, erfreut uns durch ihre sinnige Einrichtung, im Eckthurmzimmer stehen die Leistungen der Chemnitzer höheren Webschule zur Schau; es folgen Filetgewebe und Webwaaren (Hösel in Chemnitz) von hohem Werth und jeder Art; an Flanellen und Decken vorüber kommen wir zu der außerordentlich reich vertretenen Ausstellung von Strumpfwaaren, Strumpf- und Strickgarnen, winden uns durch vielbesuchte Gespinnste aller Art zu den Färbereiwaaren durch, und haben wir endlich die Plüsch-, Woll- und Baumwoll-Druckereien passirt, so wenden wir uns rechts der Treppe zu, die uns wieder zum Parterre der Haupthalle und zu unserem Ausgangs- und nun Ausruhepunkt im Octogon zurückführt.

Der Spaziergang ist gemacht, aber wie viel tausend Gegenstände, die sich dem Auge nicht aufdrängen, haben wir nicht gesehen, wie viele ganze Branchen nicht genannt und die vierundfünfzigtausend Quadratfuß der Maschinenräume noch mit keinem Schritt betreten! Dennoch wage ich es nicht, die Leser heute schon zu diesem neuen Gang zu verlocken; der eben zurückgelegte wird ihnen wenigstens annähernd ein Bild von dem Reichthum und der Anordnung dieser Ausstellung gewährt haben. Zur Beschauung der einzelnen besonders ausgezeichneten Gegenstände dieses Ausstellungstheiles sowie zu einem prüfenden Gang durch das Maschinenparterre an der Hand eines kundigen Führers bietet uns die eben beregte Abbildung des schönsten Theiles der Haupthalle in einer der nächsten Nummern der Gartenlaube die Gelegenheit.

Es sollte wohl die „patriotische Bildung“ bei uns hoch genug stehen, um besondere Vorzüge und Verdienste irgend eines einzelnen unserer Volksstämme zu einem Stolz aller Deutschen zu erheben, und demgemäß sollte es auch eine „patriotische Dankbarkeit“ geben, die den hervorragenden Leistungen eines Stammes die freudige Anerkennung von Seiten aller anderen Stämme sicherte; ob wir aber im dermaligen deutschen Nationalcharakter uns solcher erhabener Züge schon rühmen können? Darüber werden uns die Besucherzahlen der Chemnitzer Industriehallen belehren, die nicht zu betäubendem Pomp einladen und nationalen und noch anderen Eitelkeiten huldigen, sondern mit deutscher Einfachheit und Würde einzig der Ehre und der Förderung des Wohls des gesammten deutschen Vaterlandes dienen.




Herzog Karl August und sein Leibjäger.
I.

Es sind nicht blos die großen Begebenheiten, es sind auch die kleinen Charakterzüge, die eines Menschen tiefes Wesen zeigen. Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, Goethe’s und Schiller’s großherzigen Freund, das klare feste Haupt des Musenhofes, ihn kennt Jedermann. Und doch kennt man damit nur einen Theil seines Wesens. Wie soll man es sich erklären, daß dieser Fürst eines kleinen Landes jene großen Männer mit ehernen Banden an sich fesselte? Er konnte es, weil er die geistvolle Genossenschaft seines Hofes als Meister übersah, ihre Eigenthümlichkeiten mit liebevoller Geduld ertrug, ihnen gegenüber so gut wie nie den Herrn herauskehrte, weil er ihnen gewährte, was nur der wahrhaft große Fürst kennt und gewährt, Freiheit. Will man dieses begreifen, so betrachte man Karl August im Verhältniß zu seinen Bauern, Förstern und Dienern; man durchstreife die Försterhäuser und Kammergüter des Thüringer Waldes, in denen die Geschichten vom „alten Herrn“ als Heiligthümer vom Vater auf den Sohn forterben. In allen ist Karl August derb, kernig, großartig, oft streng und rauh, eine Gestalt wie aus Eisen; selbst ein ganzer Mann, ließ er dagegen jeden andern Mann gelten. Karl August hat sein kleines Land ungemein gehoben, ihm einen geachteten Namen gegeben, seine enge Hauptstadt und Hochschule zur Wiege unsterblichen Ruhmes gemacht; aber in den Geschichtsbüchern nicht verzeichnet steht die unendliche Hochachtung und Liebe, welche der alte Herr bei jedem Graukopf aus der alten Zeit noch besitzt; in den vielleicht nicht immer ganz wahrheitstreuen, öfter halb oder ganz mythischen Ueberlieferungen des Volkes sehen wir, daß Karl August war, was so Wenige, eine gewaltige, großartige freie Persönlichkeit.

Einer dieser Grauköpfe ist es, der mir in den stillen Abendstunden seines Forsthauses das Nachfolgende erzählt hat.

„Sehen Sie,“ sagte der Förster, „wenn ich an unsern alten Herrn denke, dann werde ich wieder jung. Da hängt er an der Wand; es ist ein schlecht Bild; aber so hat er ausgesehen, ein stattlicher Herr, breit und tüchtig, die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen; mit ihm ging immer ein großer Jagdhund und sah ihm nach den Augen; er liebte die schönen Hunde gar sehr, der Herzog Karl August, Gott hab’ ihn selig!“

„Ihr habt ihn gekannt?“

„Ob ich ihn gekannt habe! ich bin manchmal mit ihm auf dem Kesseltreiben gewesen oder hab’ ihm die Büchse gespannt, hab’ manches bissige Wort und manchen Laubthaler besehen von dem alten Herrn. Wie der war, so giebt’s heutzutage keinen mehr. Die geringen Leute verachtete er nicht; jeder Bauer, der schießen konnte, durfte mit ihm auf die Jagd gehen; seine Kammerpächter durften ihren Zins schuldig bleiben wie lang, wenn sie nur gute Bauern waren, so war er nicht streng. Es galt ihm ein jeder gleich, wenn er nur Kern hatte, und darauf hat er sich verstanden wie einer, wer Kern hatte oder wer nicht. Wenn er seine Leute ansah, so hatten sie Furcht; aber nach Zeit und Gelegenheit ließ er sich auch einen derben Spaß gefallen und machte ihn selbst. Er mochte nichts, was nicht Kern hatte. Die Beamten waren dazumal nicht so genau mit dem Rechnungswesen, kam auch nicht alle Augenblick von Weimar eine Commission zum Revidiren; da ging mancher Thaler nebenaus, wollte er oder wollte er nicht. Der alte Herr wußte es, denn der kannte jedes Gänschen auf seinen Kammergütern; aber er ließ es laufen, wenn sie die Geschichte nur nicht gar zu plump machten. War wieder einmal einer erwischt worden, der es zu grob getrieben hatte, den jagte der Karl August fort und sprach: „Hätt’ er’s gescheidter angefangen, so wär’s gut gewesen, aber der dumme Kerl hat sich doch gar zu täppisch angestellt!“

Der Leser dieses denke sich eine wohl eingeräucherte niedrige Fensterstube des Thüringerwaldes; Rehgeweihe über den Thüren, ein paar Büchsen im Gewehrschranke, einen langen Tisch für die bisweilen zu einem Glas Bier einsprechenden Bauern oder den in diese Einsamkeit versprengten Fußreisenden. An der Wand ein mächtiger schwarz glasirter Kachelofen, daneben ein Großvaterstuhl mit Hirschleder überzogen; ein Rehfell lag davor. Auf diesem Lehnstuhl saß der alte Förster, ein eisgrauer Mann, der aber noch gar vergnüglich aus den Augen sah, seinen Wasunger Knaster mit Lust rauchte und in den Pausen der Erzählung einen Schluck Bier trank, oder nach seiner Pfeife sah oder sich umschaute nach seinem geliebten Herrn, der in freundlicher Ernsthaftigkeit aus dem schwarzen Rahmen an der Wand niederblickte. Ein Hühnerhund hatte den Kopf auf des alten Försters Knie gelegt und sah ihn unverwandt mit klugen glänzenden Augen an, als verstände er die Geschichten, welche sein Herr erzählte; der Förster kraute dem betagten Freund den Kopf.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_393.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)